Umfrage zu Männlichkeit

Die Tagesschau hat einen Artikel veröffentlicht über eine Umfrage zu Männlichkeit, die von Plan International Deutschland bei jungen Männern im Alter von 18-35 Jahren durchgeführt wurde. Und die Ergebnisse sind erschütternd.

Ich werde im folgenden die einzelnen Punkte der Umfrage kommentieren. Dabei werde ich teilweise stark pauschalisieren, um meinen Punkt deutlich zu machen. Dass die Realität komplexer ist, ist mir durchaus bewusst. Dennoch sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache.

Update (11.06.): Es gibt Kritik an der Seriosität dieser Umfrage. Im Original-PDF, der im Tagesschau-Artikel verlinkt ist, ist die Methodik der Umfrage in Kapitel 2 beschrieben. Kann sich jeder selber ein Bild von machen. Dennoch haben wir jetzt erstmal diese Zahlen, und irgendwomit muss man ja arbeiten.

Update 2 (12.06.): Der SWR kritisiert ebenfalls die Methodik der Umfrage. Fazit einer Sozialwissenschaftlerin: Die Tendenzen sind da, die Gewalt stieg auch während der Pandemie, aber die Zahlen decken sich nicht mit anderen durchgeführten Jugendstudien. Zumindest was die Gewaltbereitschaft angeht, sind die Zahlen nicht so hoch, wie die Ergebnisse der Umfrage vorgeben. Auf die anderen Punkte neben Gewalt und Rollenverständnis wurde in diesem Beitrag nicht eingegangen.

Gewalt

Der Artikel fängt direkt mit diesem Hammer an:

Demnach gaben 33 Prozent der befragten Männer an, es “akzeptabel” zu finden, wenn ihnen im Streit mit der Partnerin gelegentlich “die Hand ausrutscht”. 34 Prozent seien gegenüber Frauen schon mal handgreiflich geworden, um ihnen Respekt einzuflößen, heißt es weiter.

An diese Männer: Wenn ihr andere Menschen scheiße behandelt, wundert euch nicht, wenn ihr selber scheiße behandelt werdet. Ja, vielleicht seid ihr selber mit Gewalt zu Hause aufgewachsen. Vielleicht hat euer Vater eure Mutter genauso behandelt und ihr kennt es nicht anders. Das ist keine Entschuldigung. Wollt ihr wirklich eine Partnerin, die nur bei euch bleibt, weil sie Angst davor hat euch zu verlassen? Oder wollt ihr eine liebevolle Partnerin, die euch aus sich heraus mit Respekt behandelt. Durch Gewalt eingeflößter Respekt ist kein Respekt sondern Angst. Respekt muss man sich verdienen, den kann man nicht erzwingen. Genauso wie Vertrauen. Es ist eure Verantwortung, zu dem Mann zu werden, den ihr vielleicht selber gerne als Vater gehabt hättet.

An die Frauen: Geht. Verlasst diese Männer. Es ist nicht eure Verantwortung sie zu verändern, und es wird euch auch nicht gelingen. Wenn ihr das alleine nicht schafft, sucht euch Hilfe. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Rollenverteilung

Es geht weiter:

Die Rollen in heterosexuellen Beziehungen ist für die jungen Männer laut der Befragung klar verteilt: Der Mann verdient das Geld, die Frau macht den Haushalt. 52 Prozent der Befragten sehen ihre Aufgabe darin. Für die Hausarbeit sei vor allem die Partnerin zuständig.

Wenn sich beide in dieser Rollenverteilung einig sind, völlig ok. Allerdings klingt dies generell eher nach dem Rollenverständnis von Union und AFD aus den 50er Jahren und nicht danach, als sollten die Frauen hier ein Mitspracherecht haben. Hier schwingt ganz klar die Grundhaltung mit, dass die Frau die Hausarbeit macht, weil diese Tätigkeit gegenüber der Erwerbsarbeit als minderwertiger angesehen wird. Eine weitere Ebene tiefer schwingt hier auch noch ein ungesundes Leistungsdenken mit, aber da komme ich gleich nochmal drauf zurück.

Fast die Hälfte findet es wichtig, in der Beziehung bei Entscheidungen das letzte Wort zu haben und fast 40 Prozent der jungen Männer möchte, dass die Partnerin ihre eigenen Ansprüche zurückstellt, um ihnen den Rücken freizuhalten.

Zum Thema Entscheidungen und Führung mache ich jetzt kein großes Fass auf. Allerdings muss ich hier fairerweise sagen, dass tatsächlich viele Frauen wollen, dass ein Mann Initiative zeigt, in Führung geht und auch Entscheidungen trifft. Gleichzeitig fällt es heute vielen Frauen genauso schwer, die Führung abzugeben. (Kann man wunderbar feststellen, wenn man mal tanzen geht.)

Die Frage ist, ob der Mann diese Entscheidungen für das große Ganze trifft, also für sein eigenes “Königreich”, seine Partnerschaft, seine Familie. Oder ob es hier um rein egomanes sein eigenes Ding machen geht, wo die anderen auf der Strecke bleiben. Da hier allerdings steht, dass sich 40 Prozent wünschen, dass die Partnerin ihre eigenen Ansprüche zurückstellt, klingt das für mich nicht sehr “königlich”, sondern nach noch unreifen Männern, die in ihrer persönlichen Entwicklung noch am Anfang stehen und ihr Leben auf Kosten anderer leben wollen. Getreu dem Motto, ich mache was ich will, und Mami (== die Partnerin) sorgt schon für mich. Da die Umfrage sich aber auch an junge Männer richtete, vielleicht auch nicht sehr überraschend.

Sexualverhalten

Jeder zweite junge Mann möchte laut der Studie keine Beziehung mit einer Frau, die bereits viele Sexualpartner hatte. Gleichzeitig sehen es 37 Prozent als reizvoll an, mit möglichst vielen Frauen zu schlafen.

Aus rein evolutionspsychologischer und -biologischer Sicht eine nachvollziehbare Haltung, da Frauen dadurch ein viel größeres Risiko eingehen und Männer ihre Gene möglichst breit streuen wollen. In der heutigen Zeit dennoch einfach nur bigott, und ich frage mich gerade, inwieweit hinter dieser Haltung immer noch eine religiöse Prägung liegt.

Ein weiterer Grund wird vermutlich sein (Achtung, unbelegte These meinerseits), dass eine Frau mit vielen Sexualpartnern als unabhängiger wahrgenommen wird, was von diesen Männern ebenfalls nicht erwünscht ist.

Liebe Männer, ihr dürft hier gerne im 21. Jahrhundert ankommen.

Homosexualität stehen die Befragten eher ablehnend gegenüber. Fast die Hälfte fühlt sich davon gestört, wenn Männer ihr Schwulsein in der Öffentlichkeit zeigen. Mehr als 40 Prozent geben an, dass Männer, die feminin auf sie wirken, “schon mal einen Spruch” von ihnen abkriegen.

Diese Deppen! Wie unaufgeklärt seid ihr eigentlich?

Sorry, geht gleich wieder.

Entweder macht man das, weil man dafür in der gleichgesinnten Peergroup Anerkennung bekommt, oder man macht es, weil dahinter nichts anderes als eine starke Unsicherheit mit der eigenen Sexualität und den eigenen Neigungen liegt. Oder beides. Bei letzterem findet hier aus psychologischer Sicht eine Projektion statt, in der die eigenen Ängste, Unsicherheiten und abgelehnten, unterdrückten Bedürfnisse auf Homosexuelle projiziert werden. Homosexualität wird dadurch von den Schutzmechanismen des Unterbewusstseins als eine Gefahr wahrgenommen. In schlimmeren Fällen sogar als etwas, das es zu bekämpfen gilt.

Das muss nicht heißen, dass diese Männer alle selber homosexuelle Neigungen haben. (Hint: Es haben mehr Männer homosexuelle Neigungen, als man glaubt, auch selbsternannte Heteros.) Sondern dies kann auch einfach durch Scham, Tabus, oder anderes verursacht worden sein, was dazu führt, dass man seine eigene Sexualität nicht nach seinen eigenen Wünschen auslebt.

Und “schon mal einen Spruch” abkriegen, klingt erstmal harmlos, ist es für die Betroffenen aber in aller Regel nicht. Vor allem, wenn das täglich passiert und man nicht weiß, ob den Worten auch noch andere Formen von Gewalt folgen.

Also, liebe Männer, lasst den Scheiß! Die Aufklärung ist über 200 Jahre her und ihr habt sie immer noch verpennt.

Was ist eigentlich aus den Mottos “Leben und leben lassen” oder “Jeder soll nach seiner Façon selig werden” geworden?

Gefühle zeigen

Nächster Punkt:

Gefühle zeigen steht nicht gerade ganz oben auf der Liste für die Befragten. Eine knappe Mehrheit gab an, sich dann schwach und angreifbar zu fühlen. Zugleich erklärten fast zwei Drittel, dass sie sich innerlich manchmal traurig, einsam oder isoliert fühlten.

Ich verrate euch ein Geheimnis: Beides hängt miteinander zusammen.

Gefühle zu unterdrücken führt dazu, dass man sich innerlich einsam und isoliert fühlt. Des Weiteren kann man Gefühle nicht selektiv unterdrücken. Wenn ich die “negativen” Gefühle unterdrücke wie Wut oder Trauer, beschneide ich mich auch in den “positiven” Gefühlen wie der Lebensfreude.

Und sich verletzlich zeigen und angreifbar machen ist der Schlüssel für menschliche, emotionale Verbindung.

Damit übergebe ich das Wort an Brene Brown, die das besser erklärt, als ich es jemals könnte:

Einzelgängertum

71 Prozent glauben der Studie zufolge, persönliche Probleme selbst lösen zu müssen, ohne um Hilfe zu bitten.

Das ist ein gewaltiges Problem, und zwar für die Männer selbst.

Zu diesem Thema habe ich unter diesem Link gerade selber eine Umfrage laufen. Diese zeigt aktuell (Stand 11.06.2023 bei 139 Antworten), dass ungefähr die Hälfte der Männer ein Problem damit hat, um Hilfe zu bitten, oder dass sie überhaupt keine Freunde haben, die sie um Hilfe bitten könnten.

Das ist erschreckend. Und das ist unter anderem auch mit ein Grund für die höhere Suizidrate unter Männern. Appell an alle Männer, hinterfragt hier bitte euer Verhalten und seid auch für andere Männer da, wo es nötig ist! Wir haben hier große Hausaufgaben zu erledigen. Die Frauen sind uns da deutlich überlegen und viel besser darin, sich zu verbinden und gegenseitig zu unterstützen. Da dürfen wir uns eine Scheibe von abschneiden.

Gesundheit

Gesundheitliche Probleme ignoriert die Hälfte der Befragten, in der Annahme, sie gingen von selbst wieder weg.

Ich gestehe, das kenne ich manchmal auch von mir. Letzten Endes ist es einfach nur eine Verantwortungslosigkeit sich selber gegenüber. Den harten Hund markieren, keine Schwäche zugeben und sich damit langfristig selber schaden. Wir brauchen uns nicht darüber wundern, dass Frauen eine höhere Lebenserwartung als Männer haben. shrug

Echte Männlichkeit

So, jetzt wird es nochmal spannend, jetzt geht es darum, was ein “echter Mann” ist!

Wichtig ist den jungen Männern der Studio zufolge ihre äußere Erscheinung. 59 Prozent gaben an, viel dafür zu tun, einen sportlichen und muskulösen Körper zu haben. Damit und mit ihrem Auftreten wollen die meisten von ihnen zeigen, dass sie ein “echter Mann” sind.

Gegen einen sportlichen und muskulösen Körper ist nichts einzuwenden, wenn ich trainiere, um mich wohler und gesünder zu fühlen. Oder wenn ich als Athlet vielleicht sogar sportliche Ziele verfolge. Wenn es darum geht, aus reinem Narzissmus heraus zu trainieren, weil ich die Anerkennung anderer Männer bekommen will, habe ich ein Problem. Das wurde natürlich in den letzten Jahren durch die Social-Media Influencer noch deutlich verschärft, weil die gefakten Bilder der Super-Athleten am eigenen Selbstwert knabbern. Hier sind wir untendrunter auch wieder beim ungesunden Leistungsdenken.

Fast zwei Drittel messen sich nach eigener Aussage gerne mit anderen, 43 Prozent sagen, sie fahren gern draufgängerisch Auto und ähnlich viele stimmten zu, dass sie manchmal so viel Alkohol trinken, dass sie nicht mehr wissen, was sie angestellt haben.

Sich mit anderen messen zu wollen ist erstmal nichts Verwerfliches. Im Gegenteil, das ist für viele ein natürlicher Impuls, der leider den Jungen schon im kleinen Alter, insbesondere in der Schule ausgetrieben und abtrainiert wird. Wettkämpfe gehören dazu, sonst hätten entsprechende Sport-Events auch nicht so hohe Einschaltquoten, wenn das Bedürfnis danach nicht vorhanden wäre.

Ob es jetzt sinnvoll ist, sich mit anderen im Straßenverkehr oder beim Alkohlkonsum zu messen, steht wieder auf einem anderen Blatt. Dieses als “echte Männlichkeit” zu bezeichnen, lässt eher auf eine sehr unreife Vorstellung von Männlichkeit schließen. Auch hier geht es eher wieder nur um den Wunsch nach Anerkennung anderer Männer.

These meinerseits: Die meisten Männer suchen diese Anerkennung bei anderen Männern, weil ihnen früher die Anerkennung des eigenen Vaters gefehlt hat. Dieses führt im Erwachsenenalter zu Kompensationsverhalten, und Ersatzhandlungen, um diese emotionale Wunde zu schließen. Was ihnen auf dem Weg des Komasaufens aber nicht gelingen wird.

Hier komme ich jetzt auch wieder zurück auf den ungesunden Leistungsgedanken. Viele Männer glauben heute, dass Leistung == Liebe bedeutet, sie verstehen aber den Unterschied zwischen “Anerkennung” und “gemocht werden” nicht. Anerkennung bekomme ich für etwas, das ich getan habe. Gemocht werde ich, weil ich so bin, wie ich bin. Dies führt dazu, dass viele Männer sich so sehr ins Leistung bringen hineinsteigern (siehe auch oben bzgl. der Versorger-Rolle und Erwerbsarbeit), dass sie entweder in den Burnout rennen oder im Hamsterrad hängenbleiben. Ständig auf der Suche nach etwas im Außen, was sie letzten Endes aber nur in sich selber finden können. (Der letzte Satz klang jetzt pathetisch, aber so ist es leider.)

Die Mehrheit der befragten Männer ist mit sich und ihrem Männerbild im Reinen, so die Studie. Gleichzeitig fühlt ein Großteil einen Veränderungsdruck. Etwas mehr als die Hälfte ist bereit, sich weiterzuentwickeln, 38 Prozent möchten dagegen in Ruhe gelassen werden.

Es stimmt mich am Schluss dann doch optimistisch, dass mehr als die Hälfte bereit ist, sich weiterzuentwickeln. Die anderen werden dann früher oder später ihren Wake-Up Call bekommen, wenn das Leben vor die Wand fährt, weil z.B. die Frau die Scheidung einreicht und die Kinder mitnimmt und die Männer dann nicht verstehen, wie das passieren konnte.

Dass die Frauen am Ende des Artikels ganz andere Erwartungen hinsichtlich Gleichberechtigung, Rollenverteilung und Machtmissbrauch haben, ist verständlicherweise nicht verwunderlich.

Und wer sich jetzt fragt, wie ich mich als Mann denn überhaupt weiterentwickeln kann, könnte zum Beispiel damit anfangen, sich über folgende Fragen Gedanken zu machen:

Das waren jetzt nur ein paar Gedanken, die mir spontan in den Kopf kamen. Wer sich weiter damit beschäftigen möchte, für den habe ich noch zwei Buchtipps zum Einstieg:

Sie kommen beide aus etwas unterschiedlichen Richtungen. Björn macht klare Ansagen und orientiert sich am psychologischen Modell der Archetypen. David kommt eher aus einer spirituelleren Richtung. Aber letztendlich wollen beide das gleiche Ziel erreichen, nämlich einen reifen, bewussten Mann, der aus sich heraus die Welt zu einem besseren Ort macht.

Disclaimer: Björn war eine Zeit lang mein Lehrer. Ich habe viel von ihm gelernt, teile aber nicht alle seiner politischen Ansichten. Dennoch ist sein Buch eine klare Empfehlung. Das Pendant für Frauen ist übrigens das Buch Weiblichkeit leben von Leila Bust.


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