Berufung
Vigillesung am 20. Januar 2025 in der Benediktinerinnenabtei St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen
Eine Wegkreuzung zeigt dort, wo die Existenz sich mir vielleicht als ein Ganzes erfahrbar macht, das mir zu eigen gegeben ist, ohne dass ich darüber verfügen könnte. Innerhalb dieses Raumes zwischen der Geburt und dem am Horizont erscheinenden Todes, können die verschiedenen Seiten der menschlichen Erfahrung, die hier das Wort „Berufung“ bezeichnet, zusammenkommen. Wir haben sie auf den Nenner gebracht: „du kannst- einmalig sein- und deine einmalige Existenz für den anderen in allen deinen Entscheidungen aufs Spiel setzen“. Der Zugang zum Hören dieses „Du kannst…“ öffnet sich in der Begegnung mit Menschen, die zu Identifikationsfiguren werden. Stabile „Lebensformen“ oder „Stände“ erleichtern es, diesen Weg hin zu mehr Fruchtbarkeit zu finden. Sicherlich aber erschweren die Wandelbarkeit und Vielfältigkeit dieser Lebensformen in unseren europäischen Gesellschaften heute die Suche eines jeden nach seiner menschlichen Berufung. Hier schreibt sich das Evangelium in den Prozess des Zugangs zu unserem Menschsein ein und gibt ihm einen neuen Rahmen, eine neue Orientierung. Es geht dann von der „menschlichen Berufung“ zu der sehr spezifischen Gestalt über, die diese in der „christlichen Berufung“ erhält.
Christoph Theobald