Predigt in der Klosterkirche St. Michael
Kloster Oberzell, 27. April 2025 Evangelium: Johannes 20, 19-31
Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder, einen Nachruf auf Verstorbene zu halten, ist immer ein schweres Unterfangen. Denn wer kann schon einem Menschen wirklich gerecht werden? Erst recht, wenn es sich um das Oberhaupt der katholischen Kirche handelt. So wähle ich einen persönlichen Zugang als Katholikin und Ordensfrau, als Franziskanerin und Theologin, um von Papst Franziskus Abschied zu nehmen. Im Johannesevangelium haben wir gerade gehört, dass die Jünger bei verschlossenen Türen beisammen waren. Auch ein Papst wird bei verschlossenen Türen gewählt. Beim letzten Konklave wurde vor zwölf Jahren aus Jorge Mario Bergoglio Papst Franziskus. Der erste Jesuit auf dem Stuhl Petri und der erste, der sich den Namen des armen Franz von Assisi wählte. Ich erlebte seinen ersten Auftritt am 13. März 2013 vor dem Fernseher. Der unbekannte Neue vom Ende der Welt machte von Anfang an vieles anders. Nach einem freundlichen „Bona sera“ – „Guten Abend“, bat er die Gläubigen für ihn zu beten. Seine Worte erreichten mich. Ich bekam Gänsehaut und dachte: „Krass, der meint das ernst und er meint auch mich. Er nimmt die Gläubigen ernst. Er sieht sich als Teil des Volkes Gottes.“ Meine Herzenstür hat sich sofort geöffnet. Im Evangelium heißt es weiter, die Jünger freuten sich, als sie den Herrn sahen. Das galt auch für den bescheiden auftretenden Bischof von Rom. Franziskus strahlte eine unglaubliche Präsenz aus. In persönlichen Begegnungen war es menschlich, nahbar, zugewandt, offen, neugierig, humorvoll und schlagfertig. Das faszinierte gleichermaßen Politiker und Schauspielerinnen, Obdachlose und Prostituierte, Juden und Muslima, Atheisten und Humanisten.
Als er bald vor Lampedusa einen Kranz für Menschen ins Mittelmeer warf, die auf der Flucht ertrunken waren, war mir klar: Dieser Papst macht seinen Namen zum Programm: Franz von Assisi wandte sich den Aussätzigen seiner Zeit zu. Franziskus von Rom öffnete Türen zu Gefängnissen und Flüchtlingslagern. Er besuchte sie, wusch ihnen die Füße und küsste sie. Das außerordentliche Heilige Jahr der Barmherzigkeit eröffnete er Ende November 2015 in der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik. Vor meinem Klostereintritt hatte ich zehn Monate in diesem Land im Herzen Afrikas gelebt. Selber war ich zu der Zeit gerade bei unseren Schwestern in Südafrika. Über das Handy schaute ich zu, wie sich die hölzernen Türen der Kathedrale von Bangui öffneten.
Und ich weinte, als der Papst im einzigen Krankenhaus vor Ort, Aids-Kranke besuchte und unterernährten Kindern zärtlich über den Kopf streichelte. Dieser Papst öffnete die Türen zu den Herzen der Armen, der Verlassenen, der Ausgestoßenen, der Verachteten und Arm gemachten. Barmherzigkeit und Freude des Evangeliums waren Schlüsselbegriffe seines Pontifikats. In seinen Berührungen und Gesten hat er sie glaubhaft erfahrbar gemacht. Franziskus war ein Papst zum Anfassen. Im heutigen Evangelium heißt es weiter: „Und Jesus sagt ihnen: Friede sei mit euch!“
In Bangui, Abu Dhabi oder bei seinen 47 Reisen tat Franziskus immer dasselbe: Konfliktparteien rief er zum Frieden und zur Versöhnung auf. Juden, Christen und Muslime bezeichnete er als Kinder des einen Go;es. Die ganze Welt lud er zu globaler Geschwisterlichkeit und sozialer Freundschaft ein. Der Appell die Würde jedes einzelnen Menschen und aller Menschen zu achten, zieht sich durch seine Lehrschreiben. Ebenso die Mahnung, die Erde als unser gemeinsames Haus zu schützen.
Unsere Schwester Angela Kruppa hat vor 25 Jahren mit den Ordensleuten für den Frieden vor der Deutschen Bank in Frankfurt demonstriert. „Unsere Wirtschaft tötet“, stand auf ihren Transparenten. In der Kundenhalle hatten sie sich auf den Boden gelegt, um zu zeigen, dass ungezügelter Kapitalismus und Profitgier über Leichen geht. Damals hätte kein Mensch geahnt, dass sie eines Tages mit solchen Aussagen offene Türen einrennen beim obersten Repräsentanten der Christenheit. Prophetisch erinnerte Franziskus die reichen Länder an die Verantwortung, Migranten aufzunehmen, zu schützen, zu fördern und zu integrieren. Er wollte, dass Türen und Fluchtkorridore offen bleiben statt dass sich Europa oder die USA in einer Festung einigeln und unempfindlich werden für das Leid anderer. Egoismus, Selbstbezogenheit und Gleichgültigkeit waren für Franziskus Symptome einer kranken Gesellschaft die nur durch ein neues Wir und eine neue soziale Verbundenheit überwunden werden kann. Etwas länger dauerte es, bis er mit der gleichen Entschiedenheit Betroffene sexualisierter Gewalt in der Kirche anhörte und Missbrauchstäter im eigenen System konsequent bestrafte. Dann tat er es aber umso entschiedener. „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“. heißt es im heutigen Evangelium weiter. Empfangt den Heiligen Geist! Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten.“
Theologisch stand Franziskus auf dem Boden des Zweiten Vatikanums. Er hat es weiter umgesetzt. Die Würde aller Getauften stellte er in den Mittelpunkt. Das ganze Volk Gottes ist gesandt die frohe Botschaft Jesu weiter zu tragen. Er wünschte sich eine synodale Kirche, eine Kirche, die an die Ränder geht, die sich verbeulen lässt und die Wunden pflegt wie ein Feldlazarett. Die Kirche sollte ein Zuhause für alle sein; ein Haus mit stets offenen Türen.
Bezüglich der Rolle von Frauen in der Kirche diagnostizierte Franziskus schon in seinem ersten Amtsjahr, dass die Männerherrschaft ihnen Räume verschlossen hat, die die Kirche dringend braucht. Er beförderte Frauen in hohe Leitungsämter der Kurie wie kein Papst vor ihm. Gleichzeitig gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass der Argentinier den Zölibat lockern oder Frauen zur Weihe zulassen würde. Bei den beiden Audienzen, die ich im Mai 2016 und 2019 erlebte, hatten wir Generaloberinnen erwartet, dass sich noch eine Tür auftun könnte. Beflügelt wurde diese Hoffnung, als Maria von Magdala liturgisch aufgewertet und ihr Gedenktag am 22. Juli seit 2016 wie ein Apostelfest gefeiert wird. Doch so viele Kommissionen sich auch seit neun Jahren mit dem Frauendiakonat befasst haben – alle Ergebnisse blieben unter Verschluss. Transparenz und Rechenschaft zählten bislang nicht zu den Stärken des Vatikans. So wurde ich im Laufe der Zeit sehr ernüchtert, traurig und enttäuscht. Als Online-Delegierte der deutschen Kirche bei der europäischen Versammlung in Prag ist mir im Februar 2023 deutlich geworden, welch schwieriges Unterfangen es ist, eine weltumspannende Institution unter einem Oberhaupt zusammen führen zu wollen.
„Sub Petro et cum Petro – Unter dem Papst und mit dem Papst“. Die römisch- katholische Kirche ist und bleibt bislang sehr hierarchisch verfasst und wird ausschließlich von geweihten Männern geleitet. Die Gefahr einer Kirchenspaltung und sein Dienst an der Einheit der Weltkirche wurde oft als Argument angeführt, warum Franziskus keine wirkliche Kirchenreform durchführte, sondern es bei Andeutungen, halbherzigen Neuerungen und Einzelentscheidungen beließ. Gleichzeitig ermöglichte er Debatten und stieß Prozesse an. Das dauert länger, kann aber langfristig nachhaltiger sein. Verkrustete Strukturen weichte er auf. Er bezog das ganze Volk Gottes ein. Eheleute befragte der Vatikan nach ihrem Liebesleben. Während der Weltsynode nahmen in Lateinamerika Zehntausende von Gläubigen an den Kirchenkonferenzen teil. Barmherzigkeit war sein Leitmotiv auch im Umgang mit Schwulen, Lesben oder Transpersonen. Allerdings ist vielen Menschen pastorales Mitleid zu wenig. Sie fordern Gleichheit, Gleichberechtigung und Gerechtigkeit.
Der Papst verfügt als absoluter Monarch über eine ungeheure Machtfülle. So bescheiden und demütig er auch au:ri;. Am Ende hat er das letzte Wort. Franziskus fehlte noch dazu die Hausmacht im Vatikan. Er fremdelte mit der Verwaltung, und ein Großteil der Kurie stand nicht hinter ihm. Noch dazu lebte sein Vorgänger bis Ende 2022 Tür an Tür mit ihm. Zwar hielt sich Benedikt XVI. weitgehend zurück; gleichzeitig hatte er ein Sprachrohr nach außen und wurde immer wieder gegen den Amtsinhaber in Stellung gebracht. Die Kirche verliert massiv an Autorität, Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Nicht erst durch die Missbrauchskrise. Aber seitdem umso rapider. Durch ihr Beharren auf vormodernen Traditionen schließt sie sich immer mehr aus gesellschaftlichen Diskursen aus und wird schlichtweg nicht mehr ernst genommen.
„Betet für mich!“ war der Satz, den Papst Franziskus am häufigsten seine Audienzen beendete. Sich selbst bezeichnete er als Sünder. Als Pilger. Vielleicht so, wie es Thomas tut, als er nicht sofort glauben kann, dass Jesus als Auferstandener bei den Jüngern ist. Zeichenhaft finde ich, wie Franziskus seine letzten Tage verbrachte. Noch einmal war er am Gründonnerstag durch verschlossene Türen ins Gefängnis gegangen. Die Texte für den Kreuzweg im Kolosseum ha;e er selbst geschrieben. Als letzten Besucher empfing er den Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten. Als Vertreter der Trump Administration steht der Katholik Vance so ziemlich gegen alles, was Papst Franziskus wichtig war.
Am Ostersonntag, heute vor einer Woche, trat Franziskus ein letztes Mal auf den Balkon des Petersdomes. Schwer von Krankheit und Schwäche gezeichnet, segnete die Stadt und den Erdkreis. Mit dem Kreuzzeichen verband er Himmel und Erde, Go; und die Welt. Er umarmte das gesamte Volk Go;es und brachte seine Verbundenheit mit der ganzen Menschheit zum Ausdruck. Alle Konfliktparteien der Welt mahnte er zum Frieden. Den Krieg in der Ukraine erwähnte er genauso wie die Konflikte in Israel und Palästina, im Jemen oder Sudan. „Krieg ist immer eine Niederlage der Menschheit.“ Einen Tag später hat er das Zeitliche gesegnet. So sagt der Volksmund, wenn ein Mensch stirbt. Bei Papst Franziskus trifft es zu in doppelter Hinsicht: Mit dem Segen Urbi et Orbi hat er mit brüchiger Stimme noch einmal die Ewige Stadt Rom und den Erdkreis gesegnet. So wurde er seinem Namenspatron auch im Sterben ähnlich. Denn Franz von Assisi drehte sich auf seinem letzten Weg hinunter in die Ebene noch einmal auf der Tragbahre um, segnete seine Heimatstadt und seine Gefährten, bevor er unten bei dem kleinen Kapellchen Portiunkula starb.
Lieber Bruder Franziskus, Du warst als Papst ein Seelsorger, Hirte, Pilger, ein Freund der Armen und Bedrängten aller Art. Ich glaube, dass Dir der Auferstandene am Ende Deines irdischen Pilgerweges die Heilige Pforte zum Ewigen Leben geöffnet hat. Wir beten heute für Dich und danken Gott für Dein Wirken. In einer Woche werden Sr. Rut und ich das auch an Deinem Grab tun. Ich werde Dir Blumen mitbringen, wie ich es immer tue. Und ich werde beten, dass der Auferstandene auch beim nächsten Konklave durch die verschlossenen Türen tritt und den Kardinälen den Friedensgruß zusagt. An seinen Wundmalen werden sie ihn erkennen.
Sr. Katharina Ganz OSF