Warum ich niemals Soldat sein könnte
Meine grundsätzliche Ablehnung von Zwangsdiensten ist mehrdimensional; mit einem Post würde ich die nicht abgebildet bekommen. Ich habe auch weder das Talent noch die Muße, ein Buch zu schreiben, für das die Nachfrage wahrscheinlich auch überschaubar wäre...
Die Wehrpflicht ist allerdings Ausgangspunkt und weiterhin großer Bestandteil der Überlegungen, warum meiner Meinung nach sämtliche Zwangsdienste abzulehnen sind.
Zunächst – für mich Feigling ist der fundamentalste Wert nicht etwa mein eigenes Leben. Mein fundamentalster Wert ist es, nicht selbst zu töten oder dabei mitzuhelfen, dass jemand anders getötet wird.
Also, die alte Frage, Kriegsdienstverweigerer und solche, die es werden wollten, werden sie noch gut kennen:
Du gehst abends mit deiner Freundin im Park spazieren. In einer dunklen Ecke will jemand Deine Freundin vergewaltigen, aber Du hast da – natürlich rein zufälligerweise – eine Kanone in der Hosentasche. Würdest Du etwa nicht schießen?
Die Frage kratzt nur die Oberfläche an, die kürzeste Antwort wäre, “Doch, wenn auch nur in die Luft”. Und schon wird gesagt, dass die körperliche Unversehrtheit Deiner Freundin ebenso wichtig sei wie die Verteidigung Deines Vaterlandes, man war also gut beraten, bloß nicht zuzugeben, dass man den Abzug betätigen würde.
Die Frage wurde natürlich so gestellt, dass man nur verlieren kann, vergleiche auch “Schatz, bin ich zu dick?”
Dennoch ist es nicht der schlechteste Aufhängepunkt, denn man kann die einzelnen Aspekte übertragen.
Würde jemand eine mir sogar gänzlich unbekannte Frau vergewaltigen, würde ich sogar wollen, eine Waffe dabei zu haben, wenn auch nicht mit dem Ziel des tödlichen Einsatzes. Ich würde sogar wollen, gelernt zu haben, damit umzugehen (senkt für alle Beteiligten das Risiko).
Erschießen müsste ich den Täter trotz aller Wut und Abscheu hoffentlich nicht, denn so unsagbar schlimm eine Vergewaltigung ist, so ist sie doch weniger schlimm als die Tötung des Täters. (Als Opfer einer Vergewaltigung dürfte ich das überschreiten, aber nicht als Nothelfer.)
Es ist nun auch so, dass ich eher selten zufälligerweise Waffen mit mir herum trage; das würde ein vernünftiger Mensch ja nur in Erwartung eines Angriffs tun. Dann ist es aber nicht zwingend die einzige Möglichkeit, dem Angriff zu entgehen.
Stellen wir die Frage mal anders:
Eine Artilleriebatterie beschießt einen Wohnblock, von dem Du weißt, dass sich darin Kinder aufhalten. Du sitzt am Steuer eines Bombers. Würdest Du die Bombe auf die Artilleriestellung werfen?
Die Antwort ist ja. Ohne groß zu zögern, eindeutig: Ja, ich würde töten, nicht gerne, aber doch aus Überzeugung. Auch, ohne das mir das jemand befiehlt. Selbst gegen den ausdrücklichen Befehl und mit der Aussicht aufs Kriegsgericht. Und übrigens auch, wenn das die eigene Artilleriestellung ist.
Danach würde ich kotzen gehen. Der Schaden an meinem Selbstbild wäre nicht mehr reparabel und einmal vergossenes Blut kann man nicht mehr von seinen Händen waschen, egal, wie nobel das Motiv sein mag. Die Frage “Habe ich Menschen getötet” ist eine binäre Frage: Ja oder nein, 0 oder 1, nicht “ja, aber weil...” oder “ja, aber war nicht meine Entscheidung”, ja, ich mein nein, äh, jain.
Hätte ich das damals, als mir die (erste) Frage tatsächlich gestellt wurde, so gesagt, hätte ich Wehrdienst leisten müssen: Der Staat nimmt sich heraus (Soldatengesetz), zu entscheiden, was es mir wert zu sein hat, dafür zu töten.
Er lässt mir lediglich einen Entscheidungsspielraum bei rechtswidrigen Befehlen (ich müsste keinen Wohnblock bombardieren, wenn ich wüsste, dass darin Zivilisten sind, was man mir aber auch kaum mitteilen würde).
Theoretisch ließe er mir jederzeit das Recht, aus Gewissensgründen den (weiteren) Dienst zu verweigern. Alleine die bescheuerte Eingangsfrage dokumentiert, wie willkürlich er dabei letztlich sein kann. Man muss kein Genie sein, um zu wissen, dass die Kriterien für Verweigerung im Spannungs- und Verteidigungsfall andere wären als gegen Ende der Wehrpflicht. Im Gegenteil kann man sehen, wie sehr die Schwierigkeit der Verweigerung stark mit der jeweiligen politischen Großlage korrelierte.
Letztendlich kann man sich auch nicht mehr komplett herausziehen: Bereits nach aktuellem Recht führt eine nachträgliche Verweigerung lediglich dazu, dass man nicht mehr mit der Waffe kämpfen muss, nicht aber, dass man hiermit dann aus dem Wehrdienst ausscheide. Logistische Unterstützung in einem als falsch identifizierten Kampf betrachte ich aber als kaum besser.
Daraus folgen einige Überlegungen:
Ausbildung ist bereits Einsatz
Lasse ich mich an der Waffe ausbilden, bin ich automatisch und zwangsläufig bereits selbst eine.
Im Falle unserer fiktiven Vergewaltigung würde es in vielen Fällen reichen, dass der Täter weiß, dass der Begleiter bewaffnet ist, um von seinem Vorhaben abzulassen.
Das ist politisch aber nicht groß anders, es ist ja gerade gewollt, es ist die Argumentation, man würde nicht angegriffen, weil man zeige, dass man wehrhaft sei.
Das ist zweifellos gut und richtig, wenn es um Aggressoren wie Putin geht. Darauf kann ich es als Soldat aber nicht beschränken. Ich schrecke eben nicht nur Putin ab, sondern auch die eines Angriffs eher unverdächtige Schweiz oder – eines wohl zwangsläufig kommenden Tages – Heerscharen Flüchtender auf der Suche nach einem Ort zum Überleben.
“Wir haben ein Militär und können unsere Interessen durchsetzen”, das Aussenden dieser Nachricht kann man nicht mehr verhindern, wenn man ein Soldbuch hat. Vergleiche “Krieg ist die Fortsetzung von Politik mit militärischen Mitteln”. Ist nicht so, weil Parlamentsarmee? Wenn auch mit anderen Voraussetzungen, die US-Armee ist wohl unbestritten ein derartiger Machtfaktor. Entscheide ich mich, Teil einer Armee zu werden, akzeptiere ich zwangsläufig, dass durch meine pure Existenz eine Druckkulisse aufgebaut wird. Das mag mit unserer aktuellen Bundeswehr noch passen. In welche Richtung entwickelt sie sich, auch im in diesen Fall kritisch zu sehenden Zusammenwachsen Europas, wovon selbst Grüne Politiker:innen von “Europa als Machtfaktor” und geopolitischen Gewicht sprechen? Wie würde eine europäische Armee aussehen?
Blankoscheck
Ausgebildete Soldaten benötigt man, um sie im Ernstfall auch einzusetzen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass man sie im Verteidigungsfall nicht befragt, ob sie kämpfen mögen oder gar für was. Militär basiert auf Befehl und Gehorsam. Wenige Soldaten würden dort freiwillig kämpfen, wo das persönliche Risiko am höchsten ist, das Prinzip von Befehl und Gehorsam kann man kaum auflösen. Es ist aber gerade meinem Gewissen gegenüber unmöglich, die Verantwortung für ganz grundlegende Dinge abzugeben.
Teil des Deals ist auch die Gewissenshilfe: Es ist ja nicht meine Entscheidung, ob, wo und wann ich jetzt schieße, ich folge ja lediglich einem Befehl. Drängt sich niemanden Hannah Arendt auf? (Die durchaus zu anderen Schlüssen als ich kommt.)
Unsere Gesetze erlauben es, offenkundig rechtswidrige Befehle abzulehnen. Aber wie viele würden es tun? Was ist überhaupt “rechtswidrig”? Dinge verlieren dann ihre Rechtswidrigkeit, wenn eine Gesellschaft sich dazu entscheidet, etwas sei nicht rechtswidrig. Was Recht ist und was nicht, ist im Spannungsfall nicht der persönlichen Definition des Soldaten unterworfen, sondern dem, was an Definition/Redefinition vom Recht eine Gesellschaft ihrer Regierung zugesteht. Und wir wissen, dass sie dabei weit gehen mag.
Wir sehen doch bereits, wie man mittels “einfacher” Sprachakrobatik die Dinge aushöhlt, wie etwa ein Kriegsgefangener als “irregulärer Kombattant” seiner Rechte beraubt wird. Ja, auch ich weiß, dass die Haager Konvention nicht für Terroristys gilt. Ich habe aber auch keine Illusionen, dass man entsprechende Lücken findet, im Zweifel aus allem Möglichen irreguläre Kombattanten zu machen.
Das mag ich nun heute der aktuellen Bundeswehr auch gar nicht zu unterstellen.
Wer sich aber heute an der Waffe ausbilden lässt, begibt sich aber auch unter die Kontrolle der Gesellschaft von morgen, oder wie sehr hat sich Deutschland und die Politik seit Eurem 18. Geburtstag verändert? Kann man überhaupt absehen, auf was man sich da einlässt? Ob ein Kanzler Höcke Deinen etwaigen Gewissensbissen noch soviel Raum gibt?
Dienst quittieren? Sorry, Leute: Bei einer Mobilisierung ist nicht entscheidend, ob oder warum man den Dienst quittiert hat. Das einzige, was dann zählt, ist, was man gelernt hat und wie einsatzfähig man noch ist. Man kann die Grundausbildung nicht rückgängig machen. Wer heute A zur Parlamentsarmee sagt, der hat keine Kontrolle mehr darüber, ob er auch B sagt, wenn das Parlament eine dystopische Zusammensetzung haben sollte.
Letztlich:
Kontrollverlust
Die Gesellschaft, wie auch immer sie aussieht, entscheidet, welche Zumutungen sie ihren Mitgliedern für Ziele, die “Konsens” seien, antun möchte. Ich bin nicht durch freie Entscheidung Mitglied dieser Gesellschaft, ich definiere mich auch eher als ihr außen stehend. Das Wertesystem dieser Gesellschaft unterscheidet sich bereits heute fundamental von meinem eigenen. Entsprechend hoch ausgeprägt ist meine Bereitschaft, mir von ihr sagen lassen zu wollen (oder zuzulassen, dass sie jemand anderem sagt), was es wert sei, dafür zu töten oder wofür es wert sei, zu sterben. Selbst die Spitze der Grünen wischt Bedenken gegen Aushöhlung von Menschenrechten beiseite, um anschlussfähig zu einem gesellschaftlichen “Konsens” zu bleiben; einem “Konsens”, der in Windeseile durch Brandstifter und nur allzu willige Medien als Brandbeschleuniger aus der Luft geschaffen wurde.
Das dürfen die anderen Mitglieder der Gesellschaft gerne individuell für sich entscheiden, aber ich bin da raus, und ich werde meine Lieben nach Kräften davor schützen, diesem Übergriff ausgesetzt zu sein.
Meine Großväter gingen mit ihren Kriegserlebnissen sehr unterschiedlich um (aber es war herrlich, die beiden aneinander geraten zu sehen...).
Beide “taten nur ihre Pflicht”. Der eine die meiste Zeit im Beschaffungsamt, der andere an der (Ost-) Front, wo er auch Jahrzehnte später nicht müde wurde, zu betonen, er hoffe, niemanden getroffen zu haben, obwohl selbst mehrfach verwundet. (Paradoxerweise war der eine voller guter Worte für den “Feind”, obwohl er wahrhaft grausige Erfahrungen in dortigen Kriegsgefangenenlagern hatte, während der andere mir noch im Grundschulalter vermitteln wollte, an welcher Nasenform man Juden erkenne.)
Ich kann beiden keinen Vorwurf machen; verhetzt wurden sie von Kindesbeinen an, gefragt wurden sie nicht und “es war halt so”, dass man den Stellungsbefehl bekam und in den Krieg zog.
Man darf von niemanden verlangen, das Zeug zum Helden zu haben und ich bezweifle an mir selbst, die Standfestigkeit dazu zu besitzen; umso mehr, als das man in totalitären Systemen sozialisiert wurde und es nur begrenzt funktioniert, meine heutige moralische Messlatte an jene zu legen, die bereits als Teenager verhetzt wurden und zwischen Teenager und Uniform mit Hakenkreuz dran nicht viel Gelegenheit bekamen, zu reifen.
Ich stelle aber auch fest, dass manche eher ins KZ gegangen und gestorben sind, als sich dieser Maschinerie zu unterwerfen und das jeder, der mit einem Schild “Vaterlandsverräter” um den Hals gestorben ist, für mich eher Held ist als jene, die in bravster Erfüllung ihrer soldatischen Pflicht geschossen haben. “Der Soldat kann sterben, der Feigling muss es” – jene, die deshalb gestorben sind, waren gerade nicht feige und mir selbst sehr viel mehr Vorbild, als meine eigene Familie.
Die Entscheidung, wofür man kämpfe
Als Kind des kalten Krieges – der zu meiner eigenen Musterung noch sehr frisch vorbei war – war es eigentlich gesellschaftlicher Konsens, dass man die Wehrpflicht ja insbesondere bräuchte, um sich insbesondere gegenüber dem Warschauer Pakt zu verteidigen. (Sorry, Österreicher: Niemand hatte vor Euch Angst. Nee, we zijn ook niet bang voor een leger camperchauffeurs.)
Meine Haltung dazu war eigentlich recht einfach: “Lieber rot als tot”. Ich war bereits damals nicht bereit, für eine Systemfrage zu töten und ich bin auch nicht bereit, mich für eine Systemfrage töten zu lassen.
Ein Soldat hat nicht die Wahl, ob sein Kampfeinsatz beschränkt ist auf die Evakuierung von Zivilisten, oder ob er nicht doch eher eine Ölpipeline zu sichern habe, die primär der Wohlstandssicherung oder der “unserer Lebensart”, gemeint ist vielleicht primär Artikel 14 Absatz 1. Daran, dass der unserem Parlament Grund genug sei, darf wohl kein Zweifel herrschen.
Unsere Soldaten haben vielleicht vor Ort Gutes getan, aber mit Sicherheit nicht “meine Freiheit am Hindukusch verteidigt”, sondern eine Politik im Rahmen eines Bündnisses umgesetzt und jetzt erzähle mir hier bitte niemand etwas vom “Recht auf Selbstverteidigung”. UN-Resolution wie NATO-Beschluss waren nicht die einzig mögliche Reaktion auf den 11. September; der Einsatz erkennbar Vergeltung, wo Deutschland irgendwie mitmachen musste, aber halt die bestmögliche Rosine pickte. Übrigens die bestmögliche Rosine wegen einer recht breiten Ablehnung picken musste; gleichzeitig versucht man seitdem und mit dem Gerede der Wehrhaftigkeit, Kriegseinsätze zu normalisieren.
Umgekehrt wäre im Zweifel schnell ein Gesetz zur Hand, dass Deutschen Staatsangehörigen die Teilnahme “auf der falschen Seite” in einem Konflikt verbieten könnte; viele unserer Nachbarn haben derartige Gesetze bereits.
Das Drumherum
Staatliche Übergriffigkeit
Ich komme noch einmal auf die Musterung zurück.
Hin ging ich damals mit dem Bewusstsein, dass es halt lästig ist, ich eh verweigern würde und es daher überflüssig fand; Ausmusterung war wenig wahrscheinlich, aber wenigstens mal einen Tag auf raus kommen in eine mir unbekannte Stadt. Ich war sicherlich nicht gehobener Stimmung, als ich der “Einladung, die man nicht ablehnen kann” folgte, aber irgendwann musste halt jeder, war halt normal so.
Was folgte, empfand ich aber schlicht als pure Machtdemonstration und Schikane. Du stehst da und musst dich beschauen lassen wie ein Stück Fleisch. Du musst Dich ausziehen (wirst aber keines Blickes gewürdigt, was gleichermaßen willkommen war, wie es abfällig wirkte), Dich berühren lassen, Deine Intimsphäre wird eklatant verletzt. Ja, ich weiß, es ist “nur” eine medizinische Untersuchung. Aber eine erzwungene ohne medizinischen Sinn und vor allen Dingen ohne die Frage, ob man das überhaupt will; bei einem “zivilen” Arzt habe ich immer die Freiheit zu sagen, stop, mach ich nicht, sag mir, wozu das dient oder nimm sofort deine Wichsgriffel da weg. Dazu halt das Setting, was keinen Zweifel daran lässt, was man denn heraus finden will. Der Staat taxiert, wozu Du wohl zu gebrauchen bist, um sich zu überlegen, wie er über Dich verfügt.
Mir drängten sich Bilder von Sklavenmärkten auf, wo potentielle Käufer den Unglücklichen in den Mund sahen, um daran zu bewerten, ob das Kosten-/Nutzenverhältnis wohl günstig sei. Du wirst nicht zufällig nicht gefragt, sondern es ist integraler Teil, dass Du das halt “zu dulden” hast, es auf deine Zustimmung nicht im Mindesten ankommt.
Ja, ich weiß, Millionen junger Männer haben das ohne groß zu Mucken über sich ergehen lassen und ein “EKG” hat noch niemanden umgebracht. Stell dich nicht so an. Vielleicht war ich das, was man heute Snowflake nennt; es ist für meine subjektive Bewertung dessen aber völlig schnurz, was ich war oder bin. Vielleicht ist es mein angeborener Trotz, aber auf dem Heimweg hatte ich Tränen vor Wut in den Augen.
Unnütz war es nicht, denn da begann der Prozess, darüber nachzudenken, wo die Grenzen dessen liegen, was eine demokratische Gesellschaft aus welchem Grund von ihren Mitgliedern verlangen darf.
Enthemmung
Ich bin vielleicht Vulgär-, aber nicht Totalpazifist. Ich habe schon mit scharfen Waffen (auf Pappkameraden) geschossen, nach ein wenig Übung hatten sie auch keine mehr Chance gegen mich. Ich habe höchsten Respekt vor der Gewalt, die sich da entfaltet, vom Rückstoß, vom Knall. Man spürt die brachiale Gewalt, die sich da entfaltet, wenn man den Abzug durchzieht. Das schreibe ich nicht, um mich als Hartriggel, der mal rumgeballert hat, zu qualifizieren, sondern, um die Überlegung zu begründen, dass eigentlich jede:r, der das mal getan hat, im Gegensatz zu einem Tatortzuschauer (macht peng und dann fällt halt mal wer um) einen Heidenrespekt davor empfinden müsste.
Insofern weiß ich auch um die Hemmung, die jeder fühlende Mensch empfinden muss, bevor er eine Waffe auf einen anderen Menschen richtet und abdrückt. Ich unterstelle auch, dass an der Waffe ausgebildete Menschen diesen Respekt empfinden.
Ein zu gehemmter Soldat ist sicherlich kein gut funktionierender Soldat, also muss Ziel der Ausbildung sein, diese Hemmung in Grenzen zu halten. Drohnen wären da vielleicht hilfreich...
Diese Hemmung würde ich mir für mich aber unbedingt erhalten wollen. Keine Vorstellung ist mir grausiger, als routiniert (weil schon oft getan) einen Knopf zu drücken, der Leben beendet.
Erzwungene Treue
Soldat ist, wer auf Grund der Wehrpflicht oder freiwilliger Verpflichtung in einem Wehrdienstverhältnis steht. Staat und Soldaten sind durch gegenseitige Treue miteinander verbunden.
Nein, einfach nur nein.
Man kann nicht gesetzlich normieren, wem meine Loyalität gilt. Man kann nichtmals gesetzlich normieren, ob jemand überhaupt irgendjemanden oder irgendetwas gegenüber loyal zu sein hat.
Ich habe auch aus vielerlei Gründen keine Veranlassung, dem Treueversprechen des Staates (oder “der Gesellschaft”) irgendeinen Glauben zu schenken, jenseits der Überzeugung, dass es sich als hohle Phrase erweisen wird, wenn es drauf ankommt.
Kriege erzeugen viel Leid und viele körperlich und seelisch verwundete Soldaten. Wird die Gesellschaft bereit sein, ihr äußerst mögliches zu tun, diese Wunden zu lindern? Oder wird sie doch eher sehen, das Leid alles möglichst aus dem Blick zu bekommen, Unbequemes gar zu diskreditieren? Ich bringe mal die Stichworte “Covid ist vorbei” und lade dazu ein, das aus der Sichtweise von vulnurablen Familien zu betrachten, etwa, als Frau Prien mit bestem gesellschaftlichen Rückenwind die Schulpflicht auch für Vulnurable durchprügelte, unter Verschreiung ihrer Gegner.
Unsere Gesellschaft akzeptierte es wenigstens, mehr noch, sie beklatschte es großteils. Frau Prien konnte das nicht tun, sie wurde dafür gefeiert. Politisch hochrangigen Widerspruch gab es nicht, das bedeutet Zustimmung. Wie sieht das mit den Long Covid – Patienten aus? Behandlungskapazitäten fehlen; der politische Wille, daran etwas zu ändern, ist nicht sichtbar. Und diesem Staat soll ich sein Treueversprechen abkaufen?
Einer derartig übergriffigen Gesellschaft kann niemals meine Loyalität gehören. (Das sah ich damals noch sehr anders.)
Gelöbnis
“Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.” (Gelöbnis für Wehrpflichtige)
Jedes Wort wäre gelogen.
Da ist wieder die “Treue”, die eingefordert wird. Man kann niemanden zur Treue verpflichten, schon gar nicht per Gesetz.
Bei einem Soldaten würde ich auch keine Tapferkeit verlangen wollen.
Es ist aus meiner Sicht moralisch vollkommen in Ordnung, wenn ein unfreiwilliger Soldat sagt, “Nein, ich will meine Haut retten” und in der ersten Sekunde desertiert. Wir feiern das, wenn das die Soldaten “des Gegners” tun, wir reden davon, dass es Probleme mit der Moral gäbe. Wir gehen aktuell (Ukraine) sogar soweit, zu sagen, dass das genau das richtige Verhalten sei, die Ukraine macht es ihnen bekanntlich mittels Telefonhotlines so einfach wie möglich. Das ist selbstredend ein geschickter Schachzug und es ist ein riesiger Unterschied zwischen dem, was die russische Armee heute veranstaltet und dem, was wir uns heute vor einer Parlamentsarmee versprechen.
Also, ist es in Ordnung, zu sagen, ja, wir müssen es den “Orks” so leicht wie möglich machen, zu desertieren, von unseren eigenen Soldaten verlangen wir aber Tapferkeit? Vielleicht ist jeder desertierende Ork ja tapferer (weil der Versuch, zu desertieren, beim Ertapptwerden einem Todesurteil nahe kommt) als jener, der heroisch ukrainische Wohnblocks in Schutt und Asche legt?
Für Wehrpflichtige ist daher das Gelöbnis optional. Es führt dann halt lediglich zum Ausschluss aus Beförderungen und damit einer sehr spürbaren Aufbesserung des unverschämt niedrigen Solds.
Kameradschaft
Der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht wesentlich auf Kameradschaft. Sie verpflichtet alle Soldaten, die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten und ihm in Not und Gefahr beizustehen. Das schließt gegenseitige Anerkennung, Rücksicht und Achtung fremder Anschauungen ein. (Soldatengesetz)
Ich frage mich, was dieser Gummiparagraph formaljuristisch bedeutet. Ich bin als Mensch grundsätzlich verpflichtet, die Rechte anderer Menschen zu achten. Ich bin viel zu selten gesetzlich, aber stets moralisch verpflichtet, fremde Anschauungen zu achten, Menschen anzuerkennen (auch Soldaten!), Rücksicht zu nehmen.
Das kann hier also nicht gemeint sein und das ist auch nicht das, was man gemeinhin unter diesem Begriff versteht. Ich kann das Dilemma des Gesetzgebers verstehen: Man wollte diese Kameradschaft unbedingt im Gesetz haben – kann sie aber eigentlich nicht einfordern. Gemeint ist hier jedenfalls sicher nicht allgemeine Kollegialität, die fordert man zu Recht in jeder Gruppe ein, kein Unternehmen könnte ohne sie bestehen. Das Beamtengesetz kommt ebenfalls ohne derartige Formulierungen aus.
Und erneut: Eine besondere Solidarität mit den “Kameraden” (denen, die die Camera teilen?). Warum? Weil sie unter Extrembedingungen entsteht, bzw. dort funktionieren muss?
Ich unterstelle hier eine gewollte Gruppendynamik der Gleichschaltung. “Wir sind hier zusammen drin, wir stehen das zusammen durch.” Dazu gehört dann, halt auch mal fünfe Gerade zu sein lassen, ein übersteigertes “Wir-Gefühl”. Was gedeiht in so etwas? Liefert man den Kameraden im Ernstfall ans Messer, wenn der diesem sich ergebenden Ork eine Kugel in den Kopf gejagt hat? Auch, wenn dieser kurz zuvor einen anderen Kameraden erschossen hat? (Zur Verdeutlichung: Ich unterstelle Angehörigen der Bundeswehr nicht, dass sie derlei heute goutieren würden, von den zweifellos auch vorhandenen Faschos mal abgesehen. Aber was entsteht dann tatsächlich in der entfesselten Gewalt eines großen Krieges?)
Man mag von dieser Kameradschaft halten, was man will, aber Mỹ Lai wäre ohne Kameradschaft weder möglich noch vertuschbar gewesen, und Hugh Thompson war lange Zeit nicht der Held, als der er 30 Jahre später geehrt wurde, sondern ein Nestbeschmutzer. Und: Hätte er das einzig Richtige getan, wäre er “enger Kamerad” der Einheit gewesen, die das Massaker verübte? Vielleicht hätte er – manche:r Andere aber auch nicht.
Wir kritisieren zurecht Korpsgeist bei der Polizei. Hier ist er gesetzlich normiert.
Und, wo “Kamerad” von “Camera”, also Zimmer bekommt, als jemand, der als Zivi eben nicht daheim lebte und entgegen vorheriger Versprechen auch nicht alleine ein Zimmer hatte: Ich habe aufgeatmet, als seine Dienstzeit vorbei war; das war eine Person, die geeignet war, meinen Pazifismus auf eine sehr harte Probe zu stellen. Gelehrt hat es mich, die Tage zu zählen, bis es soweit war, aber sicher nicht gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Also, was ist das: Kameradschaft mit Menschen, mit denen man als künstliche Schicksalsgemeinschaft zusammen gewürfelt wird? Und welche Gefahren birgt es?
Das Stochern nach Akzeptanz
Es gibt Menschys, die bekommen Pickel, wenn jemand gendert, weil sie meinen, man versuche, sie umzuerziehen. Ich kann das zu einem gewissen Teil nachvollziehen: Ich bekomme diese Pickel beim Versuch, mich umzuerziehen nämlich ebenfalls.
Ich bin mir sicher, es gibt eine ganze Reihe Maßnahmen, die die Bundeswehr für Menschen, die zu anderen Schlüssen als ich kommen, attraktiver machen. Die Aussicht, für eine Behörde zu arbeiten, ist sicher für viele Menschen grausig und wenn diese Behörde das für seine Regelungswut bekannte Verteidigungsministerium ist, wird es sicher nicht damit getan sein, das “Kreiswehrersatzamt” in “Karrierecenter” umzutaufen. Von der Leyen lag sicher auch nicht ganz falsch damit, die Bundeswehr als familienfreundlichen Arbeitgeber zu positionieren (ich mag nicht darüber urteilen, wie erfolgreich sie dabei war).
Von Amis kenne ich “uniformierte Soldaten haben an der Kasse Vorrang”, einen ins völlig Absurde übersteigerten Kult am Veteran's Day. Was soll das? Einen ganz und gar nicht “normalen” Beruf mit einem Hauch Heldentum und Dankbarkeit zu umgeben?
Entweder, man möchte, dass das ein “normaler Beruf” sei. Dann bedeutet das, die Bundeswehr muss am Arbeitsmarkt bestehen für jene, die das mit ihrem Gewissen vereinbaren können. Dagegen ist auch wenig zu sagen.
Oder es ist eben kein “normaler Beruf”, sondern man muss eine Aura drum herum erschaffen. Darin sehe ich (nicht nur aus Gründen der Steuergerechtigkeit hochgradig fragwürdige) Dinge wie “Bahn fahren mit Uniform gratis” “um die Sichtbarkeit der Bundeswehr in der Öffentlichkeit zu erhöhen” über die Praxis, Gelöbnisse möglichst in der Öffentlichkeit aufzuführen bis hin zur Forderung, dass Schulen die Bundeswehr zwecks Nachwuchsgewinnung in die Schulen lassen solle.
Beim seinerzeit wohl verpflichtenden Gespräch mit dem Spieß am Ende der Musterung sagte ich nur das Allernötigste und blockte das Gespräch ab. Er wird mich für einen verstockten Dreckszivi gehalten haben, während er betont offen-freundlich war. Nun bin und war ich nicht besonders gerne unfreundlich; meine Überlegung war recht einfach: Ich bin kaum vorbereitet in dieses Gespräch gegangen, während ich jemanden gegenüber sitze, der jedes Argument von mir bereits gehört hat und entsprechend einen Fundus an möglichen Antworten darauf parat hat. Jeder bessere Verkäufer übt derlei, nennt sich dann “Einwandbehandlung”. (“Nein” = “Noch Eine Information Notwendig”). Diesen ungleichen Kampf wollte ich mir schlicht nicht geben.
Und dann höre ich heute Forderungen danach, die Bundeswehr verpflichtend auf Schülerys loszulassen. Was soll denn das werden? “Information”? Man möchte Schüler für die Bundeswehr gewinnen, das ist ja nun einmal erklärtes Ziel.
Also schickt man für diesen Zweck geschulte Offiziere an die Schulen und da der Zweck “Werbung” ist, werden auch die Methoden “Werbung” sein. Wir sind uns wohl alle einig, dass der Begriff “Produktinformation” für “Werbung” eine unzulässige Verharmlosung ist. Ich kann nicht nachvollziehen, wie man einerseits argumentieren will, dass Werbung für Schokoriegel (ungesund) an der Schule nichts zu suchen habe (“verführend”), andererseits Werber für einen Job, dessen für und wieder sehr komplexer Entscheidungsprozesse bedarf, dann an Schulen okay seien. Wohlgemerkt ein Setting, wo man nicht so straffrei verstockt sein kann, wie ich es seinerzeit bei meiner Musterung war, sondern obendrein dem sozialen Druck von Lehrern und Mitschülern ausgesetzt ist. Ich sag's ganz offen, mit 17 wäre ich womöglich leichte Beute geworden, zumal ich da noch das Bedürfnis verspürte, Unterstützung eines demokratischen Rechtsstaats zu demonstrieren.
Normaler Job? Lassen wir auch die Müllabfuhr (ehrenhafter Beruf, dringend erforderlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, insbesondere beim bevorstehenden Weihnachtsfest!) auch verpflichtend in die Schulen, damit sie die Schüler von den Vorteilen und Notwendigkeiten dieses Berufs zu überzeugen? Wie sähe es mit Windanlagenkonstrukteuren aus? Die brauchen wir ebenfalls dringend. Ohne Krankenschwestern sind wir ebenfalls alle am Arsch.
Man hat also offenbar ein Rekrutierungsproblem. Sich dambezüglich an – was das Für und Wider des Soldatenberufs angehende – recht naive Schülern zu vergreifen, um eine höhere Abschlussquote zu erreichen, treibt mich ähnlich hoch auf die Palme wie eine Maske eine Horde Querdenker.
Fazit
Am Ende kommen völlig paradoxe Schlüsse dabei heraus:
- Ich wäre gerne in der Lage, zu töten, um fundamentalste Werte (Dritter...) zu verteidigen.
- Heute (nicht aber als junger Mann) würde ich mein eigenes Leben nicht mit Waffengewalt verteidigen; der Wert, zu sterben, ohne jemand anderen getötet zu haben, wiegt für mich gerade im Sinne der Selbstliebe schwerer. Niemals würde ich allerdings jemanden das Recht absprechen wollen, das anders zu handhaben.
- Eine Gesellschaft mag das Recht haben, sich zu schützen; sie hat aber niemals das Recht, von ihren Mitgliedern zu verlangen, das für sie zu übernehmen, sondern muss das aus eigenem Antrieb schaffen.
- Im Abstand der Jahrzehnte wäre ich heute Totalverweigerer.
- Der Wehrdienst ist eben genau “kein normaler Beruf” wie alle anderen und darf auch nicht so behandelt werden. Schon gar nicht ist es zulässig, ihn als solchen zu verkaufen, mit künstlicher Anerkennung zu überschütten oder nicht ohnehin schon interessierten Jugendlichen als etwas “vollkommen normales” hinzustellen. Ebenso muss dieser Beruf aus anderen Gründen attraktiv sein, als lediglich “ich kaufe nicht dein Gewissen, sondern deine Armut”. Gewissen darf niemals zur Luxusfrage Reicher werden.
Soldatenbashing und Disclaimer
Das liest sich jetzt hier vielleicht wie Soldatenbashing. Das ist es nicht. Ich habe Freunde, die aus Überzeugung (in anderen Ländern) Berufssoldaten waren. (Das Thema war dann durchaus gerne Streitthema, und wir sind nicht auf einen gemeinsamen Nenner gekommen. Muss und kann man halt aushalten.) Ich kenne auch eine ganze Reihe Menschen, die aus Überzeugung Wehrdienst geleistet haben.
Wenn man die vielen aufgeführten Kritikpunkte hier liest, so muss man doch bitte auch dabei anerkennen, dass der größte Teil hier auf unfreiwillige Soldaten gemünzt ist. Ich bin nicht so naiv, zu glauben, wir kämen ohne Militär aus. Wir brauchen die Abschreckungswirkung, ich bin nicht bekloppt genug, zu glauben, dass in einer Welt, die von schwindenden Ressourcen geprägt sein wird, undenkbar ist, angegriffen zu werden. Aber daneben, dass ich jedwedem Kurs dahin meine demokratische Unterstützung verweigern muss, verlange ich doch das unbedingte Recht, nicht Teil dessen zu sein.