Das Auswärtige Amt fordert Touristen in Georgien dazu auf, sich über die politische Situation auf dem Laufenden zu halten. Also schaue ich einmal täglich in ein georgisches Online-Journal, das der Regierung offenbar kritisch gegenüber steht. Manchmal erschreckt mich (wie schon in Armenien), wie wenig ich im Land von dem mitbekomme, was innenpolitisch gerade wichtig ist.
Gerade heute haben sich die EU-Außenminister*innen „beunruhigt“ und „zutiefst besorgt“ über die „sich verschlechternde Situation“ in Georgien geäußert. Sie reden von Inhaftierungen, willkürlichen Verhaftungen und zunehmenden Repressionen gegen Kritiker der georgischen Behörden, Vertreter der Zivilgesellschaft, friedliche Demonstranten und unabhängige Journalisten. Dazu kommen Gesetzesänderungen, die die unabhängige Zivilgesellschaft und den legitimen Protest unterdrücken sollen.
Auf einem Weg durch die Dörfer in Svanetien komme ich an einer unscheinbaren Kirche vorbei. Davon gibt es hier sehr viele. Jeder Clan hat nicht nur seinen Wohnturm, sondern eben auch seine kleine Kirche gebaut. In der Regel sehr schlicht.
Zwei Dinge erregen meine Aufmerksamkeit. Zum einen sehe ich den blassen Rest einer Wandmalerei an der Nordseite. Zum anderen ist die Kirche verschlossen. Das habe ich hier sonst nicht erlebt. Also frage ich drei oder vier Leute, bis ich einen finde, der weiß, in welchen Haus der Schlüssel ist. Dort klopfe ich an und die Familie schickt den ca. 10jährigen Sohn, der mir die Kirche aufschließt, sich davor setzt und ein Fußballspiel auf dem Handy schaut.
Was ich in der Kirche erlebe, ist unwerfend: ein ganzes Programm wunderbar erhaltener Fresken aus dem (wie ich inzwischen weiß) 14./15. Jahrhundert. Ich bin überwältigt und freue mich, dass der Junge sein Fußballspiel hat – so habe ich Zeit für den Genuss.
Ich kenne das von den längeren Tramp-Touren aus meiner Jugend: Fast immer gab es irgendwann den Punkt, an dem mich mit plötzlicher Vehemenz die Dankbarkeit “überschwemmt” hat. Mit einem Mal war wir klar: Selbst, wenn jetzt alles schiefgeht oder der Urlaub abbricht – ich habe so viel Tolles erlebt, so viele gute Erinnerungen gesammelt, dass die Reise ein großer Schatz bleibt...
Heute war es wieder soweit. Bei meiner Wanderung durch die Berge, nach meinem Blick über die schneebedeckten Gipfel des Kaukasus war genau dieses Gefühl wieder da. Freude und Dankbarkeit. Welch ein Geschenk! Und dennoch bleiben noch ganze elf Tage, wenn Gott will.
Übrigens kenne ich dieses Gefühl nicht nur im Blick auf eine Reise, sondern auch, wenn ich auf mein ganzes Leben schaue.
Das hat mir bislang gefehlt: Endlich auch mal Zugfahren. In Armenien gibt es nur wenige Zugstrecken und da hat es für mich nicht gepasst. So bin ich ausschließlich per Anhalter und mit Kleinbus unterwegs gewesen, zwei ganz kleine Strecken im Taxi.
Heute sitze ich in einem georgischen Zug von Tbilissi in Richtung Westen. Für diesen Zug habe ich gestern das letzte vorhandene Ticket bekommen: 1. Klasse (fahre ich sonst nie). Aber bei 11,20 € für 320 km ist das schon ok 😀. Tickets werden wie üblich pro Platz verkauft, Reservierung also inklusive. Ich werde auch erst reingelassen, wenn ich meinen Pass gezeigt habe und der Name stimmt.
Die Fahrzeit beträgt knapp sieben Stunden – langsam, aber pünktlich. Ich genieße den Blick aus dem Fenster bei (selten) maximal 100 km/h und die kurzen Gespräche mit der netten Familie auf den Nachbar-Plätzen. Und natürlich ist es sehr viel angenehmer als im Kleinbus. Mit dem fahre ich dann gleich anschließend vier Stunden in die Berge – eine Tortur.
Schon seit meiner Jugend fotografiere ich gern. Der Tag, an dem ich endlich meine Praktica LTL 2 kaufen konnte, war für mich ein Fest. Auch heute noch reise ich mit der Spiegelreflex. Inzwischen ist es eine Canon EOS 60D, die auch schon wieder über 12 Jahre alt ist.
“Was machst du dann eigentlich mit den Fotos.”, fragt mich ein Reisender, der mich beim Fotografieren beobachtet.
Zunächst habe ich einfach Freude am Motiv Suchen, Ausprobieren, Bearbeiten.
Dann kommen die brauchbaren Fotos – bearbeitet (falls nötig), gut sortiert und getaggt – auf die Festplatte. Manche Stunde sitze ich und erinnere mich.
Und ein paar veröffentliche ich auf Pixelfed, der freien Fediverse-Alternative zu Instagram. Für alle, die mir da folgen (viele sind's nicht).
Auf Pixelfed könnt ihr übrigens auch eine Auswahl der Fotos sehen, die ich hier unterwegs mache: pixelfed.de/@bildsam. Es sind etliche mehr, als hier im Blog, und es kommen jeden Tag welche dazu.
In einem kleinen Dorf lasse ich mich auf der Bank nieder. Kaum, dass ich sitze, kommt ein älterer Herr vorbei: “Womit kann man dir helfen?”, fragt er sofort. “Ach, ich brauche gerade nichts, danke.” “Aber einen Kaffee musst du mit mir trinken.” Ein paar Meter gehen wir zu seinem Haus. Dort wird schnell ein armenischer Kaffee bereitet und ein paar Aprikosen und Pralinen bereitgestellt. Ein wenig schwatzen, Kaffee trinken. Und nach einer halben Stunde ziehe ich beschenkt weiter.
Inmitten der herrlichen Landschaft hier in Syunik gibt es natürlich auch Geocaches. Das ist etwas, was viele verbindet. Und seit langer Zeit habe ich mir angewöhnt, möglichst in jeder Gegend, in die ich komme, wenigstens einen Geocache zu suchen und zu loggen.
Wer von euch bei geocaching.com registriert ist, muss nur nach GC5CH6V suchen, um zu sehen, wo ich heute war. 😀
PS: Übrigens habe ich in Erfurt selbst auch zwei Geocaches gelegt. Einer führt zu unserer Cyriak-Kapelle. Der andere ist ein Multi-Cache zu Meister Eckhart und zur Gotik in Erfurt. Da ich sie auch bei opencaching.de eingetragen habe, findest du sie auch, ohne registriert zu sein.
Ich treffe hier immer wieder Tourist*innen aus dem Iran. Das ist nicht weit und sie dürfen visafrei einreisen. Ich erkenne sie meist daran, dass sie gut angezogen sind, kein Russisch und kaum englisch sprechen,
Die Frauen, sind offenbar froh, den Bekleidungs-Regeln ihres Heimatlandes entkommen zu sein, so kommt es mir vor: chick und fraulich gekleidet, sorgsam geschminkt, Nägel lackiert und offen. Und natürlich: ohne Kopftuch.
Ein Mann erzählt mir: “Das iranische Volk will Freundschaft mit allen. Aber die Regierung will es nicht.”
Der Iran als Reiseland würde mich auch mal sehr interessieren. Aber jetzt gerade nicht.
Tief unten in der Schlucht ist eine alte Einsiedelei. Sie hat schon bessere Tage gesehen. Etliche Mönche mögen hier gelebt haben. Platz ist genug.
Dann war sie verlassen. Jetzt lebt ein einsamer Mönch dort unten: Vater Hakow. Doch bevor ich ihn treffe, sehe ich am Eingang Arman. Er gehört zu einer Gruppe Männer, die gerade zu Reparatur-Arbeiten hier sind. An ihm komme ich nicht vorbei. “Komm Jungchen, iss erstmal was. Und sto gram (100 g) vom Selbstgebrannten müssen auch sein.” Ich kann ihn auf 50 Gramm von dem leckeren Wodka runterhandeln (will ja noch weiter) und es wird eine sehr nette Begegnung vor dem Eingangstor.
Drinnen treffe ich Vater Hakow, der dabei ist, sein Holz für den Winter zu machen. Der Winter, sagt er, sei die beste Zeit. Da kommt niemand hierher. Und, frage ich, ist es manchmal nicht auch schwer, wenn es dunkel und kalt ist, und er allein sei. “Allein bin ich nie. Ich bin mit Gott. Das ist besser als unter tausend Menschen.”
Im Alter von 16 bis 26 habe ich rund 60.000 km per Anhalter zurückgelegt: vor allem auf dem Balkan, in Polen und in Ostdeutschland. Die vielen Wochen unterwegs – quasi in allen Ferien und oft an verlängerten Wochenenden – betrachte ich noch immer als meine nachhaltigste Bildungserfahrung.
Wenn ich jetzt in Armenien unterwegs bin – oft auf Strecken, auf denen es kaum Busverkehr gibt – und mich darauf verlasse, dass mich jemand mitnimmt, dann kommt all das sofort wieder. Die Überzeugung, dass die, die anhalten genau die richtigen sind, zum Beispiel. Mag es (wie heute) der blitzneue E-SUV von VW sein, der 42 Jahre alte Shiguli, der Uralt-Laster, bei dem ich auf der Ladefläche sitze, der Lada, der mit 120 über die Schlaglöcher brettert, oder der Kleinwagen, in dem schon vier sitzen und ich mit meinem Rucksack nur noch ziemlich gequetscht Platz habe.
Was sich auch sofort wieder einstellt: Die Freude an der Vielfalt der Menschen in den fremden Autos: Schweigsame, von denen ich kein Wort höre. Gesprächige, die mir ihre halbe Lebensgeschichte erzählen. Touristen, die für 2 Tage aus Moskau geflogen kommen und kaum älter als 25 sein können. Der alte Mann, der 120 km fährt, um nach seinen Bienen auf dem Bergpass zu schauen. Menschen, die viel über mich und mein Land wissen wollen. Und solche, die keine einzige Frage stellen.
Jedenfalls liebe ich es. Zumal ich hier zumindest bislang noch nicht länger als maximal 5 min warten musste (und das war eher eine Ausnahme).