Dritte Szene

Es sind sechs Monate vergangen, und die Gedanken an die Schornsteinfeger haben sich tief in seinen Alltag eingefressen. Die Tage vergehen, aber die Erinnerung an den letzten Besuch bleibt lebendig. Er fühlt sich beobachtet, als ob unsichtbare Augen ihn ständig verfolgen. Die Realität beginnt sich zu verzerren, und das Gefühl der Isolation wächst in ihm.

Er hat angefangen, sich im Internet umzusehen, vielleicht aus einer unbewussten Sehnsucht nach Gleichgesinnten, vielleicht einfach nur, um sich abzulenken. Heute ist er auf Kleinanzeigen gestoßen, wie er es gelegentlich tut, wenn die Leere zu groß wird. Er scrollt durch die Angebote, ohne echtes Interesse, bis ihm ein Aufnäher ins Auge springt. Er hält inne, klickt auf das Bild, um es zu vergrößern. Es ist schwer zu erkennen, was genau darauf zu sehen ist, aber die Form wirkt vertraut – fast wie eine Figur, die er nicht mehr aus seinem Kopf bekommt.

Ein durchgestrichener Schornsteinfeger? Er kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber der Gedanke lässt sein Herz schneller schlagen. Die Idee, dass jemand anders denselben Widerstand hegt, dass es da draußen vielleicht doch noch jemanden gibt, der wie er die Zünfte verachtet, bringt ein seltsames Gefühl von Hoffnung mit sich – und zugleich eine tiefe Unruhe.

Er überprüft das Profil des Verkäufers. Keine anderen Artikel, keine Hinweise auf Identität oder Standort. Nur dieser eine Aufnäher, anonym und einsam im Netz. Sein Kopf beginnt zu rasen. Was, wenn dieser Verkäufer genauso denkt wie er? Was, wenn es da draußen tatsächlich andere gibt, die den gleichen Kampf führen, die sich gegen die unsichtbaren Fäden der Tradition auflehnen? Oder ist es eine Falle, eine weitere Täuschung von denen, die ihn schon seit Monaten verfolgen?

Er starrt auf den Bildschirm, hin- und hergerissen zwischen Neugier und Angst. Sollte er Kontakt aufnehmen? Oder würde er damit nur seine Verfolger auf sich aufmerksam machen? Die Paranoia in ihm wächst, doch gleichzeitig fühlt er sich zu diesem mysteriösen Verkäufer hingezogen. Es ist, als ob dieser Aufnäher ein geheimer Code wäre, den nur Eingeweihte verstehen.

Er schließt die Seite, doch die Gedanken lassen ihn nicht los. In sechs Monaten werden die Schornsteinfeger wieder kommen, das weiß er. Er beginnt zu zweifeln, ob er noch einmal die Kraft haben wird, ihnen zu widerstehen. Der Aufnäher bleibt in seinem Kopf haften, wie ein stiller Vorwurf. Vielleicht, denkt er, gibt es doch noch eine Möglichkeit, nicht allein zu sein. Aber was, wenn dieser Verkäufer tatsächlich so ist wie er? Wäre das die Rettung – oder nur der Beginn einer noch tieferen Abwärtsspirale?