Vierte Szene
Er steht vor seinem Schreibtisch, das Glas mit dem klaren Schnaps in der Hand. Der Alkohol brennt in seiner Kehle, doch das ist genau das, was er jetzt braucht – einen letzten Stoß, um den Mut aufzubringen, den er seit Stunden in sich sucht. Der Bildschirm des Laptops leuchtet vor ihm, die Kleinanzeige ist immer noch geöffnet. Der Aufnäher scheint ihn fast anzustarren, als ob er eine Entscheidung von ihm verlangt.
Er nimmt einen tiefen Atemzug und setzt sich. Seine Finger schweben über der Tastatur, während in seinem Kopf tausend Gedanken kreisen. Er weiß, dass es verrückt ist, sich auf diese Ungewissheit einzulassen, aber irgendetwas in ihm – ein Funken Trotz vielleicht – drängt ihn dazu, es zu tun. Wenn es eine Falle ist, dann soll es so sein. Wenn dieser Verkäufer wirklich jemand ist, der ihn versteht, dann muss er es herausfinden.
Er beginnt zu tippen, erst langsam, dann schneller, als der Alkohol seine Nervosität in einen seltsamen Mut verwandelt:
Hallo,
ich habe Ihren Aufnäher gesehen und kann nicht aufhören, darüber nachzudenken. Ist das, was ich denke, wirklich das, was Sie darstellen wollten? Ich frage mich, ob Sie vielleicht denselben Kampf kämpfen wie ich ... gegen die, die uns aufzwingen, wie wir zu leben haben. Vielleicht irre ich mich, aber wenn nicht, würde ich gerne mehr wissen. Wer sind Sie? Und warum dieser Aufnäher?
Er liest die Nachricht zweimal durch. Einfach Furchtbar; Sie klingt vage, unsicher, aber durch einen Geistesblitz, oder womöglich nur ein kurzes Schwindelgefühl, denkt er plötzlich: das muss so sein! Zu viel Offenheit könnte ihn verraten, aber zu wenig könnte die Chance verpassen, Kontakt zu jemandem herzustellen, der ihn versteht.
Mit einem letzten Schluck leert er das Glas und klickt auf „Senden“. Ein kurzer Moment der Panik überkommt ihn, als er die Nachricht abgeschickt sieht. Was hat er getan? Aber es gibt kein Zurück mehr. Die Entscheidung ist gefallen.
Jetzt gibt es nur noch das Warten. Die Minuten dehnen sich, die Stille in der Wohnung wird drückender. Er denkt an die Schornsteinfeger, an ihre nächsten Schritte, und an den Verkäufer, der irgendwo da draußen sitzt und vielleicht gerade seine Nachricht liest.
„Was, wenn ich einen Fehler gemacht habe?“, fragt er sich, doch tief in seinem Inneren weiß er, dass er diesen Schritt gehen musste. Es war unvermeidlich, wie ein letzter Ausweg aus einem Labyrinth, das immer enger wurde.
Er lehnt sich zurück und schließt die Augen, versucht, die aufkommende Paranoia niederzukämpfen. Der Alkohol macht ihn müde, aber er weiß, dass er in dieser Nacht kaum schlafen wird. Zu viele Fragen, zu viele Möglichkeiten.
Doch trotz aller Zweifel spürt er auch eine leise Hoffnung, dass vielleicht – nur vielleicht – er nicht mehr allein in seinem Kampf ist.