Teil von etwas Größerem

Menschen haben das natürliche Bedürfnis, Teil von etwas Größerem zu sein, Teil einer Gemeinschaft. Doch die Angebote im Supermarkt des Lebens aus der Kategorie „Größeres“ haben sich um Laufe des 20. und 21. Jahrhunderts immer weiter ausgedünnt.

Religionen und (Groß)familien sind vielleicht die ältesten Formen dieser Gemeinschaften, doch seit über hundert Jahren befinden sie sich auf dem Rückzug.

Das 19. und 20. Jahrhundert boten uns Ideologien als große Ersatzfamilien und Ersatzreligionen an. Die Idee der Großfamilie Nation aus dem 19. Jahrhundert, der Patriotismus, wurde durch den Nationalsozialismus und andere nationalchauvinistische Bewegungen so pervertiert, dass sie stark an Attraktivität verlor. Die andere große Ersatz-Familie und -Religion, den Sozialismus, hat es durch den Stalinismus und die anderen Pervertierungen ebenso hart getroffen.

Blieb noch der sich ebenfalls im 19. und 20. Jahrhundert zur vollen Blüte entwickelte liberale Fortschrittsglaube: Der Menschheit zu technischem und gesellschaftlichem Fortschritt zu verhelfen durch mehr Wohlstand – höher, schneller, weiter. Auch diese Ideologie bekommt deutliche Kratzer, weil sie zu lange verfolgt wurde, ohne auf unsere planetaren Grenzen zu achten – von natürlichen Ressourcen über Biodiversität bis zu klimaerhitzenden Emissionen. Das einst erhabene Gefühl, im Überschallflugzeug oder dem schnellen Sportwagen zu sitzen, kann für fühlende und denkende Wesen heute nur noch von einem schlechten Gewissen getrübt werden.

Was bleibt? Das, was schon immer da war: Die anstrengendste und zugleich bereicherndste Form der Verbindung – die authentische von Mensch zu Mensch, über Wahrhaftigkeit im direkten Gespräch. Echte Gemeinschaft. Der Weg dahin ist simpel und zugleich schwer: sich zunächst mit sich selbst (wieder) zu verbinden, ehrlich und furchtlos, um sich dann mit anderen verbinden zu können. Mit Offenheit, Verletzlichkeit, dem ganzen Paket der condicio humana – dem ganzen Paket existentieller Ängste.