Der stille, tiefe See... Der Fels in der Brandung... Am Arsch, Leute! Am Arsch!
Boah! Erstmal Luft holen...
Ihr Lieben, das hier wird nur ein kurzer Blogartikel. Nur eine kleine Erkenntnis über mich. Ja, es wird wieder privat und hat mit meinem derzeitigen ADHS-Hyperfokus und meinem neuen autistischen Spezialinteresse zu tun. Richtig, es geht um meinen höchstwahrscheinlichen Autismus. Wer hätte das gedacht! ;–)
Seit meiner frühsten Jugend bekomme ich die Rückmeldung anderer Menschen, ich sei ein netter, intelligenter, sehr tiefgründiger Mensch. Nichts könne mich aus der Ruhe bringen, ein richtiger Fels in der Brandung. Außerdem sei es toll, dass ich nicht verurteile, immer sachlich bleibe, und so weiter.
Das bekam (und bekomme) ich so oft zu hören, dass das ein Teil meines Selbstbildes wurde. Und stimmt schon, irgendwas muss ja dran sein. Wenn ich mit Kindern zu tun habe, dann sind es vor allem die ernsten, die schüchternen oder die stillen Kinder, die meine Nähe suchen. Was mich verwundert, was ich aber auch schön finde. Außerdem werde gerne um Rat bei Privatangelegenheiten gefragt (was mich übrigens oft tierisch stresst). Ich gelte als sehr vertrauenswürdig. Aus irgendeinem Grund lassen viele mir wildfremde Leute mir gegenüber sehr schnell ihre Maske fallen und zeigen sich so, wie sie sich anderen Menschen gegenüber nicht zeigen würden. Ich weiß nicht, warum. Ich nehme es wieder verwundert hin, bin damit aber nicht selten überfordert...
Diese Fremdwahrnehmung meiner Person ist ja irgendwie nett. ABER SIE STIMMT NICHT!
Während mir Menschen bewundernd sagen, dass sie meine ruhige Tiefgründigkeit so sehr mögen, kann in mir in dem Augenblick ein sehr unangenehmes Gefühlschaos toben. Während ich in einer Traube von wunderbaren, ruhigen, schüchternen Kindern sitze, bekommt niemand mit, dass ich gerade mit einem (natürlich stillen) Meltdown kämpfe und kurz davor bin, nicht mehr reden zu können. Stattdessen freut man sich in genau diesem Moment über meine “tolle Art”, mit den Kindern umzugehen. Wenn ich um einen Rat gebeten werde, ist man offenbar sehr glücklich mit meinen “Weisheiten”, die sich allerdings für mich selber als konstruierte, krampfhaft hervorgebrachte Plattitüden anfühlen. Ähnlich wie bei einer Katze, die unter vollem Körpereinsatz einen Haarball herauswürgt. Während ich stinkewütend auf meinen Kollegen bin und ihm zum hundertsten Mal erkläre, dass er Scheiße baut, lächelt er mich offen an und bedankt sich bei mir, weil ich immer so viel Verständnis zeige... Hallo?! Das alles ist doch einfach nur kafkaesk!
Kurz: Mein Innerstes, also mein wahres Gefühlsleben gelangt in der Regel nicht nach außen. Menschen können mich nicht lesen. Zumindest nicht, wenn sie mich nicht gut und lange kennen oder sich wenig Mühe geben. Wenn ich etwas über mich mitteile, kann es sein, dass es überhaupt nicht zu meinem Tonfall, zu meiner Mimik und zu meiner Körpersprache passt. Und ich frage mich seit jeher, warum die Leute oft so dermaßen komisch auf mich reagieren...
Dass mich die Menschen schwer lesen können, ist vermutlich die andere Seite der “Es fällt mir schwer, andere Menschen zu lesen”-Medaille. Nur, dass ich mein Leben lang unbewusst geübt habe, die Anderen zu lesen. Und tatsächlich habe ich für einen Autisten eine gewisse Meisterschaft darin erlangt. Was mir aber bisher völlig an mir vorbeigegangen ist: Mein Unvermögen, mich meiner meist neurotypischen Umwelt mitzuteilen. Denn man hört verdammt wenig auf Worte, wenn sie nicht in einem wahnsinnig komplexen gemeinsamen Tänzchen mit dem Tonfall, der Mimik und der Körpersprache geäußert werden.
Was folgt daraus? Während in der autistischen Gemeinschaft das Entmaskieren ein ganz großes Thema ist, muss ich wohl erst einmal lernen zu verstellen, damit mich andere Menschen lesen können.
Hört ihr den tiefen, resignierten Seufzer, der sich vom Erdrand über die ganze Welt ausbreitet?