fediventskalender

Geschichten geschrieben von Cedara

Es war einmal eine IT-lerin namens Tama, die genug von all den dummen Anfragen auf ihrer Arbeitsstätte hatte. Sie kündigte, und da sie noch Resturlaub hatte, brauchte sie auch nie mehr dorthin zurückzukehren.

Da Tama genug gespart hatte, beschloss sie, für ein paar Monate mit ihrem Fahrrad mit Anhänger auf Reisen zu gehen. Währenddessen wollte sie überlegen, was sie danach machen könnte.

Auf einer ihrer Reisen kam sie spätnachmittags in der Nähe eines Waldes an, an dem ein kleiner Bach vorbeiplätscherte. Da es schon spät war, beschloss Sie dort zu übernachten. Als sie begann, ihr Zelt aufzustellen, schwirrte ihr eine kleine Blaumeise vor der Nase herum. Gleichzeitig amüsiert und irritiert, sagte sie zur Meise: „Hey, lass das!“

„Was machst du da?“ zwitscherte der Vogel und landete auf ihrem Fahrradsattel.

Erstaunt guckte Tama sich um, sah aber niemanden außer dem Vogel.

„Was machst du da?“ wiederholte der Vogel, nun sicher, dass er ihre Aufmerksamkeit hatte.

„Hast du gesprochen?“ fragte sie erstaunt.

„Ja,“ piepste die Blaumeise. „Ich bin Fiete“, er machte mit dem Flügel eine Verbeugung, fast wie ein Hofknicks, „Und wie heißt du?“

„Tama,“ sagte die IT-lerin, amüsiert.

„Was machst du da, Tama?“ fragte Fiete, die Blaumeise.

„Mein Zelt aufbauen,“ antwortete sie. „Es ist spät, und ich schaffe es nicht bis zum nächsten Hotel bevor es dunkel ist.“ Tama konnte immer noch nicht so recht glauben, dass sie mit einer Blaumeise redete.

„Brauchst du nicht,“ sagte Fiete, „ich weiß was besseres. Komm mit!“ Die Meise flog auf.

„Warum?“

„Weil ich den Weg nach Weitfortistan weiß!“ sagte Fiete, als wäre das eine logische Erklärung.

„Weitfortistan? Wo ist das?“ Tama ging davon aus, dass die Blaumeise einen Zeltplatz meinte.

„Komm mit! Ich zeige dir den Weg.“

Neugierig legte Tama ihre Sachen wieder in den Fahrradanhänger. Ihr Fahrrad schiebend folgte sie Fiete, der sie beide in den Wald hineinführte. Kurioserweise war dort ein Weg. Wieso hatte sie den vorher nicht gesehen?

„Durch den Wald?“ fragte sie Fiete.

„Ja,“ piepste die Meise. „Wir müssen zum Tor.“ * *

Mit zunehmendem Abstand vom Waldrand schien der Weg breiter zu werden, und während Tama überlegte, wieder auf ihr Rad zu steigen, um mit der Meise leichter mithalten zu können, trafen sie beide auf ein Tor.

Tama hatte ein Holztor mit Steinpfosten an den Seiten erwartet, oder vielleicht einfach ein Gartentor mit Umzäunung für einen Zeltplatz. So etwas wie dieses wäre ihr jedoch nie in den Sinn gekommen.

Sie stellte ihr Rad ab und schaute sich das Tor genauer an.

Es schien aus zwei ineinander verschlungenen Bäumen zu bestehen. Die Pfosten waren die Stämme der Bäume: dicke Stämme, mit einer unebenen, schuppigen Borke und kleinen Baumperlen. Die Äste der Bäume waren so gewachsen, dass sie einen Torbogen bildeten. Trotz alledem waren die Bäume belaubt, in einer Blattform, die Tama nicht kannte.

Auf der Vorderseite war es unterhalb des Torbogens hell. Der Weg, auf dem sie stand, schien direkt zwischen den Bäumen durchzuführen. Es war wie der Eingang zu einem Haus am Abend, in dem der Flur hell beleuchtet war.

Tama ging um einen der Bäume herum.

Auf der Rückseite flimmerte es unterhalb des Torbogens dunkel und es wirkte flach wie eine 2D Zeichnung. Tama berührte den Bereich vorsichtig. Es fühlte sich wirklich wie eine Wand an. Nicht unangenehm, aber man merkte, dass es dort kein Durchkommen gab.

Dem Torbogen den Rücken zugekehrt, sah sie nur den Wald. Alles war in Dämmerung liegend, was nach einem kurzen Blick auf ihre Armbanduhr der Tageszeit entsprach.

Sie kehrte wieder auf die Vorderseite zurück.

„Was zögerst du?“ piepte Fiete und landete auf ihrem Lenker. „Nimm dein Fahrrad und fahr durchs Tor, dann bist du in Weitfortistan!“

„Das sagst du so leicht,“ antwortete Tama und ging näher an die helle Fläche unter dem Torbogen heran.

Vorsichtig berührte Tama die helle Fläche. Als sie bemerkte, dass sie ihre Hand in die Fläche eintauchen konnte wie in warmes Wasser, zog sie ihre Hand schnell wieder zurück. Sie grinste und fühlte sich plötzlich wie in einem Abenteuer.

„Also gut,“ sagte Tama und ging zurück zu ihren Fahrrad. „Los geht‘s.“ Sie stieg auf und mit der Meise weiter auf dem Lenker sitzend, fuhr sie durch das Tor hindurch.

  • *

Tama blinzelte und stoppte. Nachdem sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, guckte sie sich um.

Das Tor hinter ihr war immer noch da, nur war es unter dem Torbogen jetzt dunkel, was logisch war. Schließlich war Dämmerung auf der anderen Seite. Neben dem Tor war ein kleiner Wald und ein Bach, der in der Nähe der Bäume vorbeifloss. Es war fast, als wäre der Wald von der anderen Seite hier herübergewachsen.

Es war warm und wenige Wolken waren am Himmel zu sehen. Der Weg, auf dem sie durch das Tor gekommen war, führte auf dieser Seite weiter, abwärts, in ein Tal und scheinbar auf eine Siedlung zu, die sie von ihrem Punkt aus sehen konnte.

Während sie sich umgeschaut hatte, war Fiete wieder aufgeflogen und begrüßte eine andere Blaumeise. Sie flatterten umeinander herum und setzten sich schließlich auf einen Ast in Tamas Nähe.

„Fiete,“ hörte Tama die andere Meise piepsen, „da bist du endlich! Ist sie das?“

„Ja,“ antwortete Fiete, „bitte flieg vor und sag der Kastellanin Bescheid!“

„Mach ich.“ Die andere Meise flog davon.

„Wer war das?“ fragte Tama, als Fiete zu ihr zurückkehrte.

„Das war meine Schwester, Mieke. Steig auf dein Fahrrad und lass uns zum Dorf fahren, Tama!“

„Einverstanden. Flieg voran, ich folge dir.“

  • *

Fiete flog voran und Tama konnte gut mit ihm mithalten. Ihr Fahrrad kam gut mit dem trockenen Weg zurecht und sie erreichten zügig das Dorf.

Sie hielten schließlich an einem Haus an, das aussah wie ein Gasthof mit Tischen und Bänken im Außenbereich. Es saßen schon einige Frauen und Männer an den Tischen. Manche davon waren bereits am Essen, andere hatten nur etwas zu trinken oder schienen noch zu warten. Einige Bäume boten den Gästen angenehmen Schatten. Der Außenbereich wurde von einer Reihe Büsche begrenzt, was wie ein natürlich gewachsener Zaun wirkte. In einem der Büsche in Tamas Nähe saß Fiete.

„Du kennst dich hier aus, wo kann ich denn mein Fahrrad abstellen?“ fragte sie Fiete.

„Hinter dem Gasthof ist ein Stall,“ antwortete Fiete. „Danach geh ins Haus und such Annika, die Wirtin. Sie kann dir ein Zimmer geben, in dem du übernachten kannst.“ Er flog auf. „Wir sehen uns dann morgen früh.“ Mit mehreren schnellen Flügelschlägen war die Blaumeise verschwunden.

  • *

Als Tama den Gasthof betrat, hörte sie als erstes eine Frau schimpfen: „Gunnarson! Svensson! Zack, zack, das Bier wird schal!“

Kurz danach gingen zwei Männer zügig an ihr vorbei, bepackt mit Bierkrügen wie Serviererinnen auf dem Oktoberfest. Sie schaute sich um, wer vom herumlaufenden Personal denn die Wirtin sein könnte, aber sie sah nur Männer. Schließlich kam Tama in den Schankraum, in dem hinter einem großen Tresen eine kräftig gebaute Frau stand. Sie hatte kurze, wuschelige Haare mit grauen Strähnen und die sonnengegerbte Haut einer Frau mittleren Alters, die sich viel an der frischen Luft aufhielt. Sie trug ein schwarzes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln und eine Hose in undefinierbarer Farbe und sah aus wie jemand, die sich durch nichts und niemanden einschüchtern ließ.

„Guten Tag,“ sagte Tama, „ich suche Annika, die Wirtin.“

„Da bist du bei mir ganz richtig, Kindchen. Worum geht es?“

Tama fand es merkwürdig, als „Kindchen“ angesprochen zu werden, ließ es aber zu, da sie nicht wusste, ob die Wirtin mit allen jüngeren Menschen so umging.

„Das wird ihnen vielleicht merkwürdig vorkommen, aber eine Blaumeise hat mir gesagt, ich könnte hier übernachten.“

Annika lächelte, amüsiert. „So, so, Fiete hat mal wieder jemanden aufgegabelt. Das macht der öfter. Letztens hatte er mir drei Männer in den Gasthof geschickt, von denen zwei ungewöhnlich gekleidet waren.

Der erste Mann trug ein weißes, lockeres Gewand, das fast seine Füße bedeckte. Dazu passend hatte er ein weißes Tuch als Kopfbedeckung auf, von einem goldenen Band gehalten, das waagerecht um den Kopf verlief.

Der zweite Mann hatte schmale Augen und kurzes schwarzes Haar. Seine schwarze Hose war extrem weit und wurde vorne am Bauch mit einem Band zusammengehalten. Er sah schick aus mit dem schwarz-weiß bestickten Mantel dazu.

Der dritte Mann hatte einen schwarzen Anzug an, der aussah wie der, den mein Bruder bei seiner Hochzeit getragen hatte.“

„Haben die auch hier übernachtet?“ fragte Tama.

„Nein, wollten die nicht, die waren auf dem Weg zu einer Erstgebärenden, deren Kind irgendwie magisch sein sollte. Es war kurz vor der Wintersonnenwende und sie hatten es eilig,“ sagte Annika. „Aber nun zu dir, Kindchen. Du brauchst ein Zimmer – kein Problem. Bist du zu Pferd hier?“

„Nein, mit meinem Fahrrad mit Anhänger,“ antwortete Tama. „Fiete sagte, ich sollte es im Stall hinter dem Gasthof abstellen.“

„Perfekt. Hast du Hunger?“ fragte Annika.

Tama nickte.

„Wir gehen gleich mal in die Küche.“ Annika betätigte eine Klingel am Tresen und die beiden Männer, die vorhin noch mit Krügen nach draußen gegangen waren, tauchten prompt auf. „Gunnarson, du übernimmst am Tresen. Svensson, du machst Zimmer 2 für Tama zurecht. Vergiss nicht, ihr eine Zahnbürste und frische Handtücher rauszulegen.“

Beide Männer nickten und Svensson verschwand im Obergeschoß des Gasthofes.

„Was kostet die Übernachtung?“ Tama hatte nur wenig Bargeld dabei, da sie davon ausgegangen war, dass egal wo sie hinkäme, irgendwo ein Geldautomat wäre. Sie war sich unsicher, ob dies auch für Weitfortistan zuträfe.

„Für Reisende, die Fiete anschleppt, ist es kostenlos. Das Essen geht aufs Haus.“

„Dankeschön,“ sagte Tama. „Kann ich mich irgendwie revanchieren?“

„Wenn du magst, kannst du mir gerne erzählen, wo du herkommst und was du sonst so machst. Keine Verpflichtung, ein Bett und was zu essen kriegst du in jedem Fall.“

„Das mache ich gerne,“ sagte Tama und folgte Annika in die Küche.

  • *

Nach einem guten Essen und netter Unterhaltung, die noch mit einem Bier am Tresen der Wirtin und dem Kennenlernen der Schmiedin des Ortes verlängert wurde, verbrachte Tama eine angenehme Nacht in einem Zimmer des Gasthofes.

Lauter nette Menschen, freundlich und angenehm, dachte Tama, als sie morgens im Bett erwachte. Das einzige ungewöhnliche war nur der Streit zwischen zwei Gästen gewesen, den Tama mit einigen gezielten Fragen und ein paar guten Vorschlägen schlichten konnte.

Annika hatte sie erstaunt angeguckt, als die Streithähne zufrieden auseinander gegangen waren. Erst als Tama erklärte, dass das im Prinzip nichts anderes sei, als das was sie in der anderen Welt gemacht hatte. Sie hatte Menschen zugehört, die ein Problem hatten und versucht es zu lösen, so dass sie zufrieden waren. In der realen Welt waren das zwar Fehler in Computerprogrammen gewesen, aber die Grundidee war irgendwie dieselbe.

Nachdem sie geduscht hatte, ging sie aus dem Obergeschoß wieder herunter in den Schankraum. Sie wollte sehen, ob Annika etwas zum Frühstück für sie hätte.

Vielleicht war Fiete auch schon da. Tama hoffte, dass Fiete weiterhin ihr Reiseführer in Weitfortistan sein könnte.

Dazu kam sie aber nicht.

Im Schankraum stand ein alte, grauhaarige Frau mit Dutt, die einen roten Mantel mit goldenen Stickereien trug. Sie schien zu warten. Annika war bei ihr. Tama ging auf die beiden zu.

„Guten Morgen, Tama. Ich möchte dir jemanden vorstellen. Das ist Kastellanin Daike. Da du gestern abend gezeigt hast, wie gut du einen Streit schlichten kannst, möchte sie dir ein Angebot machen.“

„Was für ein Angebot?“ Tama war verwirrt.

„Uns fehlt eine Streitschlichterin,“ sagte Annika.

„Bitte, Annika, lass mich erklären,“ sagte Kastellanin Daike. „In Weitfortistan gab es immer jemanden, der Streitereien oder Unstimmigkeiten zwischen den Menschen im Dorf schlichtete. Aber seit Jahrzehnten haben wir niemanden.“

„Ihr braucht also eine Mediatorin,“ sagte Tama.

„Hier heißt es anders. Wir nennen es Prinzessin, aber wenn das der Name ist, unter dem du die Aufgabe kennst, dann ja.“

„Wieso Prinzessin?“

„Weil die Prinzessin diejenige ist, die sich nur ums Streitschichten kümmert und sonst keine anderen Verpflichtungen hat. Weitfortistan ernährt sie, gibt ihr Obdach und kleidet sie. Dafür muss sie tagsüber bei Bedarf zur Verfügung stehen. Wenn nichts anliegt, hat sie frei.“

„Ihr bietet mir also einen Job an, bei dem ich immer in Bereitschaft wäre.“

„Das ist richtig. Aber bedenke, du erhälst kostenfreies Wohnen, kostenlose Speisen nach deinem Wunsch und ein Kleidungsbudget bekommst du auch. Wenn die Streitparteien dir noch ein Geschenk geben, gehört es dir allein.“

Tama überlegte einen Moment. Das war wirklich ungewöhnlich.

„Kann ich kündigen?“ fragte Tama.

„Das ist monatlich möglich,“ sagte die Kastellanin. „Aber nur mit rechtzeitiger Meldung an mich.“

Tama dachte kurz nach.

Irgendwann wäre ihr Reisebudget aufgebraucht und hier ein paar Monate zu bleiben und alles zu erkunden, wäre nicht schlecht. Wenn es ihr nicht gefiele, wäre sie nach spätestens zwei Monaten wieder weg.

„Ich nehme an.“

Kastellanin Daike lächelte und verbeugte sich mit einem Hofknicks.

„Dann sei willkommen in Weitfortistan, Prinzessin Tama.“

  • ENDE –

Fediventskalender2023

Es war einmal ein Mädchen...nennen wir sie Yael.

Yael wünschte sich so sehr abends von ihren Eltern eine Gutenachtgeschichte zu hören. Jedes Mal, wenn sie vor dem Schlafengehen fragte, hieß es: „Heute nicht, Liebes.“ Meistens kam dann noch etwas dazu wie „der Tag war zu anstrengend“, „ich bin müde“ oder „das schaffst du auch ohne, du bist doch schon groß“. Klar war sie das, aber manchmal wäre es schön, wenn Mama oder Papa ihr eine Geschichte vorläsen. Daher ging sie meistens ohne eine Geschichte ins Bett oder dachte sich in Gedanken aus, wie es wäre, wenn sich jemand an ihr Bett setzte und eine Geschichte erfände. Aber davon wurde sie oft traurig.

Schließlich nahm sich Yael ein Herz und fragte ihre Lehrerin eines Tages nach der letzten Unterrichtsstunde, ob es ein Buch mit Vorlesegeschichten in der Schulbibliothek gäbe. Die Lehrerin bat sie, ihr zu folgen und sie gingen in die Schulbibliothek. Dort suchte die Lehrerin ein Buch und reichte es dann Yael mit den Worten: „Das gefällt dir und deinen Eltern bestimmt.“ Yael verstaute das Buch in ihrem Schulrucksack und ging erfreut nach Hause.

Als Yael am Abend vor dem Schlafengehen ihren Eltern das Buch in der Hoffnung zeigte, dass sie es nun einfach hätten, denn sie bräuchten abends nur noch das Buch aufzuschlagen, hörte sie von ihrer Mutter nur: „Wie schön, dann kannst du ja im Bett lesen.“ Enttäuscht brachte Yael das Buch in ihr Zimmer. Es gab also wieder keine Gutenachtgeschichte vor dem Schlafengehen.

In ihrem Zimmer angekommen, wollte sie das Buch wieder in den Schulrucksack packen, doch stattdessen glitt es ihr aus den Händen. Das Buch schlug auf den Boden auf und plötzlich glitzerte es.

Leicht erschreckt blickte Yael auf das offene Buch und sah ein kleines, glitzerndes Wesen in der Mitte des Buches sitzen. Es hatte einen menschlichen Körper mit Armen und Beinen, graue, lockige Haare und trug einen hellblauen Anzug, der fast so aussah, wie der Burkini, den ihre Freundin Aysha beim Schulschwimmen trug. Auf dem Rücken des Wesens waren dunkelblaue Flügel mit hellblauen und weißen Punkten, wie bei einem Schmetterling, nur viel größer. Das Wesen sah aus, als hätte es sich genauso erschreckt wie Yael.

Yael setzte ich neben das Buch damit das Wesen nicht so weit zu ihr hochgucken musste. „Wer bist du denn?“

Das Wesen stand auf und starrte Yael an. „Ich bin eine Bücherfee.“

„Und wie ist dein Name?“

„Was meinst du damit?“ Die Bücherfee guckte erstaunt. „Hast du denn einen Namen?“

„Klar doch,“ sagte Yael, „sonst kannst dich doch niemanden rufen. Ich bin Yael. Hast du denn keinen Namen?“

„Nein.“ Die Bücherfee guckte traurig. „Gibst du mir einen?“

Yael überlegte. Irgendwie erinnerte sie die Bücherfee an ihre Oma Seva, die so weit weg wohnte, dass Yael sie außer auf Fotos noch nie gesehen hatte und bisher mit ihr nur am Telefon gesprochen hatte.

„Ich nenne dich Seva,“ sagte Yael.

Die Bücherfee grinste breit und verbeugte sich. „Mein Name ist Seva.“

Yael grinste zurück. „Hallo Seva. Wohnst du in dem Buch?“

„Natürlich. Und ich tauche immer dann auf, wenn jemand eine Geschichte vorgelesen haben möchte.“

Yael bekam große Augen. „Liest du mir was vor?“

„Gerne,“ sagte Seva und flog auf, so dass sie auf Augenhöhe mit Yael war. „Aber dafür musst du im Bett sein.“

Vorsichtig nahm Yael das offene Buch, trug es zum Bett und legte es geöffnet ans Fußende. Dann schlüpfte sie unter die Decke und legte sich hin.

„Sehr gut,“ sagte Seva und flatterte auf den Nachttisch. „Nun werde ich dir eine Geschichte aus dem Buch erzählen.“

„Kennst du die alle auswendig?“ fragte Yael.

„Selbstverständlich,“ sagte Seva. „Schließlich wohne ich in dem Buch.“

Und Seva begann zu erzählen: „Es war einmal...“

Als einige Stunden später Yaels Mutter in das Zimmer ihrer Tochter trat und bemerkte, dass die Nachttischlampe noch an war und das Buch am Fußende des Bettes lag, während ihre Tochter schlief, lächelte sie. Yaels Mutter fühlte sich an ihre eigene Kinderzeit erinnert, als sie spät abends immer beim Lesen im Bett eingeschlafen war. Vielleicht war ihre Tochter nun auch soweit selbständig zu lesen und sie plante, Yael ein Buch zu schenken: ein Märchenbuch – das hatte sie selbst damals sehr gemocht. Ihre Mutter Seva hatte ihr damals gerne daraus vorgelesen. Die Mutter seufzte. Wenn nur mehr Zeit wäre. Ob ihre Mutter noch das alte Buch aufbewahrt hatte? Sie müsste ihre Mutter anrufen. Mit dem Plan im Kopf löschte sie das Licht und verließ Yaels Zimmer.

  • ENDE –