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Essays – Aphorismen – Geschichten – Lyrik

Viel zu selten wagen wir uns heutzutage an die wirklich großen Fragen. Die Fragen an das Leben und den ganzen Rest. Wir sollten uns mehr damit befassen, bevor der Supercomputer Erde gesprengt wird, um einer intergalaktischen Schnellstraße Platz zu machen. Aber von welcher Seite soll man das Leben denken? Von der Geburt her? Von der Natalität, von der Hannah Arendt spricht bzw. schreibt? Dass man ins Leben geworfen ist. Oder soll man es vom Tod aus betrachten? Davon ausgehend, dass das Leben endlich ist? Wessen Ansatz auch immer das nochmal war.

Beide Sichtweisen haben ihre Berechtigung und erhellen jeweils wichtige Aspekte. Die erste, von der Geburt ausgehend, spiegelt die Jugendlichkeit des Denkens wider. Jung und frisch ist sie, voller Tatendrang und Optimismus. Der Beginn ist nicht vorbelastet. Er drückt die Freiheit aus. Reine Existenz. Der Entwurf des Lebens liegt ganz bei mir. Meinen Camus unterm Arm erschaffe ich meine eigene Poesie. Mein Leben soll Poesie sein. Mein eigener Entwurf. Denn alles ist möglich!

Die zweite Sichtweise, vom Tod ausgehen, bereitet auf die Endlichkeit vor und sucht Trost, versucht eine Harmonie mit dem Leben herzustellen. Sie feiert aber auch gleichzeitig das Leben. Denn wenn man sich der eigenen Endlichkeit bewusst ist, dann bekommt der Augenblick eine neue Bedeutung. Er sollte dann immer zugleich Selbstzweck und nie nur Mittel für einen anderen Augenblick sein. Es ist der kategorische Imperativ der Selbstsorge. Nicht „Leben den Augenblick, als sei es der letzte“ kann als Imperativ der Selbstsorge dienen. Denn er ist asozial und absolut egoistisch. Damit lässt sich nicht moralisch handeln. Der Augenblick, der zugleich immer auch Selbstzweck ist, soll es sein. Er ist ebenfalls Poesie. Eine andere Poesie als die erste, eine voller Weisheit. Eine Poesie, die versuchen kann, das Leben, die Mitmenschen und die Welt besser zu machen. Vom Tod her gedacht, sollten wir uns fragen: Haben wir uns, unsere Freunde, unsere Familie, unsere Nachbarschaft, wenn schon nicht die ganze Welt, besser gemacht? Und wenn es nur ein* gewesen, dann waren wir wertvoll.

Und beide Enden, der Anfang und das Ende, umklammern das Leben. Die Kunst ist es, aus dem Leben ein Werk zu machen. Ein Werk, auf das man zu jeder Zeit schauen kann, voller Stolz. Ein Leben in doppelter Poesie.

Diese Poesie steht im Gegensatz zu einem Leben in Selbstoptimierung. Denn die (quantitative) Selbstoptimierung will das Selbst oder den Körper – großartig unterscheidet sie nicht – besser machen für ein in der Zukunft liegenden Zweck, ohne diesen Zweck wirklich zu kennen. Vielleicht für ein längeres Leben in einem gesunden Körper. Aber wenn der Nenner des Bruchs, der die Länge des Lebens bestimmt, die Unendlichkeit ist, ist das Leben immer nur ein Witz im Universum. Das Doppelte geteilt durch Unendlich bleibt nichts. Wenn wir das akzeptieren, dass das eigene Leben ein Fliegenschiss im Universum ist, wenn alle das akzeptieren, auch die großen Twitterer unserer Zeit, die zu Hause den eigenen Spiegel befragen, erlangen wir die Kunst, über uns selbst zu lachen.

Die Poesie des Lebens setzt diesen Rechenkünstlern und Algorithmen und Narzissten etwas anderes entgegen, das einen die Unendlichkeit erahnen lässt.