Das Doppelgebot der Liebe im Matthäusevangelium

Im Matthäus-Evangelium nennt Jesus, als er nach einer aufsehenden Aktion, der Tempelreinigung, von unterschiedlichen Personen geprüft wird, warum er das machen darf, bei der Frage nach dem wichtigsten Gebot des Gesetzes, mit dem Doppelgebot der Liebe. Diese 2 Gebote sind für ihn also Dreh – und Angelpunkt unseres Lebens. Da ist es nicht überraschend, dass es schon ganz viele Gedanken darüber gibt. Sie haben vermutlich auch schon einiges dazu gehört und gelesen.

Die Überlegungen dazu in diesem Artikel beginnen mit einer formalen Beobachtung. Es sind zwei Gebote, nicht eins. Wer achtsam seinen Alltag betrachtet, wird feststellen, oft kippt ein Gebot davon weg.

Jesu Leben, Sein Beispiel, verdeutlicht, beide Gebote müssen zusammengehalten werden aber dürfen nicht vermischt werden. Zu einer guten Glaubensperspektive auf Jesus hin hat ein Konzil der alten Kirche, das von Chalcedon, dazu im Jahr 451 diese wichtige Glaubenseinsicht formulierte:

Jesus Christus [...] ist wirklich Gott und wirklich Mensch aus einer vernünftigen Seele und einem Körper. Er ist dem Vater wesensgleich nach der Gottheit und derselbe uns wesensgleich nach der Menschheit [...], der in zwei Naturen, unvermischt, ungewandelt, ungetrennt, ungesondert, geoffenbart ist.

Diese Spannung – also beide Gebote zusammen zu sehen, sie nicht zu trennen, aber auch nicht zu vermischen – ist wichtig. Und dann wird an diesem Doppelgebot sichtbar: Eine einzige Liebe äußert sich in drei Richtungen: als Liebe zu Gott, Liebe zu mir selbst und Liebe zum Mitmenschen.

Viele neigen dazu, die Liebe zu sich selbst zu überspringen, sich allein den anderen beiden Arten der Liebe zuzuwenden. Doch ein Mensch, der sich selbst nicht lieben kann, wird es schwer haben, andere zu lieben.

Wenn Sie auf eine Person schauen, die Sie als großen Egoisten erleben, die also oft den Raum ausfüllt und allen anderen die Luft zum Atmen nimmt:

Nur wer sich selbst akzeptiert und wertschätzt, benötigt diese kontinuierliche Aufmerksamkeit der anderen nicht, kann andere auf gleiche Weise wie sich selbst willkommen heißen. In solchen Begegnungen erschließt sich eine Quelle von Lebendigkeit. Dieses Doppelgebot kann wie ein Kompass sein. Im Wirrwarr unterschiedlicher Ansichten und allem Funktionieren-Müssens können wir uns vor jedem Entschluss, ob im Privaten oder in der Arbeit, ausgehend von diesen beiden Geboten, drei wegweisende Fragen stellen: Hilft uns das,

  1. Gott besser kennenzulernen und zu lieben?
  2. uns selbst und unsere Bedürfnisse ernst zu nehmen?
  3. andere Menschen mehr zu lieben und besser zu dienen?

3 Fragen, die uns bei unserer Lebensreise leiten können. Und vermutlich wird es dadurch nicht schwerer. Wer hat uns zum Irrglauben verführt, dass Gott unser Leben verkomplizieren will?

Wer mit einem solchen liebenden Blick die eigene Umgebung anschaut, wird sie anders wahrnehmen, als jemand, dem die Perspektive des Geldes viel bedeutet. Beim Geld entsteht schnell ein oben und unten. Etwas was Jesus immer wieder, gerade auch bei seinen Jüngern, also den Menschen, die von ihm lernen, anspricht. Solche Perspektiven – so zeigt die vielfache Mahnung der Propheten – gibt es schon zu sehr frühen Zeiten der menschlichen Kultur als Versuchungen. Und wie geht es, nicht vom Sog des Geldes vereinnahmt zu werden? Diese Frage beschäftigt Menschen in ganz unterschiedlichen Kulturen.

Hilfreich finde ich dazu Gedanken von Nipun Metha, einem ein Aktivist für Großzügigkeit und Güte unserer Zeit, der aus dem Umfeld der IT kommend, in den USA lebt und mit anderen versucht, sich von einer Kultur der Gier zu befreien.

,Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.' lautet ja das Gebot, welches die Beziehungen unter den Menschen beschreibt. Was heißt da lieben? Nipun Metha weist darauf hin: Es gibt, gerade bei Menschen, die sich anderen zuwenden, drei verschiedene Arten, das Leben zu sehen. Helfen, Heilen und Dienen:

Was ist der Unterschied zwischen diesen Arten? Eine helfende Person spürt eindeutig Mitgefühl und Sympathie und hilft tatsächlich, aber die Person, der geholfen wird, hat das ungute Gefühl, dass sie nur empfängt. Es gibt ein eindeutiges oft unbeabsichtigtes Gefälle von oben und unten.

Wer etwas heilt, kann das gleiche Gefälle anstoßen. Die geheilte Person muss das Gefühl verarbeiten, nicht ok – irgendwie kaputt – gewesen zu sein. Und so gelingt oft nicht ein Miteinander auf Augenhöhe zwischen der heilenden Person und der zu heilenden.

Wer dient, will einen ko-kreativen Prozess und erkennt an, dass der Schmerz des anderen mit dem eigenen Schmerz verwoben ist, und verbindet sich mit der anderen Person.

Wer also diesem Gebot: ,Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.' folgen will, kann dies wohl am besten mit einer Haltung des Dienens. Dann geschieht die Begegnung auf Augenhöhe.

Es gibt dann, nach Nipun Metha, noch eine vierte Ebene, nämlich das Opfer, als heiliges Tun, bei dem man Dankbarkeit empfindet und der anderen Person für die Möglichkeit zu dienen verpflichtet ist. So beschreibt er (als Hindu) eine Erfahrung, die in meiner Wahrnehmung Jesus denen verheißen hat, die sich dienend anderen zuwenden. Nämlich dass sie IHM in diesen Menschen begegnen. Und so kommt die Liebe zu Gott in den Blick.

Nipun Metha hat dann durch sein Engagement erkannt – und ich finde, gerade in der aktuellen Situation unserer Welt mit der vielen Gewalt und der Angst lohnt es sich, das bewusst zur Kenntnis zu nehmen: Er sagt: ,Ja, wir können gut sein. Ja, wir können uns zu einem höheren Potenzial erheben, wir können Ja zum Mitgefühl sagen. Und es gibt so viele Menschen, die das tun, und man fühlt sich einfach so hoffnungsvoll.'

In Bezug zum Geld beobachtet er: Du bist nicht dein Portemonnaie, und du bist nicht dein Geld. Das ist nicht das, was die Menschen am meisten wollen. Was sie wirklich wollen, ist eine härtere Währung – und sie ist viel härter, weil wir durch eine Menge innerer Transformation gehen müssen, um diese Währung zu kultivieren. Diese Währung ist Liebe, der Fluss des Mitgefühls.

Soweit Nipun Metha, der ja bei dieser Beobachtung beim Wort ,hart' 2 Bedeutungen ins Spiel bringt.

Einige Gedanken zur Liebe von Augustinus, dem Kirchenvater aus dem 4. Jh, dazu bilden heute den Abschluss dieser Gedanken.

(zu 1 Joh 3,1) (in ep. Io. tr.)

Was nützt der bloße Name denen, die sich Christen nennen lassen und es nicht sind; was nützt der bloße Name dort, wo die Wirklichkeit fehlt? Wie viele heißen Ärzte, die nicht zu heilen verstehen! Wie viele Wächter, die die ganze Nacht schlafen! So heißen auch viele Christen und werden doch nicht in Wirklichkeit als solche erfunden; denn sie sind nicht das, was sie heißen, das heißt sie sind es nicht im Leben, im sittlichen Verhalten, im Glauben, in der Hoffnung, in der Liebe. Was aber habt ihr gehört, Brüder? „Seht welch eine große Liebe der Vater uns geschenkt hat, dass wir Kinder Gottes heißen und sind!“

(zu 1 Joh 7,11) (in ep. Io. tr.)

Willst du die Liebe leben, sei vor allem überzeugt, dass die Liebe nicht bequem und billig ist. Man lebt die Liebe nicht, indem man recht gutmütig ist – oder eigentlich ist dies noch zu stark ausgedrückt: man lebt die Liebe nicht, indem man gleichgültig oder lässig ist. Glaube nicht, dass du deinen Knecht schon liebst, wenn du ihn nicht schlägst; dass du dein Kind liebst, wenn du es keine Zucht lehrst; dass du deinen Nachbarn liebst, wenn du nie etwas gegen ihn sagst. Das ist keine Liebe, sondern Schlaffheit.

(zu 1 Joh 4,9) (in ep. Io. tr.)

Ein für allemal schreibt dir ein kurzes Gebot vor: Liebe und tu, was du willst! Schweigst du, so schweige aus Liebe; redest du, so rede aus Liebe; rügst du, so rüge aus Liebe; schonst du, so schone aus Liebe; die Wurzel der Liebe sei in deinem Innern! Aus dieser Wurzel kann nur Gutes erblühen.