Ostererfahrung: Johannesevangelium Kapitel 20,19-31

Einführung

Du bringst meine Seele zum Leuchten, Herr: Mit dir beginnt der erste Tag. Christus das Licht! Voll Zuversicht erwacht deine Welt, die im Dunkeln lag. Du hast uns ins Leben gerufen, deinem Ruf Herr folgen wir gern. Seit du den Tod besiegt hast, feiern wir den Tag des Herrn.

Wir tun dies gemeinsam im Namen des Vaters ...

Der Herr, der uns seinen Frieden schenkt, er sei mit Euch

Am vergangenen Sonntag, dem Ostertag, wurde uns die Symbolik dieser Osterkerze nahegebracht, die uns an dieses Leuchten erinnert. Sie möchte uns die Jahreslosung ins Gedächtnis rufen. Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe. Dieses Wort aus dem Paulusbrief steht so in der Einheitsübersetzung. Ein Indiz, dass die Jahreslosung von einem ökumenischen Gremium festgelegt wird auch wenn sie vermutlich bei uns stärker in den evangelischen Gemeinden präsent ist.

Dieser Sonntag nach Ostern ist an vielen Orten mit Erstkommunion verbunden. Ich lade Sie ein, für diese Kinder und ihre Familien in diesem Gottesdienst zu beten. Heute feiern in unserer SE die Familien in Herrenberg diesen wichtigen Meilenstein des Glaubens.

Das Evangelium richtet unseren Blick heute auf das Glaubenlernen. Dieses Lernen bleibt ein lebenslanges Abenteuer. Oft zeigen Zweifel manches im Leben ist anders als gedacht, erhofft, geglaubt, passt so nicht mehr. Es braucht eine Erneuerung, Bekehrung sagt man dazu in der frommen Sprache. Die inneren Vorstellungen des Glaubenslebens müssen ja zum eigenen Denken und der persönlichen Weltsicht passen, wenn sie eine Hilfe sein sollen. Für viele ist daher der Apostel Thomas sehr anziehend. Sie können sich in seinem sprichwörtlich gewordenem Zweifel wiederfinden. Aus Finnland kam in den 90er eine Gottesdienstbewegung nach Deutschland, die den Namen dieses Apostels für einen offenen Gottesdienst aufgreift. Über 80 Initiativen feiern solche Thomasmessen, Gottesdienste für Suchende, Zweifelnde und andere gute Christen, wie das entsprechende Netzwerk es etwas plakativ formuliert.

Im Grunde ist jeder gemeinsam gefeierte Gottesdienst ein möglicher Lernort, denn wir sind bei aller Freude dieser Zeit auch mit unseren Fragen nach Leid und Schwerem da. Heute am Sonntag der Barmherzigkeit vertrauen wir uns bewusst dieser Seite Gottes an und wenden uns an Jesus Christus.

Predigt: Liebe Mitchristen

Ist Ihnen die Frage vertraut: Hast Du das begriffen? Ab und zu vergewissere ich mich so, wenn ich versuche z.B. beim Mentoring etwas weiterzugeben. Ich bin sicher, sie kommt in vielen Gesprächen in der Familie, zwischen Freunden und Kollegen vor. Oft geht es um etwas, was man nicht anfassen kann. Das Wort Begreifen weist auf eine sehr grundlegende Art und Weise des Lernens hin. Der Tastsinn ist ja wahrscheinlich der Sinn für uns Menschen, der uns im Leben mit am längsten begleitet. Kleinstkinder und sehr alte Menschen sprechen noch auf Berührung an. Auch wenn sie für andere Kommunikationsformen nicht (mehr) zugänglich sind.

Und diese Form der Kommunikation wünscht sich der Apostel Thomas. Eigentlich ganz naheliegend — mutig und würde mir auch gefallen, so mag man denken. Eigentlich — denn in der Geschichte wird es ja dann nicht wahr. Thomas nimmt das Angebot Jesu vermutlich nicht an. Darüber möchte ich mit Ihnen etwas nachdenken, denn ich glaube, hier ist etwas Wichtiges verborgen.

In den erzählten Gottesbegegnungen im Alten Testament wird immer wieder davon gesprochen, wie Gott seine Hand auf jemanden legt, wie unser Name in die Hand Gottes geschrieben ist. Wie Gottes Nähe uns berührt. Aber die Umkehrung, die ja in diesem Wunsch des Thomas zum Ausdruck kommt, von der wird wenig berichtet.

Kurz vor dieser Ostererzählung heißt es im Johannes-Evangelium, dass Jesus Maria von Magdala sagt, halte mich nicht fest. Und der Jünger, der in der Passion- und Ostergeschichte Jesus berührt, tut dies ja in einer feindlichen Absicht. Judas küsst den Meister, um ihn an die Schergen auszuliefern.

Auch wenn sein Wunsch vielleicht nicht angemessen ist, Jesus nimmt den Thomas ernst. Und in der offenen Begegnung mit Jesus verwandelt sich der Wunsch des Thomas, Jesus so zu berühren. Er ist von IHM berührt und bekennt: Mein Herr und mein Gott. Thomas ist von Ehrfurcht ergriffen. Das ist übrigens eine ganz grundlegende Emotion, sagen uns aktuelle Forschungen. In den letzten 20 Jahren wurde da einiges herausgefunden. Ehrfurcht hilft Menschen, dass sie aufnahmefähig werden für neue, unerwartete Informationen. Wer sich dafür interessiert, kann in der SWR-Mediathek nachschauen. Mir ist beim Hören dieser Sendung klarer geworden, warum es in der Bibel heißt, die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang. Innehalten und Staunen hilft, sich neu zu orientieren – konkret im Fall des Thomas mit der Wirklichkeit des Auferstandenen das eigene Leben zu gestalten.

Er wollte den Finger in die offene Wunde legen. Eine sprichwörtlich gewordene Aktion, um etwas in Bewegung zu bringen. Eine aktive Person kommt gewisser Maßen von oben dazu und bringt durch ihre Aktion Veränderung im besten Fall Heilung. Übrigens ist das keine gute Ausgangsposition für eine Bekehrung, also ein Aufnehmen von Neuem in das persönliche Glaubensverständnis. Ehrfurchtserlebnisse führen dazu, dass Menschen sich angesichts des überwältigenden Eindrucks plötzlich selbst als klein empfinden – nicht im negativen Sinn, dass sie unbedeutend wären. Ihr eigenes Ego ist gegenüber der Welt einfach nicht mehr so wichtig. Und so kann die Wirklichkeit des lebendigen Christus bei Thomas ankommen. Und natürlich dann auch in der Folge bei den vielen, die im Laufe ihres Lebens zum Glauben an den lebendigen Gott finden. Meist gibt es da etwas in Leben, dass sie staunen ließ, oder erschauern, oder wie immer sie es in Worte bringen würden. Ich finde es jedenfalls hilfreich, mir bewusst zu machen, wir Menschen haben Anlagen in uns, die uns helfen, auch unser spirituelles Leben gut zu gestalten, neue Seite sich zu erschließen, dazu zu lernen. Es sind Gefühle oder Instinkte, also innere Muster, die da sind, die wir bewusst unterstützen können.

Dazu gibt es in dieser Ostergeschichte noch ein zweites Beispiel. Jesus wünscht den Jüngern als erstes den Frieden. Und ER bestärkt alle Anwesenden darin, zu vergeben. Wem Ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben. Alle sind angesprochen, nicht nur einige wenige. Die bedeutende Aussage des Evangelisten Johannes: Vergebung ist für alle eine wichtige Aufgabe. Wem ich vergebe, der kann leben — der findet zur Gemeinschaft, zumindest mit mir und hoffentlich auch mehr zu Gott hin. Nicht nur Ehrfurcht, auch das Konfliktverhalten der Menschen wird beforscht und manche Beobachtungen lassen darauf schließen, dass es archaische Impulse in uns gibt, die es ermöglichen, zu vergeben, und Impulse, die Rache fördern, also einer Vergebungsbereitschaft im Wege stehen. Wichtig ist also, den Menschen zu helfen, ihren Vergebungsinstinkt zu aktivieren. Dieser Instinkt wird durch Gemeinschaftserfahrungen gefördert, denn ein konstruktives, gutes Miteinander kann auf Dauer nur durch vielfältige Versöhnung lebendig bleiben.

Es gibt also in unserer Grundausstattung als Menschen (unserer DNA sagt man heute) wesentliche Anknüpfungspunkte für unseren Glauben. Die aktuelle Jahreslosung lenkt unseren Blick übrigens auch auf etwas, was das Verhalten der Menschen steuert. Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe. In einem Umfeld, in dem Menschen Liebe spüren, sind sie eher bereit, zu vergeben – so das Miteinander zu stärken. So die Beobachtungen der Forschenden zu Impulsen der Rache und der Versöhnung. Bei diesem Spüren hilft Staunen und Ehrfurcht.

Jesu Wort Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. weist darauf hin, zu allen Zeiten können Menschen in diesen Glauben hineinfinden. Und gleichzeitig begleitet mich die Frage schon viele Jahrzehnte, wie Menschen dies tun. Ich bin davon überzeugt, Erfahrungen der Ehrfurcht, des Staunens über Gottes Nähe, Barmherzigkeit, über Bewahrung im Leben sind wichtige Hilfen.

Glaube kann man daher gut als eine Beziehung von Ehrfurcht beschreiben. Ehrfurcht hilft dabei, dass sich das Ich verkleinert, sich die Aufmerksamkeit für andere verändert. Menschen werden hilfsbereiter, bescheidener, nehmen sich weniger wichtig gegenüber anderen Menschen. Das erleichtert dann auch Versöhnung. Diese wesentliche Aufgabe für ein gutes Miteinander in Liebe ist daher auch Teil des Vater unser. Vergebung ist eine zentrale Brücke auf Gott hin, der Quelle des Friedens. Vergebung macht frei — eine Motivation für jeden und jede von uns, sich auf diesen Weg einzulassen, bewusst die Seiten in uns zu fördern, die eine Kultur der Liebe, der Vergebung, des guten Miteinanders, stärken.

Das Miteinander der Apostel ist für mich ein gutes Beispiel für eine solche Kultur. Thomas ist kritisch, kann Erfahrungen der anderen Apostel nicht nachvollziehen. Diese können ihn lassen – es ist ein Raum der Offenheit da, und durch die Beziehung der Apostel untereinander auch eine Einladung, diesen Raum zu betreten. Die 8 Tage in der Erzählung weisen uns auf den sonntäglichen Gottesdienst hin. Uns wird der Friede gewünscht, wir, die wir uns versammelt haben. Mit dem Auftrag diesen Frieden mit anderen zu teilen wird dieser Gottesdienst enden: Geht hin in Frieden — das meint ja, bringt den Frieden hinaus in den Alltag.

Dankbarkeit stärkt so eine Kultur, d.h. die Mitfeier jeder Eucharistie als Feier der Dankbarkeit bringt da etwas in Bewegung, nicht nur am Sonntag der Barmherzigkeit. Der damalige Papst wollte mit dieser Ausrichtung des Sonntags ab dem Jahr 2000 den Gläubigen helfen, sich mehr einer Kultur des Lebens, der Liebe zu öffnen. Also für einen Lebensstil, der die Versöhnungsinstinkte in uns fördert und so Frieden bringt.

Und natürlich fördert erfahrene Vergebung, dass Menschen sich neu berühren lassen, Racheimpulse und anderes Verhalten loslassen, Liebe und Barmherzigkeit ins eigene Herz aufnehmen. Dazu können alle beitragen. Ohne diesen Lebensstil in Familien, bei der Arbeit oder in der Freizeit bleiben Schätze unseres Glaubens ungenutzt, kann unser Miteinander weniger Kraft entwickeln. Menschen des Geistes haben etwas begriffen, haben sich berühren lassen von diesem Hauch, und können durch ihren Lebensstil dazu beitragen, dass andere den Frieden, den Gott schenken will, erfahren. Sie wissen um einen heilbringenden Umgang mit Schuld – ein Umgang, der nicht die Finger in die offenen Wunden legt und eigene Macht betont. Ehrfürchtig, wie der Apostel Thomas, können sie Gott und Sein Wirken staunend wahrnehmen, und Brücken bauen, wie es die anderen Apostel für Thomas taten. Damit wir dann miteinander glauben, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit wir durch den Glauben Leben haben in seinem Namen. — AMEN