Der innere Kritiker – Wie man einen Gegner in einen Freund verwandelt

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In diesem Artikel möchte ich einen Blick darauf werfen, was der innere Kritiker ist, was ihn so mächtig macht und wie wir ihm diese Macht wieder nehmen können, um ein zufriedeneres und freieres Leben zu führen, in dem wir weniger gegen uns selbst kämpfen. Wir sehen uns die Zusammenhänge zwischen dem Kritiker, unseren Glaubenssätzen und unseren Ängsten an. Am Ende gibt es ein paar Beispiele, wie das Gelernte auch im Alltag integriert werden kann.

Dieser Text richtet sich sowohl an Anfänger als auch an Fortgeschrittene, da ich glaube, dass einige der Details nicht allgemein bekannt sind. Andererseits ist dies nur ein Artikel und kein Buch, so dass ich hier nur an der Oberfläche kratzen kann. Und mein Ziel ist es hier auch eher, eine pragmatische Anleitung zu schreiben, die nur das nötigste Minimum an Theorie enthält, um die Konzepte zu verdeutlichen.

Wenn es Fragen zum Text gibt, weil ich mich vielleicht irgendwo unklar ausgedrückt habe, oder bei anderem Feedback, kann man mich über Mastodon kontaktieren. Bei Bedarf stehen auch sicherere Formen der Kommunikation zur Verfügung.

Was ist der innere Kritiker?

Selbstzweifel, Hochstapler-Syndrom, Perfektionismus und sogar Narzissmus oder ähnliche Verhaltensweisen haben einen gemeinsamen Nenner, nämlich das eigene Selbstwertgefühl. Und einer der Gründe für ein geringes Selbstwertgefühl ist ein starker innerer Kritiker und umgekehrt.

Der innere Kritiker ist ein psychologisches Konzept oder ein Modell, das einen Teil der Persönlichkeit beschreibt, der uns in unterschiedlichem Ausmaß kritisiert. Wie alle Modelle ist auch dieses nur eine Annäherung an die Realität, aber es hilft dabei, sie besser zu verstehen.

In seiner schlimmsten und pathologischsten Form ist der innere Kritiker darauf aus, dich anzugreifen und zu erniedrigen. Es ist die kleine Stimme in deinem Kopf, die dir all die schlechten Dinge über dich sagt, wie “Du bist nicht gut genug”, “Das kannst du nicht”, “Du bist es nicht wert”, “Das hast Du nicht verdient” und so weiter. Im besten Fall kann er aber auch zu einem Freund und Berater werden und dir konstruktive Ratschläge geben, zum Beispiel worauf du hättest achten sollen oder was du hättest besser machen können, ohne dich dabei zu erniedrigen.

Eigentlich ist der innere Kritiker in seiner ursprünglichen Form nichts anderes als ein Schutzmechanismus. Wenn man das mal evolutionshistorisch betrachtet, und davon ausgeht, dass der Mensch in Gruppen eine größere Überlebenschance hatte, dann ist der innere Kritiker ein Mechanismus, der einem hilft, sich in eine Gruppe einzufügen und in dieser Gemeinschaft zu bleiben. Außerdem soll er uns davon abhalten, neue und möglicherweise gefährliche Dinge auszuprobieren, oder Risiken und Fehler zu vermeiden und so weiter.

Aufgrund negativer Kindheitserfahrungen oder durch die Aneignung negativer Glaubenssätze kann der innere Kritiker jedoch zu einem erbitterten Feind werden und uns das Leben zur Hölle machen. Was dich in der Vergangenheit beschützt hat, ist jetzt zu einem großen Hindernis für dein Glück geworden.

Ich möchte hier nicht auf die Einzelheiten negativer Kindheitserfahrungen eingehen, da dies den Rahmen dieses Artikels komplett sprengen würde, auch wenn es helfen kann zu verstehen, wie der Kritiker entstanden ist. Stattdessen möchte ich ein paar Worte zu diesen negativen Glaubenssätzen sagen.

Was sind negative Glaubenssätze?

Glaubenssätze sind innere Überzeugungen, die tief in unserem Unterbewusstsein verankert sind, und die wir ohne sie zu hinterfragen als 100% wahr annehmen. Wir sind uns diesen in der Regel nicht bewusst, bis wir anfangen, sie wirklich zu überprüfen. Einige lassen sich leicht auflösen, wenn wir sie erst einmal erkannt haben, weil sie schlicht und ergreifend falsch sind. Es kann aber auch Jahre dauern, bis wir sie ans Tageslicht gebracht haben und sie entweder auflösen, oder negative Glaubenssätze durch positive ersetzen können.

Negative Glaubenssätze haben einige charakteristische Merkmale in der Art und Weise, wie sie formuliert werden. Und genau daran kann man sie erkennen. Einige Glaubenssätze verallgemeinern, übertreiben und sind in ihrer Aussage absolut, wobei hier zum Beispiel Worte wie “immer” oder “nie” verwendet werden. Einige Beispiele: – Niemand mag mich.Die ganze Welt ist gegen mich.Ich habe immer Pech.

Die meisten Glaubenssätze beziehen sich auch auf die eigene Person und beginnen mit “Ich bin ...” oder ähnlichem: – Ich werde nie einen Partner finden.Ich bin nie gut genug.Ich bin ein Verlierer.

Andere Glaubenssätze verwenden das Wenn-dann-Muster oder nennen Bedingungen, die erfüllt werden müssen: – Wenn ich einen neuen Job finde, dann werde ich glücklich sein.Wenn ich einen neuen Partner finde, dann werde ich glücklich sein.Ich muss erst ... lernen, bevor ich ... tun kann.

Diese bedingten Glaubenssätze mögen zunächst nicht schlecht klingen, aber in Wirklichkeit sind sie nichts anderes als eine Falle, denn sie lassen uns glauben, dass das Gegenteil wahr ist, bis die Bedingung erfüllt ist. Vielleicht auch nicht einmal dann. So könnte das erstgenannte Beispiel dazu führen, dass du glaubst, keine Chance darauf zu haben glücklich zu sein, bis du einen neuen Job bekommst. Diese äußeren Bedingungen können auch ganz andere abstrakte Gründe sein.

Das war nur eine kurze Einführung in die Glaubenssätze, es gibt viele weitere Beispiele im Internet. Und falls du Glaubenssätze liest, die bei dir irgendwie eine Resonanz auslösen oder eine emotionale Reaktion hervorrufen, dann ist das der erste Hinweis darauf, hier einmal genauer hinzusehen und zu versuchen, diesen Glaubenssatz zu hinterfragen. Überprüfe den Glaubenssatz auf seinen Wahrheitsgehalt, suche nach Gegenbeispielen oder bitte andere um eine zweite Meinung. Vor allem dann, wenn der Unterschied zwischen dem, wie du dich selbst siehst, und dem, wie andere dich sehen, sehr groß ist, kann es sehr hilfreich sein, ein ehrliches Feedback zu bekommen.

Aber der wichtigste Punkt ist:

Der innere Kritiker wird deine negativen Glaubenssätze gegen dich verwenden!

Und wenn du anfängst, an deinen Glaubenssätzen zu arbeiten, dann wirst du ihm langsam die Munition wegnehmen.

Wenn du zum Beispiel die Überzeugung hast 'Ich bin nicht gut genug', dann wird dein innerer Kritiker dir sagen 'Du bist nicht gut genug' und dich dort treffen, wo es weh tut, denn er kennt all deine Schwachstellen.

Glaubenssätze sind nicht immer nur eine innere Stimme oder ein Gedanke. Manchmal sprechen wir sie sogar laut zu anderen Menschen aus. Stell dir vor, dein Chef bietet dir eine Position mit mehr Verantwortung an, aber du lehnst ab, weil du denkst, dass du nicht gut genug bist. Offensichtlich hat dein Chef aber eine andere Meinung von dir, sonst hätte er dir das Angebot nicht gemacht.

Es ist daher hilfreich, nicht nur auf die eigenen Gedanken, sondern auch auf die Sprache zu achten, um Glaubenssätze zu erkennen, die auf den oben genannten Mustern basieren. Dies ist wichtig für den Umgang mit jeder Form des inneren Kritikers.

Wie kann ich meinen inneren Kritiker besiegen?

Ist dein innerer Kritiker einer von der allerschlimmsten Sorte, der dir ständig die Hölle heiß macht, und du versuchst ihn zu bekämpfen so gut du kannst, während du in Selbstzweifeln ertrinkst, und dann fragst du dich, wie zum Teufel du ihn endlich besiegen kannst? Du kannst ihn nicht besiegen. Punkt. Das ist wichtig zu erkennen und zu akzeptieren.

Du musst aufhören, ihn zu bekämpfen, denn das ist sein Spiel. Und obendrein noch ein Spiel mit gezinkten Karten. Er will, dass du gegen ihn kämpfst, denn das macht ihn stärker. Er will deine alleinige Aufmerksamkeit, deinen Fokus und deine Energie. Er labt sich an deinem Leid und deiner Verzweiflung. Er wird alles tun, damit du so oft wie möglich scheitern wirst. Er will, dass du aufgibst. Und sein größtes Ziel ist es, dich zu zerstören. [^1]

Und doch ist er letztendlich ein Teil von dir. Wenn du ihn bekämpfst, bekämpfst du einen Teil von dir selbst. Und wenn du gegen dich selbst kämpfst, wer glaubst du, wird am Ende gewinnen?

Du fragst dich jetzt vielleicht, welche anderen Möglichkeiten du hast? Wenn ich ihn nicht bekämpfen kann, kann ich ihn dann nicht einfach ignorieren und nicht auf sein Gift hören? Das ist immer noch besser, als zu kämpfen, aber auf Dauer wird das nicht funktionieren. Er wird andere Wege finden, dir das Leben schwer zu machen, weil er deine Aufmerksamkeit will. Denke auch daran, dass er dich im Grunde immer noch beschützen will, aber etwas hat ihn damals sehr verletzt und dann hat er den destruktiven Weg der Sith gewählt und sich auf die dunkle Seite geschlagen. Das Beste ist, ihm zuzuhören und ihm dann etwas wie das folgende zu sagen:

“Danke, dass du mir deine Meinung gesagt hast, lieber Kritiker. Ich höre, was du sagst, aber ich glaube es nicht. Ich liebe mich selbst.”

Wenn diese letzten vier Worte dich getroffen haben und du denkst, dass du das nicht sagen kannst, weil du das Gefühl hast, dass du es selber nicht glauben kannst, dann ist das auch in Ordnung. Mit der Zeit wird dir das besser gelingen. Du kannst den letzten Teil auch so ändern, das du es leichter glauben kannst, wie “Ich bin gut so, wie ich bin” oder etwas Ähnliches, das sich für dich richtig anfühlt. Versuche einfach, mit einer positiven Note zu enden, die dich aufmuntert. Aber das ist trotzdem noch optional. Wichtig ist, dass du dem Kritiker aktiv zuhörst, ihm deine Aufmerksamkeit schenkst und ihm dann klar machst, dass du seinen Unsinn nicht glaubst. Sprenge die Ketten des blinden Vertrauens in deine Gedanken. Du bist nicht die Worte deines inneren Kritikers.

Angst vor Ablehnung

Dies ist wahrscheinlich eine der am häufigsten vorkommende Ängste der meisten Menschen. Wir machen uns oft Gedanken darüber, wie andere Menschen uns, unsere Arbeit oder unsere Kunst bewerten oder beurteilen könnten, vor allem, wenn wir unser ganzes Herzblut hineingesteckt haben. Die Angst, dass unsere Arbeit nicht gemocht wird, wird gleichgesetzt mit der Angst, als Person nicht gemocht zu werden. Die Angst vor dem Versagen geht in die gleiche Richtung.

Aber es gibt einen Unterschied zwischen gemocht werden und Lob bekommen. Wir werden für etwas gelobt, das wir getan haben. Ein typischer Satz für ein Lob ist: “Das hast du gut gemacht”. Aber wir werden gemocht, weil wir so sind, wie wir sind. Der typische Satz ist: “Es ist schön, dass du da bist.” Siehst du den Unterschied?

In unserer Leistungsgesellschaft wird vielen Menschen von klein auf beigebracht, dass wir nur gemocht werden, wenn wir Leistung bringen. Und später als Erwachsene verwechseln wir Leistung mit Liebe. Das ist einer der Gründe, der dazu führt, dass manche Menschen geradewegs in den Burnout rennen. Das führt uns zu einem weiteren negativen Glaubenssatz, den wir auflösen dürfen: “Ich werde nur geliebt, wenn ich etwas leiste.” Es ist besser, dies durch etwas zu ersetzen wie: “Ich werde so geliebt, wie ich bin.” Das ist leichter gesagt als getan, ich weiß, aber die Bewusstwerdung ist der erste Schritt.

Um auf den inneren Kritiker zurückzukommen: Die Angst vor Ablehnung ist nicht wirklich die Angst, von anderen abgelehnt zu werden. Das ist nur eine Projektion, bei der wir unsere eigenen Eigenschaften auf andere Menschen übertragen. Die eigentliche Angst ist, dass wir uns vor dem fürchten, was unser innerer Kritiker mit uns macht, wenn jemandem nicht gefällt, was wir getan haben oder wenn wir eine Aufgabe nicht geschafft haben.

Und das war wahrscheinlich der wichtigste Absatz in dem ganzen Artikel. Bitte lies ihn noch einmal.

Nochmal im Klartext: Die Angst vor Ablehnung ist in Wirklichkeit die Angst vor der Selbstablehnung. Je mehr wir uns selber ablehnen und uns selber nicht akzeptieren, desto mehr fürchten wir die Ablehnung durch andere. Wir wissen, wozu unser innerer Kritiker fähig ist und wie er uns quälen kann, und unbewusst projizieren wir diese Fähigkeit auf andere. Das bedeutet auch, dass wir anderen Menschen Macht über uns geben, die sie nicht haben sollten.

Der Ausweg

OK, wir haben jetzt also ein bisschen Theorie gehabt und versucht, verschiedene Dinge zu betrachten und wie sie miteinander zusammenhängen. Aber es reicht nicht aus, nur darüber Bescheid zu wissen. Das Rationalisieren und Nachdenken über die eigenen Gefühle kann sogar ein Schutzmechanismus sein, weil es dich dadurch von ihnen fernhält. Wenn man etwas zum Besseren verändern will, hilft es auch nicht, auf einen Bildschirm zu starren, sondern man muss etwas tun und Erfahrungen sammeln.

Deshalb werde ich nun ein paar Dinge vorschlagen, die du tatsächlich tun kannst.

Wie man ein Kompliment annimmt

Bevor ich zu den umfangreicheren Übungen übergehe, erlaube ich mir eine kurze Bemerkung zu Komplimenten. Wenn dir ein schlimmer innerer Kritiker oder das Hochstapler-Syndrom nicht fremd sind, kennst du wahrscheinlich das folgende Verhaltensmuster von dir.

Wenn dir jemand ein Kompliment oder Lob macht [^2] und du dazu neigst, es herunterzuspielen, dann hör auf damit. Hör auf, Dinge zu sagen wie: “Oh, das war doch nichts Besonderes.” Hör auf, dich selbst herabzusetzen. Sag einfach “Danke!” und dann nimm das Lob an und freue Dich darüber. Glaube einfach mal, dass es stimmen könnte. Wenn du ein Kompliment sofort erwiderst, lenkst du dich auch nur von dem Kompliment ab, das du erhalten hast, weil du dich damit unwohl fühlst. Du gibst es wortwörtlich zurück und nimmst es gar nicht erst an. Mach Komplimente, wenn du es willst und für passend hältst, aber nicht als Reaktion auf das Kompliment einer anderen Person.

Dies ist eins der kleinen Dinge, die du sofort ändern kannst und die sich mit der Zeit definitiv positiv auf dein Selbstwertgefühl auswirken werden.

Wie man einen Glaubenssatz finden kann

Die folgende und etwas meditative Übung ist auch für Anfänger geeignet. Bitte lies sie dir vollständig durch, bevor du beginnst. Ich möchte dich einladen, einen deiner Glaubenssätze darüber zu finden, wie du dich selber siehst.

Mach es dir bequem. Du kannst dies im Sitzen oder im Liegen tun. Schalte alle Ablenkungen (Handy, etc.) aus. Und nimm dir etwas Zeit. Die Übung kann nur 5 Minuten dauern, aber auch 30 Minuten oder länger. Mach dir keinen Stress. Wenn du möchtest, kannst du ruhige Musik auflegen. Alles, was dir hilft, dich zu entspannen, ist gut.

Wenn du es dir bequem gemacht hast, schließe die Augen und beginne langsam und tief zu atmen, durch die Nase ein und durch den Mund aus. Und versuche, tief in den Bauch zu atmen, nicht in den Brustkorb. Versuche dann, alle Teile deines Körpers zu erspüren. Wie fühlen sich deine Füße und Beine an? Wie geht es deinen Knien, deinen Oberschenkeln? Achte eine Weile auf sie und bewege deine Aufmerksamkeit durch den ganzen Körper, von den Zehen bis zum Kopf. Einfach nur beobachten und wahrnehmen. Du musst währenddessen nichts verändern.

Lege dann eine Hand auf den Bauch und stelle dir die folgende Frage: “Wie sehe ich mich selber in meinem tiefsten Inneren?” Wiederhole diese Frage von Zeit zu Zeit. Versuche nicht, eine Antwort zu erzwingen oder zu erwarten, und versuche auch nicht, darüber nachzudenken. Wenn du dir immer wieder diese Frage stellst, wird dir dein Unterbewusstsein irgendwann eine Antwort geben. Frage einfach weiter. Wenn du merkst, dass deine Gedanken abschweifen, dann ist das ok. Bleibe einfach entspannt, atme tief durch und lenke deine Aufmerksamkeit wieder auf das Wiederholen der Frage.

Eine mögliche Antwort wird wahrscheinlich so beginnen: “Ich bin ...“ Und sie wird sich wie eine absolute Wahrheit anfühlen, obwohl du vielleicht schon weißt, dass es nicht so ist. Wenn du keine Antwort bekommst und irgendwann aufhören möchtest, ist das in Ordnung. Vielleicht war es nicht der richtige Zeitpunkt, oder du warst gerade zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt. Versuche es einfach nochmal an einem anderen Tag. Verurteile dich nicht selbst, wenn es nicht klappt. Manchmal braucht es auch einfach etwas Übung.

Und wenn du eine Antwort bekommen hast, und es war das erste Mal, dass du das erlebt hast, dann herzlichen Glückwunsch. Jetzt ist dir vielleicht ein bisher unbewusster Glaubenssatz bewusst geworden.

Übungen zur Angst vor Ablehnung / Angst vor Versagen

Die einzige Möglichkeit, mit der Angst umzugehen, ist sich ihr zu stellen. Du kannst nicht vor dir selbst davonlaufen, egal wie sehr und wie lange du es auch versuchst. Es ist besser, die eigenen Ängste als eine Art Wegweiser zu sehen, die dir freundlich den Weg zeigen.

Und wenn eine deiner Ängste im Moment zu groß sind, um sich ihr zu stellen, und das vielleicht sogar zu einer Panikattacke führen könnte, atme durch und entspann dich. Mach kleinere Schritte, die in die gleiche Richtung gehen. Wenn du dich noch nicht bereit fühlst, vom Drei-Meter-Brett zu springen, dann spring erst ein paar Mal vom Ein-Meter-Brett und steigere dich von dort aus.

Hier ist eine Liste mit einigen Ideen: * Gehe mit deinen Freunden in eine Karaoke-Bar und singe vor einem Publikum. Lass dabei den Alkohol weg, denn er unterdrückt die Dinge, die gefühlt werden wollen. Und hab Spaß dabei. :) * Probiere einmal Improvisationstheater aus. * Mache Fremden aufrichtige Komplimente. * Nächste Stufe: Mache Fremden, die du attraktiv findest, aufrichtige Komplimente. * Für die Perfektionisten unter uns: Sende deine nächste E-Mail mit absichtlichen Tippfehlern. Oder versuche, absichtlich andere kleine Fehler zu machen und schau, was passiert. Traue dich, nur zu 90 % perfekt zu sein. * Versuche, mit deinem Chef über eine Gehaltserhöhung zu verhandeln, oder mit einem Kunden über dein Honorar. Selbst wenn es nicht klappt, hast du es zumindest versucht und dich der Möglichkeit einer Ablehnung ausgesetzt. Das ist etwas, worauf du stolz sein kannst. * Liegt ein Konflikt mit einer dir nahestehenden Person in der Luft? Gut, sprich ihn an und rede darüber.

Ich glaube, du weißt, worauf ich hinaus will. Und ich bin mir sicher, dass du deine eigene Liste von Dingen aufstellen kannst, die du vielleicht aus Angst bisher vermieden hast. Also, mach dir mal eine 10-Punkte Angstliste und überlege dir Schritte, wie du dich diesen Ängsten stellen kannst. Vielleicht eine pro Monat. Und sei stolz auf dich und feiere es, wenn du es geschafft hast!

Ich mag den Ausdruck aus der Komfortzone herauskommen nicht, aber was tatsächlich passiert, wenn man das tut und sich seinen Ängsten stellt, ist dass man mehr Handlungsspielraum und ein größeres Gefühl der Freiheit bekommt. Es geht mir hier nicht darum, jetzt unbedingt mit dem Fallschirm springen zu müssen, sondern sich im Alltag nicht selber ständig Ketten anzulegen und sich vom inneren Kritiker einschränken zu lassen.

Fazit

So, das war jetzt eine Menge komprimierter Inhalt, basierend auf über einem Jahrzehnt Erfahrung an Auseinandersetzung mit diesen Themen. Ich danke fürs Lesen und hoffe, dass du deinen inneren Kritiker jetzt mit etwas anderen Augen sehen kannst.

Höre ihm weiter zu. Mit der Zeit wirst du vielleicht überrascht sein, wie sehr er sich verändert (weil du dich verändert hast), und manchmal erhältst du vielleicht sogar einen weisen Rat, für den du ihm dankbar sein kannst. Es mag Rückschläge geben, bei denen er in alte Muster zurückfällt. Aber das ist normal und zu erwarten. Das kommt in den besten Beziehungen vor. Aber jetzt weißt du, wie du damit umgehen kannst.

Wenn dir dieser Beitrag gefallen hat und du möchtest, dass ich auf bestimmte Aspekte tiefer eingehe, lass es mich gerne wissen. Ich bin auch neugierig auf die Erfahrungen anderer Menschen mit ihrem inneren Kritiker, also teile bitte auch gerne deine Geschichte.

Fußnoten: [^1]: Wenn dir dies bekannt vorkommt, weil es eine gewisse Ähnlichkeit zu dem Teufel im Christentum aufweist, dann hast du eine der größten Projektionen der Menschheitsgeschichte erkannt. Allerdings ist der innere Kritiker hier nur ein Teil davon. [^2]: Die Kultur des Lobens und der Anerkennung ist in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich. Während die Amerikaner dazu neigen, alles sehr überschwänglich zu loben, wird in europäischen Ländern viel seltener gelobt. In Deutschland haben wir das Sprichwort: “Nicht gemeckert ist Lob genug”. Deine Erfahrungen können hier also unterschiedlich sein.


This work by Marc Riese is licensed under CC BY-SA 4.0