Filmbesprechung: Squaring the Circle

Eine Anekdote: Noel Gallagher kommt nach Hause und seine Tochter fragt ihn, wo er denn gewesen wäre. Er wäre auf einem Meeting gewesen, antwortete er. Auf was für ein Meeting müsse er denn gehen, fragte die Tochter. Es wäre um ein Cover gegangen. Was ist denn ein Cover?

Wie erklärt man einem Kind in der heutigen Zeit, was ein Cover ist? Das kleine Bild auf deinem Telefon, sagte er also. Ach und für so etwas gibt es Meetings? Um es gleich vorwegzunehmen: Noel Gallagher ist zwar Teil der Runde, die in Squaring the Circle interviewt werden und die dann hauptsächlich Anekdoten erzählen. Aber eigentlich ist er gar nicht Teil der Geschichte.

Es bleibt Anton Corbijns Geheimnis, warum ein Spätgeborener in der illustren Runde von Altstars wie Jimmy Page, Roger Waters, Paul McCartney und so weiter, alles Kunden bzw. Auftraggeber der Grafik-Design-Firma »Hipgnosis«, dabei sein darf. Oasis, die Band, die Noel Gallagher berühmt machte, wurde erst 1991 gegründet. Hipgnosis war ein Kind der 60er und war Mitte der 80er bereits Schnee von gestern. Die Musikszene erfindet sich schließlich immer wieder neu.

Bei dem G in Hipgnosis handelt es sich nicht um einen Tippfehler. Das Wort setzt sich aus Hip und Gnosis zusammen. Einmal kurz nachschlagen, Gnosis heißt Wissen. Wie »Hipgnosis« zu seinem Namen gekommen ist, wird natürlich erzählt. Ich möchte aber nicht alles vorwegnehmen. Wobei Squaring the Circle wahrscheinlich gerade das Publikum anspricht, das deren Output kennt. Dazu gehört sicherlich auch Anton Corbijn, der ja nicht nur Photograph ist, sondern selbst Bands photographiert hat und somit Plattencover verantwortet. Zum Beispiel von der Band U2.

Fangen wir anders an. Was für eine Musik vermutet man, wenn auf dem Cover eine Kuh steht? Und sonst nichts. Ehrlich gesagt, kann man das gar nicht beantworten, denn die Nachgeborenen denken gleich an Pink Floyd. Damals muss der Einfall, eine Kuh auf den Plattenumschlag zu setzen ungleich erschütternder gewesen sein. Die Kuh auf dem Album Atom Heart Mother (1970) war auch eher ein Non-Cover. Es gab keinen Bezug zu der Musik. Pink Floyd wollte jedoch ein Artwork, dass sie aus der psychedelischen Ecke herausholte. Hipgnosis spielte mit Collagen, mit Doppelbelichtungen, mit chemischen Prozessen. Zu ihren Einflüssen zählten die surrealistischen Künstler.

Damals, dieses ominöse Damals, waren Plattencover geradezu Kunst. Man hielt das Cover noch in den Händen, während die Platte sich drehte. Über die Verbindung von dem Bild mit der sich die Band und der oder die Interpreten sich präsentierten, gab es einen Zusammenhang oder auch nicht.

Im Vordergrund stand stets die Idee, die dem Publikum vermittelt wird. Anton Corbijn, der seit seinem Film über Ian Curtis von Joy Division (Control, 2007) auch im Regie-Fach anerkannt wird, lässt nicht nur die allseits bekannten Musiker zu Wort kommen. Wie gesagt: Roger Waters, Paul McCartney, Robert Plant, Peter Gabriel, sondern er holt auch die Leute vom Fach vor die Kamera. Photographen, Photographinnen, Art-Designer, Graphik-Designer und so weiter.

Allen voran Aubrey Powell, die eine Hälfte von Hipgnosis. Er und Storm Thorgerson hatten die Firma auf die Beine gestellt. Storm Thorgerson, der mehr für die Vision und Integrität verantwortlich war, ist bereits verstorben. Die Beiden gingen damals, Mitte der 80er, nicht im Guten auseinander, aber Corbijn war der künstlerische Output und die Bedeutung von Plattencovern allgemein wichtiger, als etwas aufzuarbeiten, an dem eh nur noch einer der Beteiligten etwas dazu sagen kann.

Vielleicht fehlt etwas die Einordnung der Bedeutung von Plattencovern im Hier und Heute. Vielleicht ist Squaring the Circle, der Zusatz Die Geschichte von Hipgnosis fehlt in der deutschen Auswertung, auch etwas zu zahm. Die Anekdoten, soweit man sie nicht kennt, machen das aber über die moderate Filmlänge wieder wett und die offene, ehrliche Art von Aubrey Powell ist erfrischend.

Corbijn arbeitete viel mit Archivmaterial. Nicht alles an Aufnahmen war nach heutigem Standard ausreichend. Corbijn behalf sich. Er hält seine Dokumentation weitgehend in Schwarz-Weiß. Er behält aber die Plattencover in Farbe. Ein Effekt, der genau das hervorhebt, worauf es ihm ankommt. Eine Bewunderung für die Zeit, die Hipgnosis ermöglichte und die deren Kunst um der Kunst und der Freude daran aufleben lässt, ist sicherlich spürbar. Corbijn hält sich aber zurück. Der Umbruch in den 80ern mit Einsätzen der Synthiepop-Bands wie Depeche Mode wird noch mit eingeflochten. Eine Anekdote, dass damit auch Cobijns Zeit als Photograph von Depeche Mode anbrach, muss noch erzählt werden.

Eneh

Dokumentarfilm Originaltitel: Squaring the Circle: The Story of Hipgnosis Regie: Anton Corbijn Drehbuch: Trish D. Chetty Kamera: Stuart Luck, Martijn van Broekhuizen Montage: Andrew Hulme Animation: Matt Curtis Mit Aubrey Powell, Robert Plant, Jimmy Page, Roger Waters, David Gilmour, Nick Mason, Paul McCartney, Peter Gabriel, Noel Gallagher, Glen Matlock, Merck Mercuriadis, David Gale, Jenny Lesmoir-Gordon, Storm Thorgerson, Roger Dean, Jill Furmanovsky, Richard Manning, Alex Henderson, George Hardie, Peter Saville, Humphrey Ocean, Graham Gouldman, Andrew Ellis, Carinthia West, Richard Evans Großbritannien 2022 101 Minuten Kinostart: 14. März 2024 Verleih: Splendid Film Festivals: Telluride 2022 / Sundance 2023 TMDB

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