Interview mit dem Regisseur Fatih Akin

Am 5. Juli 2024 wird der Musikdokumentarfilm Crossing The Bridge – The Sound of Istanbul von Mubi in restaurierter Fassung wieder ins Kino gebracht bzw. online angeboten. Hier ein Interview, dass ich damals zum Kinostart 2005 mit Fatih Akin führen durfte.

Aus dem Archiv von 2005

Sie vermitteln die Musikkultur Istanbuls in den Westen, ähnlich wie Wim Wenders das mit der kubanischen Musik getan hat. Wie gehen Sie mit der damit verbundenen Verantwortung um, wie war die Zusammenarbeit mit den Künstlern?

Die Basis ist gegenseitiges Vertrauen. Man hat sich kennen gelernt, man hat sich miteinander unterhalten, dann haben die angefangen zu spüren, daß wir das schon ernst meinen und sie auf keinen Fall durch den Kakao ziehen wollen. Diese Künstler, besonders die Großen, Orhan Gencebay und Sezen Aksu, machen sowas nicht fürs türkische Fernsehen – die haben eigentlich eine Abneigung dagegen.

Tatsächlich?

Ja, Sezen Aksu trifft niemanden vom Fernsehen, und Orhan Gencebay spielt zum Beispiel nicht live für irgendjemanden, der hat noch nie ein Konzert gegeben. Ich würde mal sagen: Die mochten uns. Und die haben vielleicht die Mission darin gesehen. Ich habe versucht alle Künstler so gleichwertig wie möglich zu behandeln, ob das nun die Musiker von der Straße sind oder ob das Orhan Gencebay ist. Ich wollte allen den selben Raum geben und alle auch so würdevoll wie möglich filmen. Würde war so ein Schlüsselding. Die haben begriffen, daß das Ganze für mich auch so eine Art Hommage ist.

Wie geht man an das Projekt ran? Was wählt man aus, was läßt man weg?

Es fing eigentlich damit an, daß wir nur Künstler treffen wollten oder porträtieren wollten, die Musik aus Ost und West vermischen und etwas Neues machen. Wie Orient Expressions und Baba Zula. Dann haben wir die Bands nach den Recherchen getroffen und sie nach ihren Ursprüngen gefragt, und die haben sie genannt – das waren Sezen Aksu oder Orhan Gencebay, Erkin Koray und so.

Wir fanden das noch viel interessanter. Wir wollten die Wurzeln aufspüren und einbauen. Es war sehr chaotisch. Welche Bands jetzt im Film sind und vor allem, welche Bands nicht im Film sind, hat am Ende auch mit persönlichem Geschmack zu tun. Wir wußten von Anfang an: Wir wollen keinen Pop.

Warum sind nicht Athena dabei? Weil die vielleicht schon zu populär sind. Wenn Pop, dann Sezen Aksu, aber das ist so eine andere Art Pop und auch sie vermischt ja türkische traditionelle Musik mit Pop. Das hat sie ja zu dem gemacht, was sie heute ist.

Sie geben auch Straßenmusikern Raum. Die schaffen es jetzt damit auf ein Majorlabel. Dabei ist doch die Straße eher etwas, das den Plattenfirmen, die mit Kopierschutz und ähnlichem arbeiten, völlig entgegensteht.

Wir haben schon so eine Art Abmachung mit allen Künstlern: »Hört mal, es wird eine Vermarktung geben.« Das bewegte sich in dem Bereich, daß wir mit dem Team von Anwälten von Orhan Gencebay handelten und feilschten, bis dahin, daß wir die Straßenmusiker überzeugen wollten, dabei zu sein. Das war für mich wichtig. Die Stadt ist auch ein Mosaik, ein Chaos.

Wir haben es eh nicht geschafft, das gesamte Klangbild von Istanbul zu vermitteln. Wir kratzen nur einen ganz kleinen Teil an. In Istanbul sind die Stimmen eher kritisch: Warum sind die nicht dabei und die nicht dabei. Aber mir ging’s darum, dieses Puzzle so breit wie möglich zu fächern. Dazu gehört halt die Stimme von der Strasse. Genauso wie die Kurdin ein Teil des Klangbilds der Stadt ist.

Ich finde es eigentlich recht positiv, wenn sich ein Label, das ja nur allein dazu dient, Musik zu verbreiten, darauf einläßt. Daß damit Geld verdient wird, sei mal dahingestellt, denn ob das passiert, weiß man ja nicht.

Je mehr Geld damit verdient wird, desto mehr wird diese Musik auch verbreitet, das ist halt einfach so. Und wir haben an Warner Music bestimmte Bedingungen geäußert. Das sind Bedingungen wie die, daß es auch eine Vinylausgabe des Albums gibt; und wir hätten gerne eine Remix Platte, wenn sich die erste gut verkauft. Die haben zugestimmt und geben uns einen ziemlich großen Freiraum, ein Forum, diese Musik zu präsentieren.

Man könnte sagen, der Film zeigt jede Menge Volksmusik im besten Sinne.

Ich habe das als kleines Kind gehört, ja. Das lief bei uns auf Tonband, und ich habe es gehaßt. Vor allem auf dem Weg in die Türkei im Autoradio. Kassettenkultur. Also traditionelle Musik habe ich erst einmal gehaßt – so wie der Typ von Replikas das beschreibt: Erst mit 19, 20 habe er angefangen, diese Musik zu verstehen und anzunehmen. So ähnlich war das bei mir auch.

Was fällt Ihnen da ein, wenn Sie an deutsche Musik denken oder gar deutsche Volksmusik? Warum haben wir nicht diese Art von Musik, die das Traditionelle und den Pop verbindet?

Hier ist das Traditionelle und sich dazu zu bekennen, verpönt. Das hat mit vielen Sachen zu tun. Der größte Unterschied ist, wie Musik allgemein konsumiert wird. In Istanbul hat Musik, also jenseits der Charts, etwas total Existenzielles. Da wird Musik aus ähnlichen Gründen gekauft, wie Leute Brot beim Bäcker kaufen. Musik ist wie ein Grundnahrungsbedürfnis. Diesen Stellenwert gibt es hier bedingt auch, aber ich finde, hier in Deutschland ist eher Untergrundmusik leidenschaftlich. So, daß ich es ernst nehmen kann.

Vieles hier ist eine einzige Marktstruktur, die Charts dominieren. Es geht darum, daß so viel wie möglich verkauft wird um das Verkaufs willen. Jemand wie Sezen Aksu ist so beliebt, weil die Frau meint, was sie singt. Es wird als ehrlich und aufrichtig empfunden, und deswegen wird es auch so von den Jungen beschützt, man bekennt sich dazu.

Warum haben Sie Alexander Hacke ausgewählt?

Alex Hacke war bereits für Gegen die Wand nach Istanbul gekommen und hatte für die Filmmusik den Chor aufgenommen. Damals sind wir uns das erste Mal begegnet, und damals wurde die Idee auch geboren. Man spricht kein Deutsch, man spricht kein Türkisch, und man spricht kein Englisch – diese gemeinsamen Sprachen werden nicht gesprochen, aber man musiziert und interagiert mit Musik.

Ich glaube, ich hätte den Film mit niemand anderem machen können als mit Alex Hacke. Mir fällt kein anderer Musiker ein, und es mußte ein Musiker sein. Es war wichtig, daß ein Musiker auf Musiker trifft. Ich selbst bin keiner, darum mache ich das nicht.

Ich brauchte einen, der die Virtuosität hat, mit 13 total verschiedenen Musikern umzugehen, teilweise mit ihnen mitzuspielen. Alex Hacke ist ja nicht nur ein Teil der Einstürzenden Neubauten, er macht ja auch Solosachen. So ist er für ein Album durch die ganze Welt gereist. Er hat mit Countrygrößen, mit Gianna Nannini, und mit schwedischen Bands, überall auf der Welt mit Künstlern vor Ort gearbeitet. Das fand ich erst einmal sehr beeindruckend. Dann fand ich es auch sehr wichtig, daß er aus dem Westen ist, daß nicht jemand wie ein Fremdenführer die ganze Musikkultur dort zeigt, sondern er das so entdeckt.

Wie haben Sie das während der Dreharbeiten ausgelotet?

Wir haben Hacke ein bißchen beobachtet. Dann hat der Spielfilmregisseur in mir gesagt: Das hat was. Auch er so als Erscheinung. Auf einer ironischen Ebene hat der Film etwas film-noirmäßiges. Er ist wie so ein Detektiv. Er geht durch die Häuserschluchten, mit dem langen Mantel, wie ein Schnüffler, der den Sound der Stadt sucht. Dieses Bild hatte ich halt: Jemand kommt in die Stadt und jemand fährt auch wieder weg.

Wie spontan konnten Sie beim Dreh sein?

Es war eine Mischung aus sehr intensiver Vorbereitung und Spontaneität. Die Vorbereitung war vielleicht psychologischer Natur. Wir suchten nicht nur die Künstler, sondern auch die entsprechenden Räume. Wir hörten Aynur und dachten, die hat so eine gute Stimme, es wäre gut, wenn wir eine Akustik hätten, die diese Stimme so wiedergeben kann. Da ist uns das Hamam eingefallen. Wir waren im türkisches Bad, schwitzten und klatschten so in die Hand, hörten den Schall und dachten »Laß uns was im Hamam machen.

Eine ganz spontane Aktion war der Dreh mit Sezen Aksu. Die Szene hat etwas von einem Videoclip, sie sieht sehr inszeniert aus, doch so war es. Wir gingen in die Wohnung, haben uns das angeguckt, den Vorhang zugezogen, zufällig ging die Sonne gerade unter und hat das in so ein Gold getaucht: »Laß uns das schnell filmen!«

Der Dreh auf dem Dach mit Siyasiyabend, die Straßenmusiker, war auch spontan. Und die Szene mit dem Mädchen, was da auf der Straße spielt: Eigentlich war unser erster Drehtag zwei Tage später gedacht. Wir liefen gerade herum, da sah ich das Mädchen unter der Unterführung in einem schönen Licht – »Wartest du mal einen kleinen Moment hier?« Dann bin ich schnell zur Crew, wir packten die Kamera ein und drehten.

Wie bereiten Sie die DVD-Veröffentlichung vor?

Die DVD wird eine A- und eine B-Seite haben. Auf der A-Seite ist der Hauptfilm, und die B-Seite besteht aus dem, was wir rausschneiden mußten. Mit vielen Musikern haben wir mehr als nur einen Track aufgenommen – mit einigen haben wir ganze Platten aufgenommen.

Eneh

Das Interview wurde von Elisabeth Nagy am 18. März 2005 in Berlin geführt. Der Text wurde nicht verändert und ist darum auch nicht gegendert.

Dokumentarfilm Originaltitel: Crossing the Bridge Regie & Konzept: Fatih Akin Kamera: Hervé Dieu Montage: Andrew Bird Musik: Alexander Hacke Mitwirkende: Alexander Hacke, Baba Zula, Orient Expressions, Duman, Replikas, Erkin Koray, Ceza, Ayben, Istanbul Style Breakers, Mercan Dede, Selim Sesler, Brenna MacCrimmon, Siyasiyabend, Aynur Doğan, Orhan Gencebay, Müzeyyen Senar, Sezen Aksu Deutschland 2004 90 Minuten Wiederaufführung: 5. Juli 2024 Verleih: Mubi TMDB

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Zuerst veröffentlicht in der Ausgabe Cinearte 083 vom 9. Juni 2005. Der Link führt auf das Archiv von Cinearte und öffnet ein pdf.

© Eneh