Der Emil

Notizblock

… hat sich die ganze Anspannung der letzten Tage nicht aufgelöst, nein. Aber es scheint auch für das letzte verbliebene Problem eine Lösung gefunden zu sein.

Die größte Schwierigkeit, mein größtes Problem war: Ich fühlte mich verantwortlich für eine gesamte Vorbereitung, die nicht nur mich betraf, und ich fühlte mich damit sehr alleingelassen. Da wartete ich auf Antworten, die keiner geben konnte. Da fragte ich nach Sachen, die vorhanden sein müssen, aber nirgendwo mehr zu finden sind. Niemand schien sich zu interessieren für das, was da bevorsteht, und dafür, ob das überhaupt so wie geplant stattfinden kann.

Am Ende wurde „nur” an mir vorbei kommuniziert – ich habe von all dem, was da besprochen und erledigt wurde, einfach lange Zeit nichts erfahren.

Auch so kann ich mein Erleben beschreiben.

Es gibt Momente, da frage ich mich, was das für eine Farbe ist, dieses Himmel­blau. Denn – ihr wißt es ja bereits – für mich ist der Himmel häufig „nur” grau, ganz gleich, ob da Wolken sind oder nicht. Das passiert immer wieder, ohne daß ich mich wirksam dagegen wehren kann. Das ist, als gerate ich auf einen glitschigen Abhang und kann das Hinabrutschen nicht komplett verhindern. Ich habe im Lauf der Jahre gelernt, das Rutschen abzubremsen, zu verlangsamen, und ich kann zumeist verhindern, daß ich am unteren Ende des Abhangs über eine Kante ins Boden­lose stürze. Dann liege ich bäuchlings am Boden, rutsche nur noch lang­sam. Dann liege ich still, eine ganz Weile, regungslos, kraftlos, ängstlich. Bis ich mir sicher bin, daß das Rutschen aufgehört hat. Langsam nur und angsterfüllt krieche ich nach oben. Bis ich mich mühsam auf alle Viere erhebe. Weiter­krabbeln und dabei nicht ruckartig bewegen, um auf keinen Fall wieder ins Rutschen zu kommen. Manch­mal brauche ich ein paar Stunden, manch­mal brauche ich ein paar Tage, ab und zu braucht es Wochen, ehe ich mich wieder aufgerichtet habe. Und noch später erst habe ich die Kraft, den Kopf zu heben und nach vorn und nach oben zu schauen, um es zu entdecken, was ich so oft nicht sehen kann. Da ist es, das Blau des Himmels, das Himmel­blau. Das in einer depressiven Episode für mich wirklich nicht sichtbar ist.

Wenn ich so darüber schreiben kann, geht es mir (wieder) recht gut.

Vielleicht durch Gespräche früher aufklärbar.

Die beiden trafen sich vor Wochen in einem Café. Lernten sich kennen, wie sich Menschen in einem Café eben kennenlernen. Es funkte zwischen ihnen. Sie trafen sich bald täglich. Sie ver­brachten Nachmittage und Nächte zusammen, telefonier­ten stundenlang miteinander. Sie begannen sogar, Pläne für eine gemeinsame Zukunft zu machen.

Dann fuhr er für einen Termin in die Nachbarstadt. Dort, auf dem Weg zurück zum Bahnhof, sah er sie. Seltsam, sie hatte nicht gesagt, daß sie auch hierher mußte? Aber da war sie. Und er trat von hinten an sie heran, umarmte sie gab ihr einen Kuß. Doch sie fing an zu schreien, panisch zu schreien, schlug ihn ins Gesicht und rannte dann weg.

Er fuhr zurück. Zog sich zurück. War verwirrt. Enttäuscht. Ver­bit­tert, dachte er. Ging nicht ans Telefon, öffnete nicht die Tür, wenn sie klingelte. Nach zwei Wochen war Stille. Endlich. Er ging auch nicht mehr in das Café. Aber da war etwas, das ihm wehtat, ihm fehlte. Er konnte das alles auch nicht verstehen. Eines Tages dann wurde er von hinten umarmt, völlig über­raschend, unerwartet. Er stand starr vor Schreck. Sie drehte ihn zu sich um und fragte. Wieso. Kein Wort mehr, nur: Wieso? Und sie wußte von nichts, gab vor, nichts zu wissen. Nichts von den Schreien und der Ohrfeige und der Flucht. Aber: Ihre Zwillingsschwester hatte ihr von einem Übergriff erzählt, von einem schmierigen Typen, der ihr auf offener Straße absolut grob an die Brüste gefaßt hatte, von von hinten.

Zwillingsschwester. Jetzt wußte er, warum sie in der anderen Stadt so reagiert hatte. Jetzt wußte er zumindest, daß sie ihn nicht für einen schmierigen Typen hielt. Sie gingen ins Café und später zum ersten Mal in ihre Wohnung für diese Nacht. Und telefonierten noch an diesem Abend mit der Schwester, der Zwillings­schwester. Zwei Tage später würden sie zu dritt in jenem Café sitzen und alle drei über den Vorfall lachen.

Irgendwoher müssen sie ja kommen, diese Träume. Ich glaube, daß sie sich nicht spontan aus einem #Quantenschaum bilden können, sondern daß sie für jede Träumerin, für jeden Träumer, für JEDES träumende Wesen speziell und gesondert geschaffen und bereitgestellt werden.

Es gibt sie, die #Traumfabrik​​​​en und #TraumManufaktur​​en, die uns das liefern, was wir nachts ohne schlechtes Gewissen annehmen können – oder hattest Du wegen eines Traumes schon einmal ein wirklich schlechtes Gewissen?

Auf diese Art und Weise traue ich mich weder in meinem Hauptblog noch bei #Mastodon zu schreiben. Aber hier, hier lasse ich ausnahmsweise einmal alle Filter weg:

Die #Depression sitzt tonnenschwer auf mir. Auf den Schultern, dann drückt sie mich zu Boden. Auf der Brust, dann versucht sie mich am Atmen zu hindern. Auf den Füßen, damit ich keinen Schritt weiterkomme.

Und wenn es mir sehr, sehr gut geht, dann hält sie einfach meine Hand und verhindert Höhenflüge, die ich wegen meiner #Höhenangst vielleicht sowieso nicht machen wollen würde ...

Nach der überflüssigen Umstellung der Zeit, genauer gesagt: Nach der Verschiebung eines halben Kontinentes aus seiner angestammten Zeitzone MEZ (Mitteleuropäische Zeit) in die nach Osten nächste Zone OEZ (Osteuropäische Zeit) leide ich für längere Zeit an dem, was landläufig „Jetlag” genannt wird. Bei mir äußert sich das zur Zeit so, daß ich mehr als zehn Stunden schlafe, oft sogar zwölf Stunden. Das nervt mich, macht mich unzufrieden, unleidlich: Ich fühle mich wochenlang unwohl. Zwei Dinge kann ich dazu noch anmerken: 1.) Die Umstellung wurde für mich immer schwerer, je älter ich wurde. 2.) Es ist seit vielen Jahren erwiesen, daß das Ziel der Sommerzeiteinführung, die Einsparung von Energie vor allem für Beleuchtung, zu keiner Zeit erreicht wurde (und wohl auch nie erreicht werden kann); aber die Abschaffung des Unsinns wird weiter hinausgezögert.

Ich hoffe, daß das in sechs Wochen dann endlich wieder normal funktioniert, das Schlafen. So acht, neun Stunden würden mir nämlich ausreichen und besser gefallen …

Wie sonderbar das immer wieder ist: Da stauen sich in mir ellen­lange Geschichten, die ich einfach nicht zu Papier bringen kann, irgendetwas in mir sperrt sich dagegen, das aufzu­schrei­ben, und im Kopf geistert das alles noch herum – Tag und Nacht dröhnen Satzfetzen gegen die Schädeldecke an und übertönen mit ihrem Chaos alles, was mir sonst noch erwähnenswert erscheint; nur diese Satzfetzen, diese Phrasen, diese scharf­kantigen Bruch­stücke sind wahrnehmbar, jede ihrer Berührungen schmerzt, will ich sie drehen und wenden, dann wehren sie sich mit Krallen und Zähnen und ihren scharfen Kanten dagegen, diese Satzfetzen von den unaufschreibbaren Geschichten, die ich nicht entäußern kann …

Ergebnislos erschöpft.

Ich habe aufgehört zu fragen, Welchen Wochentag wir haben, Wie weit wir wohl danebenlagen, Und: warum wir uns nie nicht vergaben.

Ja, das ist wirklich selten so: Ich war heute nach dem Niederschreiben einer Phantasie, nach dem Verfassen einer Miniatur zufrieden mit meinem Text. Noch seltsamer: Ich lobte mich selbst für das Geschaffene. Und das, das ist wirklich nicht normal.

Am Anfang hatte ich das Bild eines Stadls vor Augen, vermischt mit der Erinnerung an einen Schuppen meines Großvaters (Brennholz, Hobel­bank, Werkzeug, Fahrräder, Kartoffeln), der nur eine Tür und ein sehr kleinteiliges Fenster (augenscheinlich selbst zusammengeschu­stert) hatte. Es gab kein Licht in diesem Schuppen außer dem wenigen, das durch das Fenster hineinfiel. Im Sommer war es drin oft viel zu heiß, aber immer trocken. Und im Winter herrschte die Außentemperatur.

Aus dem Anfangsbild wurde eine völlig andere Szenerie, ganz von selbst. Vor meinem inneren Auge erschienen eine Bergwiese, eine schattenspendende Ulme und ein Wind, ein sanfter. Viele Einzelheiten ließ ich im fertigen Text weg, weil sie für das, was ich da ausdrücken wollte, unwichtig erschienen, andere ergänzte ich beim Fertigstellen des zu veröffentlichenden Textes. Und es blieb wieder die Frage im Raum stehen: Ist das denn Kunst?

Schon immer liebe ich Mundart, Dialekt (oder wie auch immer das gesprochene Wort in lokaler Färbung bezeichnet wird). Meckelbörger und Pommersches Platt hörte (und las) ich bei meinen Großeltern väterlicherseits, Ergebirgisch lernte ich bei den Eltern meiner Mutter (und im ganzen Dorf und in den Nachbarorten). Ich saugte auf, was ich im Kowwelenzer Platt erzählt bekam, machte mich mit Bayerisch und Fränggisch bekannt. Für eine gewisse Zeit befaßte ich mich mit Berliner und Postdamer Schnauze. Selbst den Glauch'schen Hochadelsdialekt verstehe ich und ein paar Brocken Rottwelsch ('s maijumt, mei Schnarzijer).

Was ich heute auf dem Marktplatz hierzustadt hörte, war mir aber neu. Eine Redensart, die ich so noch nie gehört hatte. Ja, das „Etwas-in-die-Schuhe-Schieben” kenne ich. Und auch das „Faß misch anne Fööß!” ist mir bekannt. Aber das, das möchte ich gern einmal in anderen Dialekten hören oder lesen:

„Saache mah, was willsdn Du mir inde Soggn wurschdln?”