Alles Elon, Baby?
Ich bin, gelinde gesagt, doch sehr erstaunt über das Ausmass der Häme und des – zwar nett verpackten – Hasses, der sich zur Zeit in den Medien und auf #Mastodon über Elon #Musk ergiesst. Was wird dem Mann derzeit nicht vorgeworfen und in die Schuhe geschoben? Twitter-Zerstörer? Check. Eine Bedrohung der nationalen Sicherheit, ja der Demokratie überhaupt? Check. Sockenpuppe der Chinesen? Check. Irgendwas mit Kryptos? Check. Dabei ist es noch nicht sehr lange her, da konnte man meinen, mit Musk sei der über das Wasser laufende Messias persönlich herniedergekommen und praktisch die ganze Medienwelt lag ihm zu Füssen. Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern? Einige Gedanken zum disruptierten Disruptor, der immer weiter disruptiert.
Ehrlich, mir wird jedes Mal mulmig, wenn Leute unkritisch irgendwelchen Heilsbringern hinterher laufen. So ging es mir schon bei Steve Jobs. Und eben auch bei Elon Musk. Die Schnittmenge zwischen Tesla-Groupies und Apple-Fanboys dürfte sehr gross sein. Vielleicht ist es sogar eine Vereinigungsmenge. Kann da mal wer ein passendes Venn-Diagramm erstellen? Ich schweife ab – ja, Musk scheint ein schwieriger Mensch zu sein. Steve Jobs war das auch. Das gehört wohl irgendwie zur Job Description dazu. Aber ist Musk deswegen nun gleich der menschgewordene Antichrist? Nein. Ich würde sagen, er erlebt gerade einfach nur seinen “Zuckerberg-Moment”: Luzifers Höllensturz. Einst hochgelobt, dann verteufelt.
Elons Sündenfall ...
Was hat er also getan, dass er den kollektiven Zorn dermassen auf sich zieht? Er hat zu viel Geld für Twitter ausgegeben? Dumm gelaufen, könnte man meinen. Aber nein, das war es nicht. Gut, dann war es wohl sein enger Umgang mit Peter Thiel, dem Paria? Auch. So richtig gesündigt hat er aber erst, als er mit #Twitter genau dasselbe machte, wie vor Jahren mit der vereinten Automobil-Industrie. Er kam, sah und disruptierte. Plötzlich wurde ein über die Zeit schwer- und selbstgefällig gewordenes System durchgerüttelt, in dem man es sich doch so gemütlich eingerichtet hatte. Und das mögen wir Menschen einfach nicht. Wo kämen wir denn da hin? Da könnte ja jeder kommen!
... und das wahre Problem
Elon Musk ist aber nicht das Problem, nur ein Symptom. Der Kern des Problems liegt ganz woanders. Wenn “Entrepreneurs” mit “Seed Money” und “The Next Big Thing” als “Start ups” mit immer neuem “Venture Capital” solange ihre “Burn Rate” befeuern bis sie entweder zum “Unicorn” werden und damit zu Lasten des von der Herde getriebenen Marktes den grossen Reibach machen oder halt einfach crashen, weil ihnen niemand mehr noch mehr Geld nachwerfen mag, dann kommt eben Twitter dabei raus. Oder #Meta. Oder [Insert Name Here].
Und nein, das Problem ist auch nicht der Kapitalismus. Das hier ist ebenso keine Kapitalismuskritik. Aber wer meint, mit längerfristig nicht tragbaren Geschäftsmodellen wirtschaften zu können, hat so manches nicht verstanden. Die obige Abbildung #TheSiliconValleyParadigm illustriert treffend, was dabei falsch läuft (Abbildung von mir, basierend auf dieser Quelle; ich weiss, das Mises Institute wird hier einige triggern – aber wer recht hat, hat nun mal recht, egal wo er sich politisch verortet).
Genau das scheint bei Twitter eben der Fall zu sein:
“But at a high level, I’ll just highlight that Twitter is a business that, for a very long time, has been very, very weak. And so what we’re seeing today is just that weakness exposed to the public. But it’s actually been weak for a long time. And the two weaknesses are—one, it’s a very inefficient cost structure relative to any other social-media business. And two, it’s very, very slow at actually generating new features and innovating.”
– Andy Wu, Harvard Business School (übrigens einer der wenigen noch verbliebenen Musk-Fanboys)
Kapuzenpullis, Turnschuhe und Bärte machen Menschen eben nicht zu besseren CEOs als Massanzug, Oxfords und Scheitel.
Und was ist jetzt mit den ganzen Medien und den zu Mastodon abgewanderten Twitter-Nutzern? Die schimpfen, schmollen und stampfen mit dem Fuss auf, weil ihnen der böse Mann Elon ihr Spielzeug weggenommen hat. Natürlich live und in Farbe, vom iPhone direkt ins Netz.
Es gilt weiterhin, eine Blase ist eine Blase ist eine Blase. Bis jemand kommt und sie platzen lässt.
PS. Wer sich nun darüber wundert oder aufregt, dass es in diesem Text nur so von religiösen Metaphern wimmelt – das ist ganz im Sinne des Verfassers.
Lesetipp dazu: Carolyn Chen (2022): Work Pray Code: When Work Becomes Religion in Silicon Valley, Princeton: Princeton University Press.
Bildquellen 1. Inspiration4 / John Kraus, CC BY-NC-ND 2.0, via Flickr 2. Michael Gisiger, CC BY-NC-SA 4.0, via PixelFed
Topic #Kommerz