Brain-Drain oder Brain-Drip? Wie sehr beeinträchtigen Smartphones unsere kognitiven Leitungen wirklich?
In der heutigen digital vernetzten Welt ist das Smartphone für viele von uns ein ständiger Begleiter. Doch wie wirkt sich die blosse Anwesenheit dieses Geräts auf unsere kognitive Leistungsfähigkeit aus? Diese Frage wurde erstmals durch die sogenannte Brain-Drain-Hypothese aufgeworfen, die besagt, dass bereits die Anwesenheit eines Smartphones unsere geistigen Kapazitäten beeinträchtigen kann. In diesem Blogbeitrag will ich mich mit der ursprünglichen Studie befassen und die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse betrachten, die die Validität dieser Annahme in Frage stellen.
Was ist die Brain-Drain-Hypothese?
Die Brain-Drain-Hypothese wurde durch eine einflussreiche Studie im Jahr 2017 im Journal of the Association for Consumer Research eingeführt. Die Studie mit dem Titel „Brain Drain: The Mere Presence of One’s Own Smartphone Reduces Available Cognitive Capacity“ [1] wurde vom Psychologen Adrian F. Ward und seinen Kollegen durchgeführt. Ward und sein Team wollten herausfinden, ob die blosse Anwesenheit eines Smartphones die kognitive Leistung beeinträchtigt, insbesondere das Arbeitsgedächtnis – das mentale System, das uns hilft, Informationen über das, was wir gerade tun, zu speichern.
In den Experimenten der Studie mussten die Teilnehmer Wörter erinnern und gleichzeitig mathematische Aufgaben lösen, um die Beanspruchung des Arbeitsgedächtnisses zu messen. Die Probanden hatten ihre Smartphones entweder auf dem Tisch, in der Tasche oder in einem anderen Raum. Die Ergebnisse zeigten, dass die Teilnehmer umso besser abschnitten, je weiter entfernt ihr Smartphone war. Dies deutete darauf hin, dass selbst die blosse Anwesenheit eines Smartphones kognitive Ressourcen beansprucht, selbst wenn man nicht aktiv daran denkt.
Was sagen aktuellere Studienergebnisse dazu?
Seit der Veröffentlichung der ursprünglichen Studie von Ward et al. im Jahr 2017 haben weitere Forscher versucht, die Brain-Drain-Hypothese zu überprüfen und zu bestätigen. Eine der umfassendsten dieser Untersuchungen ist eine Meta-Analyse von Douglas A. Parry aus dem Jahr 2022 mit dem Titel „Does the mere presence of a smartphone impact cognitive performance? A meta-analysis of the 'brain drain effect'“. [2] Parry, ein Dozent für Sozioinformatik an der Stellenbosch-Universität, analysierte Daten aus 27 verschiedenen Studien, um ein klareres Bild von der tatsächlichen Wirkung der Smartphone-Präsenz auf die kognitive Leistung zu erhalten.
Parry untersuchte in seiner Meta-Analyse fünf kognitive Funktionen: Arbeitsgedächtnis, anhaltende Aufmerksamkeit, Inhibitionskontrolle, kognitive Flexibilität und fluide Intelligenz. Insgesamt betrachtete er 56 Effektgrössen aus den 27 Studien. Die Ergebnisse waren aufschlussreich: Von den fünf kognitiven Funktionen zeigte nur das Arbeitsgedächtnis einen statistisch signifikanten negativen Effekt durch die Anwesenheit eines Smartphones. Bei den anderen vier kognitiven Funktionen fanden sich keine signifikanten Effekte.
Dies steht im Einklang mit den ursprünglichen Ergebnissen von Ward und seinen Kollegen, jedoch mit einer wichtigen Einschränkung: Parrys Meta-Analyse ergab, dass der negative Effekt auf das Arbeitsgedächtnis wesentlich kleiner war als ursprünglich angenommen. Während Ward et al. einen deutlichen Einfluss auf das Arbeitsgedächtnis fanden, zeigte Parrys Analyse, dass dieser Effekt zwar vorhanden, aber relativ gering war.
Diese Diskrepanz zwischen den ursprünglichen Ergebnissen und den Meta-Analyse-Ergebnissen deutet darauf hin, dass die blosse Anwesenheit eines Smartphones nicht so stark beeinträchtigend ist, wie zunächst vermutet. Die Meta-Analyse wirft auch Fragen zur individuellen Variabilität auf: Wie stark jemand von der Anwesenheit eines Smartphones beeinträchtigt wird, könnte von persönlichen Faktoren abhängen, wie der Bedeutung, die der Person ihr Smartphone zumisst, oder der Anfälligkeit für das sogenannte „Fear of Missing Out“ (FOMO). [3] Diese Faktoren könnten erklären, warum einige Personen stärker betroffen sind als andere.
Insgesamt zeigt Parrys Meta-Analyse, dass die negativen Auswirkungen der Smartphone-Präsenz auf die kognitive Leistung geringer sind als ursprünglich angenommen.
Zusammenfassung
Während die ursprüngliche Studie von Ward et al. aus dem Jahr 2017 nahelegte, dass die blosse Anwesenheit eines Smartphones die kognitive Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigen kann, zeigt eine umfassende Meta-Analyse von Doug Parry aus dem Jahr 2022, dass die Effekte weniger dramatisch sind. Hier sind die wichtigsten Punkte:
- Ursprüngliche Hypothese: Die Studie von Ward und Kollegen aus dem Jahr 2017 legte nahe, dass die Anwesenheit eines Smartphones das Arbeitsgedächtnis und damit die kognitive Kapazität reduziert.
- Untersuchungsmethoden: Ward et al. massen die kognitive Leistung durch Aufgaben, bei denen Teilnehmer Wörter erinnern und mathematische Probleme lösen mussten, während ihr Smartphone entweder in der Nähe oder weiter entfernt war.
- Meta-Analyse von 2022: Doug Parry analysierte Daten aus 27 Studien und fand heraus, dass die negative Wirkung eines Smartphones auf die kognitive Leistung, insbesondere das Arbeitsgedächtnis, zwar vorhanden, aber kleiner ist als ursprünglich angenommen.
- Variabilität der Effekte: Parrys Analyse zeigte, dass der Effekt auf das Arbeitsgedächtnis signifikant war, jedoch keine signifikanten Effekte auf andere kognitive Funktionen festgestellt wurden.
- Praktische Implikationen: Die Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Anwesenheit eines Smartphones weniger beeinträchtigend ist als vermutet, obwohl individuelle Unterschiede bestehen können, abhängig von persönlichen Faktoren wie der Bedeutung des Smartphones für die jeweilige Person oder der Anfälligkeit für FOMO.
Die Meta-Analyse zeigt, dass die anfänglichen Bedenken hinsichtlich der kognitiven Beeinträchtigungen durch die Anwesenheit eines Smartphones möglicherweise übertrieben waren. Für viele Menschen ist die Ablenkung durch Smartphones wohl eher ein „Brain-Drip“ als ein „Brain-Drain“.
Fussnoten [1] https://doi.org/10.1086/691462 [2] https://doi.org/10.1080/15213269.2023.2286647 [3] Es gibt eine offizielle psychologisch validierte Skala für FOMO aus dem Jahr 2013: https://doi.org/10.1016/j.chb.2013.02.014
Bildquellen 1. ROMAN ODINTSOV auf Pexels. 2. Andrea Piacquadio auf Pexels.
Disclaimer Teile dieses Texts wurden mit Deepl Write (Korrektorat und Lektorat) überarbeitet.
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