Flipped Classroom: You're doing it wrong!

Visual comparison between traditional classroom lecturing and flipped classroom / inverted classroom lecturing. Drawing in cartoon style.

Spätestens seit #Corona ist das schon länger gehypte Modell des Flipped Classroom in aller Munde. Wahrscheinlich sind wir alle schon einmal damit konfrontiert worden. Offen blieb jedoch die Frage nach dem Nutzen und der Wirkung des Ganzen. Ein Review von 46 Metastudien zum Thema [1] gibt überraschende Antworten.

Die Methode Flipped Classroom

Bergmann und Sams (2012:13) [2] beschreiben einen Flipped Classroom wie folgt:

«[…] that which is traditionally done in-class is now done at home and that which is traditionally done as homework is now completed in-class.»

Es ist also eine klassische Zweiphasen-Sequenz bestehend aus (1) der Vermittlung der Grundlagen und (2) einer Vertiefung mit (praktischer) Anwendung. Allerdings findet die erste Phase individuell zu Hause statt und die Vertiefung dann im Klassenverband. Daher der Begriff Flipped Classroom, also „umgedrehtes Klassenzimmer“.

Als Nachteil der klassischen Sequenz wird meist angeführt, dass die erste, passive Phase wertvolle Zeit im Klassenverband raubt, die dann für die Vertiefung, für das aktive Lernen fehlt. Verlagert man nun die Vermittlung (mehrheitlich verstanden als klassischer Frontalunterricht) in individuell zu bearbeitende Online-Formate vor dem eigentlichen Präsenzunterricht, bleibt wesentlich mehr Zeit für die aktive Phase.

Erkenntnisse zur Wirksamkeit eines Flipped Classroom

Der Review hält nun zur Wirksamkeit der Methode folgendes fest:

«[…] while there may be other reasons for advocating flipped learning as it is currently implemented, it is clear that robust scientific evidence in the quality of implementation or its effectiveness over traditional instruction is not among them. Indeed, it seems that implementations of flipped learning perpetuate the things they claim to reduce, that is, passive learning. It is passive learning as opposed to active learning that seems to have the greatest impact on the overall effects.»

Auf der einen Seite ist Flipped Classroom keine etablierte Methode, so dass alle Umsetzungen sehr unterschiedlich sind, auf der anderen Seite hat der Review vier Schlüsselerkenntnisse herausgearbeitet:

  1. Die Qualität der Umsetzung entsprach nicht der Kernaussage, dass aktives Lernen entscheidend für den Erfolg ist: Die Wirkungen können nicht auf das Vorhandensein von aktivem Lernen zurückgeführt werden, da aktives Lernen in der Umsetzung weitgehend fehlte.
  2. Die grösste Wirkung konnte beobachtet werden, wenn der Unterricht im Klassenverband weiterhin ein klassisches Lehrgespräch beinhaltete: Dies deutet darauf hin, dass der Hauptvorteil eines Flipped Classroom nicht unbedingt an der aktiven Beteiligung der Studierenden liegt, sondern in der doppelten oder erweiterten Vermittlung des Stoffs durch die Lehrperson.
  3. Je mehr aktives Lernen in den traditionellen Unterricht integriert wurde, desto geringer wurde der Effekt des Flipped Classroom im Vergleich zum traditionellen Unterricht, und in einigen Fällen kehrte er sich sogar um: Es war also das aktive Lernen, das den Unterschied machte, und nicht die umgekehrte Reihenfolge.
  4. Problemlösen als aktive Lernstrategie vor dem Unterricht hatte in beiden Methoden einen positiven Einfluss auf die Ergebnisse, wobei der Effekt im Flipped Classroom grösser war: Die Integration aktiver Elemente online oder im Unterricht ist also effektiv.

Alternative Vierphasen-Sequenz: Fail, Flip, Fix, Feed

Die Autorinnen und Autoren des Reviews schlagen daher ein alternatives Vorgehen in vier Phasen vor:

  1. Fail: der Lehrperson und den Studierenden die Möglichkeit geben, zu ermitteln, zu überprüfen und zu verstehen, was verstanden wurde und was nicht.
  2. Flip: Einführung in die Grundlagen vor dem Unterricht (z.B. durch die Bereitstellung eines Videos zur Unterrichtsstunde).
  3. Fix: Im Unterricht die Erkenntnisse aus der Fail-Phase aufarbeiten und kombiniert mit einem Lehrgespräch die Grundlagen erarbeiten.
  4. Feed: Feedback an die Studierenden und die Lehrperson über den aktuellen Lernerfolg und die nächsten Schritte. Formative Bewertung (formative assessment) ist ein wesentlicher Bestandteil aktiven Lernens.

fail, flip, fix, and feed, illustrated by Michael Gisiger

Zusammengefasst bedeutet dies, dass (1) das Vorwissen der Studierenden durch eine Problemlösung aktiviert wird, so dass sie sich bewusst werden darüber, was sie wissen und was nicht, gefolgt von (2) einer Online-Lerneinheit, in der die Grundlagen vermittelt werden. Darauf folgt (3) eine Präsenzveranstaltung zur Festigung des Gelernten und zum Abgleich der erarbeiteten Lösungen mit dem zu vermittelnden Stoff. Abschliessend erfolgt (4) eine gezielte, kriteriengeleitete individuelle Beurteilung im Sinne eines formative assessments, die für den weiteren Lernprozess genutzt werden kann.

Dieses Vorgehen erscheint mir auf den ersten Blick schlüssig, auch wenn ich mir im Moment noch keine konkrete Umsetzung vorstellen kann. Diese vier Phasen passen aber sehr gut zu einem agilen, iterativen Vorgehen, z.B. dem PDCA-Zyklus (Demingkreis). Die Autorinnen und Autoren warnen aber auch, dass „[f]uture research is needed to investigate the validity and reliability of its implementation.“


Disclaimer Teile dieses Texts entstanden mithilfe der beiden KI-Tools Deepl Übersetzer (Übersetzung einzelner Teile des Reviews) und Deepl Write (Korrektorat und Lektorat).

Fussnote [1] Kapur M, Hattie J, Grossman I and Sinha T (2022) Fail, flip, fix, and feed – Rethinking flipped learning: A review of meta-analyses and a subsequent meta-analysis. Front. Educ. 7:956416. doi: 10.3389/feduc.2022.956416. [2] Bergmann, J., and Sams, A. (2012). Flip your classroom: Reach every student in every class every day. USA: International Society for Technology in Education. ITSE, ACDE.

Bildquellen 1. Wey-Han Tan, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons 2. Michael Gisiger, CC BY-NC-SA 4.0, via PixelFed

Topic #Erwachsenenbildung


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