Kann Künstliche Intelligenz kreativ sein?
Die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) wirft viele Fragen auf, darunter auch die nach ihrer Fähigkeit zur Kreativität. Kann eine Maschine wirklich kreativ sein, oder ist sie nur ein Werkzeug in der Hand des Menschen? In diesem Blogbeitrag versuche ich, unterschiedliche Perspektiven auf diese Frage zu beleuchten und dabei auch den Begriff der „Kreativität“, der dabei die Hauptrolle spielt, näher zu betrachten.
Aktuell ist es – gerade auch im #Fediverse – en vogue, #KI a prima vista zu verteufeln. So auch im Kontext der Kunst. Natürlich liegt beim Thema KI vieles im Argen und man übt berechtigte Kritik. Allerdings zeigen diese Diskussionen auch auf, dass man dabei zu wenig differenziert vorgeht und z. B. einfach schreibt, KI-generierte Inhalte seien a priori keine Kunst. Obwohl man eigentlich nur kritisieren will, dass KI Berufe wie Illustratorin oder Zeichner verdrängt. Dazu hatte ich bereits einen längeren Faden auf #Mastodon veröffentlicht, den ich hier zu einem Blogbeitrag erweitert habe.
Die drei Formen der Kreativität
Die britische Kognitionswissenschafterin Margaret Boden unterscheidet drei Arten von Kreativität [1], die helfen, die Möglichkeiten und Grenzen von KI in diesem Bereich besser zu verstehen:
- Kombinatorische Kreativität: Diese Art von Kreativität beschreibt das Zusammenfügen von bereits bestehenden Elementen zu neuen Kombinationen. Stellen Sie sich eine Collage vor, bei der verschiedene Bilder und Materialien neu arrangiert werden, um etwas Einzigartiges zu schaffen. In der Literatur zeigt sich kombinatorische Kreativität beispielsweise in der Verwendung von ungewöhnlichen Sprachbildern und Metaphern, die den Leser überraschen und neue Denkanstösse geben.
- Explorative Kreativität: Bei der explorativen Kreativität bewegt man sich innerhalb eines bereits abgesteckten „konzeptionellen Raumes“. Das bedeutet, dass man auf bestehenden Ideen, Stilen und Konventionen aufbaut, aber innerhalb dieses Rahmens nach neuen und interessanten Ausdrucksformen sucht. Die Grenzen des Bekannten werden dabei nicht überschritten. Beispiele für explorative Kreativität finden sich in vielen alltäglichen Bereichen, wie z. B. im Journalismus, in der Werbung oder beim Design. Ein Zeitungsartikel, der einen neuen Blickwinkel auf ein bekanntes Thema wirft, ist ein Beispiel für explorative Kreativität.
- Transformatorische Kreativität: Die transformatorische Kreativität ist die radikalste und seltenste Form der Kreativität. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die Grenzen des bestehenden „konzeptionellen Raumes“ durchbrochen und neue Räume geschaffen werden. Künstler, die diese Art von Kreativität verkörpern, stellen Konventionen infrage, brechen mit etablierten Regeln und erschaffen völlig neue Stile und Ausdrucksformen. Ich denke da z. B. an die ersten abstrakten Maler, die mit den traditionellen Regeln der Darstellung brachen, oder an Musiker, die neue harmonische und melodische Wege beschritten. Diese Künstler haben die Kunstwelt für immer verändert.
KI: Ein Meister der Kombination und Exploration?
Der Wissenschaftsjournalist Christoph Drösser ordnet in seinem 2024 erschienenen Buch Was macht KI mit unserer Sprache? [2] der KI die Fähigkeit zur kombinatorischen und explorativen Kreativität zu. Er argumentiert, dass KI-Modelle in der Lage sind, grosse Datenmengen zu analysieren, Muster zu erkennen und diese auf neue und überraschende Weise zu kombinieren. So können KI-Programme wie #ChatGPT beispielsweise den Stil von bekannten Schriftstellern imitieren und Texte verfassen, die auf den ersten Blick kaum von menschengemachten Texten zu unterscheiden sind. Drösser verdeutlicht dies am Beispiel einer Betriebsanleitung für einen Staubsauger, die im Stil eines Shakespeare-Sonetts verfasst wurde – ein Beispiel für kombinatorische Kreativität, die durch KI ermöglicht wird.
Die transformatorische Kreativität, die für einen echten Paradigmenwechsel steht, traut er der KI jedoch nicht zu. Seiner Meinung nach bewegen sich KI-Modelle innerhalb des durch die Trainingsdaten vorgegebenen „konzeptionellen Raums“ und sind nicht in der Lage, diesen Raum grundlegend zu verändern.
KI-Kunst: Das Werkzeug und der Künstler
Denise Bucher vertritt in ihrem Beitrag in der NZZ am Sonntag vom 04.03.2024 eine ähnliche Position. Sie argumentiert, dass KI nicht allein kreativ sein kann, sondern als Werkzeug von Künstlern genutzt wird, um neue Formen des künstlerischen Ausdrucks zu schaffen. Der Mensch gibt dabei die Richtung vor, indem er der KI durch präzise Spracheingaben, die Prompts, mitteilt, was sie erzeugen soll. Die KI setzt diese Anweisungen dann um und erschafft auf Basis ihrer Trainingsdaten ein Bild, einen Text oder eine andere Art von Kunstwerk.
Gute KI-Kunst entsteht laut Bucher jedoch nicht allein durch die Fähigkeit der KI, Anweisungen zu befolgen. Vielmehr sind es Künstler, die über ein tiefes Verständnis von Ästhetik, Kunstgeschichte und Komposition verfügen, die in der Lage sind, die Möglichkeiten der KI optimal zu nutzen. Nur wer die Sprache der Kunst beherrscht, kann der KI die richtigen Anweisungen geben, um wirklich beeindruckende und innovative Werke zu schaffen.
Fazit: Der digitale Pinsel in Menschenhand
Sowohl Drösser als auch Bucher sind sich einig, dass KI ein mächtiges Werkzeug ist, das Künstlern neue Wege eröffnet. Die menschliche Kreativität bleibt jedoch der entscheidende Faktor. Die Juristen Jannis Lennartz und Viktoria Kraetzig bringen es in einem Beitrag in der FAZ vom 22.02.2024 ($) auf den Punkt: „KI-Modelle sind bei aller Euphorie nicht mehr als ein Werkzeug, das von menschlicher Hand geführt wird – der Prompt als digitaler Pinsel. Mehr Technik heisst am Ende mehr Kunst.“ Die Zukunft wird zeigen, welche neuen Formen künstlerischen Ausdrucks aus der Symbiose von Mensch und Maschine entstehen werden.
Fussnoten [1] http://dx.doi.org/10.1017/S147717560000230X, hier zusammengestellt nach Drösser (2024), S. 53–57. [2] Christoph Drösser (2024): Was macht KI mit unserer Sprache?, Berlin: Duden.
Bildquelle Hugo Glendinning, alle Rechte vorbehalten (Fair Use), via CNBC. Originale Bildunterschrift: Artist Refik Anadol used generative AI to create artworks, seen here at the „Echoes of the Earth: Living Archive,“ exhibition at the Serpentine North gallery in London, U.K.
Disclaimer Teile dieses Texts wurden mit Deepl Write (Korrektorat und Lektorat) überarbeitet. Für die Recherche in den erwähnten Werken und in meinen Notizen wurde NotebookLM von Google verwendet.
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