Präsenz- vs. Online-Unterricht: Ein Erfahrungsbericht nach zwei Jahren COVID-19

Classroom

Die Altjahreswoche ist bekanntlich eine Zeit der Rück- und Ausblicke. Ich möchte diese Zeit dazu nutzen, meine persönlichen, subjektiven Gedanken zum Thema Präsenz- vs. Online-Unterricht festzuhalten. Diese betreffen zudem ausschliesslich die Erwachsenenbildung auf der Tertiärstufe in der beruflichen Weiterbildung, auf der ich hauptsächlich tätig bin. Nach zwei Jahren wechselnder Unterrichtsmodelle dank #Corona ist es wohl der richtige Zeitpunkt dazu. Besonders erstaunt hat mich beim Nachdenken über dieses Thema, wie verschieden meine Präferenzen hierbei sind, je nachdem, ob ich die Rolle des Dozenten oder des Teilnehmers innehabe.

Ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie am Freitag, 13. März 2020 bekannt wurde, dass ab dem 16. März die “ausserordentliche Lage” gelte und damit faktisch der erste Lockdown ausgerufen wurde. Am Donnerstag führte ich noch ganz klassischen Unterricht durch, am Samstag landeten dann die ersten Mails der verschiedenen Bildungsinstitutionen in meiner Inbox, die darüber informierten, wie der Unterricht ab dem 16. März durchzuführen sei. Meine Erfahrung damals war, dass nicht alle Anbieter gleich gut vorbereitet waren. Während an der einen Schule, an der ich mein grösstes Pensum habe, am Montag nahtlos online Unterrichtet werden konnte – man hatte bereits vorher mit #Moodle und #BigBlueButton zwei Systeme in Betrieb, die dafür genutzt werden konnten; sie mussten über das Wochenende nur noch entsprechend skaliert werden –, waren andere schlicht nicht in der Lage dazu. Dort herrschte anfangs ein wahres Chaos, alle Dozierenden mussten selber schauen, wie sie sich organisieren wollten. Aber die digitale Reife von Bildungsinstitutionen ist heute nicht das Thema, deswegen konzentriere ich mich ausschliesslich auf meine Erfahrungen bei der erstgenannten Schule.

Phase 1: Reiner Online-Unterricht

Am Montag sassen wir also da, in BigBlueButton, und es war für praktisch alle eine neue Erfahrung: Es dauerte wohl gut zwei Wochen bis alle auch technisch versiert genug waren, um einen einigermassen sinnvollen Unterricht durchführen zu können. Neben den technischen gab es auch organisatorisch-kulturelle Hürden. Müssen alle immer die Kamera an haben? Wie kann man sich zu Wort melden? Und vieles mehr. Das kennen wahrscheinlich alle aus ihren Online-Meetings, die damals gezwungenermassen von zu Hause aus arbeiten mussten.

Mein Fazit damals lautete: Gute Studierende konnten in der Regel weiterhin vom Unterricht – der anfänglich auch nicht auf online ausgerichtet war – profitieren, andere jedoch wurden praktisch komplett unsichtbar. Die Beteiligung und v.a. der Austausch mit dem Dozenten und untereinander (die soziale Interaktion) kam praktisch zum Erliegen.

Phase 2: Erstmalige Lockerungen mit Präsenzunterricht vor Ort und online

Als der Unterricht das erste Mal wieder physisch möglich wurde, war die Schule, war ich überrascht, dass kaum jemand wieder vor Ort den Unterricht besuchen wollte. Mittlerweile hatte auch ein neues Semester, hatten neue Module angefangen. Wenige Wochen nach Beginn war aber alles wieder wie während des Lockdowns: Da keine Studierenden vor Ort waren, fand auch der Unterricht weiterhin nur online statt. Immerhin hatten wir alle dazugelernt, so dass die Unterrichtsgestaltung dem Format einigermassen angepasst war. Die oben beschriebenen Probleme blieben aber bestehen.

Anfangs dachte ich, dass wegen der Corona-Situation kaum jemand den Unterricht vor Ort besuchen wollte, bis es mir dann dämmerte, nein, es war ein ganz anderer Faktor: die Bequemlichkeit. Wozu sich ein, zwei Tage pro Woche an eine Schule begeben, wenn man den Unterricht auch bequem von zu Hause aus absolvieren kann? Einen positiven Effekt, zumindest für die Schule, gab es dadurch jedoch. Das Einzugsgebiet hatte sich deutlich vergrössert, plötzlich hatten wir Teilnehmende aus Ecken der Schweiz, die vorher nie ein Institut in Zürich in Betracht gezogen hätten.

Phase 3: Zweiter Lockdown

Es kam wie es kommen musste, alle mussten wieder zu Hause bleiben. Mittlerweile fanden sich aber alle gut mit dem Setting zurecht, ich persönlich denke auch, dass sich mein Unterricht ganz gut den Anforderungen angepasst hat. Was mir wirklich fehlte, war die soziale Interaktion, mittlerweile hatte ich Teilnehmende, die ich in Prüfungssituationen, wenn die Kamera zwingend eingeschaltet sein musste, zum ersten Mal zu Gesicht bekam.

Hier fasste die Schule auch den Entscheid, dass künftig die Studierenden selbst bestimmen konnten, ob sie dem Unterricht vor Ort oder online folgen, wobei eine Online-Teilnahme live auch als Präsenz gilt. Sie sollten zudem die volle Freiheit haben, auch beliebig zwischen einer Teilnahme online oder vor Ort hin und her zu wechseln. Da zudem alle Unterrichtseinheiten aufgezeichnet werden, können sie diese auch zeitversetzt selbständig bearbeiten. Das Experiment, dass man gewisse Veranstaltungen nur so absolvieren konnte, wurde jedoch schnell wieder aufgegeben. Es hat sich nicht bewährt und ist rein von den Vorgaben her auch bei vielen Lehrgängen gar nicht möglich.

Zoom Meeting

Phase 4: Normalisierung, sort of

Und heute? Das zweigleisige Angebot vor Ort und/oder online wurde beibehalten (was natürlich wiederum neue Herausforderungen an die Unterrichtsplanung und -gestaltung stellt, wenn die Klasse immer gemischt anwesend ist) und ist heute das neue Normal. Ich persönlich finde das gut, allen Herausforderungen zum Trotz. Interessant ist jedoch der Unterschied (1) zwischen bestehenden und neuen Studierenden (im Herbst begannen wiederum neue Lehrgänge und Semester) und (2) zwischen den Geschlechtern (ja, ich weiss, heikel, aber das ist meine subjektive Wahrnehmung, die so wahrscheinlich nicht allgemein gültig ist).

Jene Teilnehmenden, die ausschliesslich oder praktisch nur online gestartet sind, bleiben weiterhin zu Hause. In diesen Lehrgängen sind es oft deutlich mehr als 90 Prozent, die nie vor Ort den Unterricht besuchen. Bei den neuen Klassen sieht es anders aus, hier sind wieder gut 80 Prozent immer da, die restlichen nutzen das Angebot des bedarfsabhängigen Wechsels zwischen Online und Präsenz und nur ganz wenige kommen nie. Dies sind in den meisten Fällen auch jene, die zu weit weg wohnen. Was mich erstaunt, ist jedoch die Tendenz, dass Teilnehmer sehr häufig immer da sind, während es hauptsächlich die Teilnehmerinnen sind, die nur sporadisch oder gar nie vor Ort sind. Aber wie gesagt, das ist meine Beobachtung, die nicht verallgemeinert werden kann. Vielleicht liegt es an den thematischen Schwerpunkten der Lehrgänge oder an vielen weiteren Faktoren.

Mein Fazit

Seit dem letzten Herbst findet der Unterricht nun wieder vor Ort statt. Erst da habe ich bemerkt, wie viel mehr Spass mir das macht, so zu unterrichten. Ich stelle fest, dass ich wieder motivierter bin und mit mehr Freude den Unterricht in Angriff nehme. Auch die Herausforderung, immer mit einem Klassenteil konfrontiert zu sein, der online dabei ist, begreife ich als Chance, mich und meinen Unterricht weiterzuentwickeln. Im Endeffekt ist es wohl der persönliche Austausch, den ich am meisten vermisst habe – (berufliche) Erwachsenenbildung ist in meinem Verständnis noch viel mehr ein gegenseitiges Geben und Nehmen zwischen Lehrperson und Teilnehmenden als das andernorts der Fall ist.

Bemerkenswert finde ich zudem, dass ich selber, wenn ich mich in der Rolle des Lernenden wiederfinde, genau anders ticke. Schon vor Corona habe ich die vielfältigen Online-Angebote wahrgenommen, die individuelles Lernen zeit- und ortsabhängig ermöglichen. Das hat sich in letzter Zeit sogar noch verstärkt. Ich lerne gerne in meinem eigenen Setting, ganz individuell und in meinem Tempo. Wenn ich eine Präsenzveranstaltung besuche, dann tue ich das primär, um neue Leute kennenzulernen, nicht zwingend wegen den Inhalten (höchstens wegen dem “offiziellen Papier”, das es noch dazu gibt). Ich für mich bevorzuge informelles Lernen. Aber zum Glück sind wir da alle unterschiedlich.


Bildquellen 1. Photo by Felicia Buitenwerf on Unsplash 2. Photo by Sigmund on Unsplash

Topic #Erwachsenenbildung


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