Ungleiche Bildungschancen durch generative KI-Modelle?

Digital Divide durch KI

Der Artikel „Education Is On The Frontlines Of The AI Culture Wars“ von Marc Watkins wirft derzeit hohe Wellen. Besonders eine provokative These von Watkins geistert derzeit durch alle meine Kanäle: Der zukünftige soziale Aufstieg hänge nicht mehr vom Hochschulbesuch an sich ab, sondern davon, ob man von Menschen oder Algorithmen unterrichtet wurde. Im Folgenden möchte ich darum kurz den Inhalt des längeren Textes von Watkins kurz zusammenfassen und anschliessend seine steile These diskutieren.

Watkins Standpunkte

Watkins Beitrag erörtert die Auswirkungen generativer KI-Systeme auf die #Bildung und warnt vor einer sich abzeichnenden Kluft zwischen zwei Lagern:

“I said this last year and think it rings truer today—the mark of future mobility will not be having access to a college education. Rather, it will be if you could afford to go to an institution where a human being taught you or if you had to attend one where you learned from an algorithm.”

Mein Kommentar zu den „AI Culture Wars“

Watkins legt seine Bedenken und Prognosen zur zukünftigen Entwicklung der Bildung unter dem Einfluss der generativen KI ausführlich dar. Seine These, dass der soziale Aufstieg in Zukunft nicht mehr primär vom Besuch einer Hochschule, sondern vielmehr von der Art des Unterrichts – menschlich oder algorithmisch – abhängen wird, ist jedoch diskussionswürdig. Denn bei näherer Betrachtung erscheinen einige Aspekte dieser These, insbesondere mit Blick auf das US-amerikanische Bildungssystem, in einem kritischen Licht. Watkins Zitat sorgt für Aufmerksamkeit und Reichweite, ist aber in seiner plakativen Form eine sehr starke Verkürzung der Thematik.

Zunächst ist festzuhalten, dass Watkins Analyse stark vom amerikanischen Kontext geprägt ist, dessen Bildungssystem weithin als reformbedürftig angesehen werden kann. In Europa hingegen, wo Bildung häufig noch als öffentliches Gut angesehen wird, erscheinen die Herausforderungen und Chancen der generativen KI in einem anderen Licht. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, die Diskussion nicht auf das US-amerikanische System zu beschränken, sondern in einem breiteren internationalen Rahmen zu führen.

Nicht institutionalisierte formale Bildung hatte schon immer einen schweren Stand

Darüber hinaus erinnern die in der These geäusserten Vorbehalte gegenüber generativer KI stark an frühere Diskussionen um E-Learning und vorher schon Fernstudien. Auch hier gab und gibt es Zweifel bezüglich der Legitimität und Qualität solcher Bildungsangebote. Die Geschichte zeigt, dass sich Bildungstechnologien oft erst nach einer Phase der Skepsis und kritischen Auseinandersetzung durchsetzen. Die nicht enden wollenden Debatten über die Nutzung von Google oder Wikipedia durch Studierende können hier als weitere Beispiele dienen. Es ist daher wichtig, den Diskurs über generative KI in diesen grösseren historischen Kontext zu stellen und aus den Erfahrungen der Vergangenheit zu lernen.

Symbolbild: Tageslichtprojektor

Der „Digital Divide“ in der Schule besteht schon lange

Ein weiterer kritischer Punkt betrifft die vermeintlich drohende digitale Kluft. Watkins selbst weist auf die Gefahr hin, dass durch generative KI neue Gräben entstehen könnten. Der „Digital Divide“ ist im Bildungsbereich jedoch längst Realität. Zugang, Nutzung und Verständnis neuer Technologien sind bereits heute ungleich verteilt. Die Einführung von generativer KI in Bildungseinrichtungen sollte daher auch als Chance begriffen werden, diesen Gräben entgegenzuwirken, indem allen Schülern der Zugang zu entsprechenden Lernwerkzeugen ermöglicht wird. Die Schulen stehen dabei in der Verantwortung, nicht nur die Anwendung solcher Werkzeuge zu vermitteln, sondern auch ethische, urheberrechtliche und datenschutzrechtliche Aspekte im Umgang mit KI.

Bildungseinrichtungen stürzen sich schon lange blauäugig in problematische Abhängigkeiten

Die bisherige Praxis vieler Bildungseinrichtungen, sich in problematische Abhängigkeiten von grossen Technologieanbietern zu begeben, gibt jedoch berechtigten Anlass zur Sorge. Dies unterstreicht die Dringlichkeit, bei der Integration von generativer KI in die Bildung sowohl Datenschutzaspekte als auch die Wahrung pädagogischer Standards zu berücksichtigen. Nur so kann verhindert werden, dass sich die Bildungslandschaft in Zukunft noch stärker in Abhängigkeiten verstrickt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Diskussion über generative KI in der Bildung weit mehr als nur technische Fragen berührt. Sie fordert uns auf, über die Grundwerte unserer Bildung und über Chancengleichheit neu nachzudenken. Watkins Beitrag liefert dazu wichtige Denkanstösse, die Debatte muss aber weit über die akademische Welt hinausgehen und alle gesellschaftlichen Gruppen einbeziehen. Mit Totalverweigerern ist eine ethisch und sozial verantwortliche Bildung nicht zu machen.

In diesem Sinne möchte ich mit einem Zitat von Jorge Arango schliessen, das ich vor kurzem auf Mastodon gefunden habe und das zwar aus einem ganz anderen Kontext stammt, mir aber hier passend erscheint:

“Far too many people are developing passionate opinions about AI without venturing further than ChatGTP. This is a mistake.”@jarango@mastodon.social


Disclaimer Teile dieses Texts wurden mit Deepl Write (Korrektorat und Lektorat) überarbeitet. Das Titelbild wurde mit Dall-E erstellt, Prompt: “A starkly contrasting retrofuturistic, dystopian cyberpunk cityscape illustrating the theme of unequal educational opportunities through generative AI models. The image is divided into two dramatically different environments: On the brightly lit, advanced side, a human is engaging in a learning session with a sleek, modern cyborg, surrounded by high-tech educational tools and a clean, futuristic environment. This side epitomizes progress and access to the latest AI technology. On the other side, the scene shifts dramatically to a dark, neglected area where a human is attempting to learn from an old, rusty cyborg amidst broken technology and crumbling infrastructure. This side symbolizes the lack of access to educational resources and the struggles faced by those left behind in a rapidly advancing world. Ensure that both sides feature exactly one human and one cyborg to highlight the personal impact of this technological divide, set in a wide format.”

Bildquellen 1. Michael Gisiger, CC BY-NC-SA 4.0, via PixelFed 2. Symbolbild: Overhead projector, used during lessons in a classroom by mailer_diablo, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Topic #Erwachsenenbildung


Folge mir auf Mastodon | Pixelfed | Bookwyrm