Bastiat über Regierung – o. V.

Bastiat über Regierung.

In Privattransaktionen ist der Einzelne der Richter sowohl seiner eigenen Leistungen wie auch derjenigen, die er empfängt. Er kann immer einen Tausch ablehnen und anderswo handeln. Es liegt keine Notwendigkeit für den Austausch von Dienstleistungen vor, ausser infolge vorherigen freien Übereinkommens. Dies gilt nicht vom Staat, namentlich nicht vor der Einführung repräsentativer Regierung. Ob wir seiner Dienste bedürfen oder nicht, seien sie gut oder schlecht, wir müssen sie annehmen, wie sie uns geboten werden, und den Preis dafür zahlen.

Alle Menschen haben den Hang, ihre eigenen Leistungen zu überschätzen wie diejenigen Anderer zu unterschätzen, und die Privatangelegenheiten würden übel reguliert werden, wenn es nicht irgendein Wertmass gäbe. In den öffentlichen Angelegenheiten haben wir keine solche Garantie (oder kaum eine). Aber immerhin unterliegt die aus Menschen bestehende Gesellschaft der universellen Tendenz, wie nachdrücklich auch das Gegenteil insinuiert werden mag. Die Regierung möchte uns sehr grosse Dienste erweisen, viel mehr als wir wünschen, und zwingt uns, das als einen wahren Dienst anzuerkennen, was häufig etwas ganz Verschiedenes ist, und das geschieht zu dem Zweck, um uns Kontributionen abzuverlangen …

Der Staat ist auch dem Malthus'schen Gesetz unterworfen. Er wirtschaftet fortwährend über seine Mittel hinaus, er vermehrt sich im Verhältnis zu seinen Mitteln, und zieht seinen Unterhalt ausschliesslich vom Eigentum des Volks. Wehe dem Volke, welches die Domaine des Staates nicht einzuengen vermag! Freiheit, Privatinitiative, Wohlstand, Wohlfahrt, Unabhängigkeit, Menschenwürde hängen davon ab.

Sollte jemand die Frage stellen, was für Dienste solche Regierungen wie Assyrien, Babylonien, Ägypten, Rom, Persien, die Türkei, China, Russland, England, Spanien und Frankreich dem Volke geleistet haben, und was Letzteres dafür hat bezahlen müssen, so würde er über die ungeheure Ungleichheit erstaunen.

Schliesslich erfand man die repräsentative Regierung, und aus à priorischen Gründen hätte man glauben können, dass die Unordnung wie durch Zauber aufhören würde. Das Prinzip dieser Regierungen ist folgendes: „Das Volk selber, durch seine Vertreter, soll über die Natur und den Umfang des öffentlichen Dienstes, sowie über die dafür zu leistende Vergütung entscheiden.“ Der Hang, sich das Eigentum Anderer anzueignen, wie der Zug, sein eigenes zu beschützen, kommen so in Berührung. Man könnte annehmen, dass der letztere den ersteren beherrschen wird. Ich habe die Überzeugung, dass der letztere einst vorherrschen wird, aber wir müssen zugeben, dass das bis jetzt noch nicht geschieht.

Warum nicht? Aus einem sehr einfachen Grund. Die Regierungen haben Geschick. Sie handeln methodisch, folgerichtig, nach einem wohl überdachten Plan, welcher fortwährend verbessert wird durch die Tradition und Erfahrung. Sie studieren die Menschen und ihre Leidenschaften. Wenn sie z. B. wahrnehmen, dass das Volk mit kriegerischen Instinkten veranlagt ist, dann schüren und entflammen sie diese fatale Neigung. Sie setzen es durch die Diplomatie nach allen Seiten hin Gefahren aus, und dann verlangen sie natürlicherweise Soldaten, Matrosen, Arsenale und Befestigungen. Oft haben sie nur den Trubel, diese Dinge anzunehmen. Dann haben sie Pensionen, Ämter und Ehrenposten zu vergeben. All dies verlangt Geld. Daher Anleihen und Steuern.

Ist das Volk generös, dann macht sich die Regierung anheischig, alle menschlichen Gebrechen zu heilen. Sie verspricht, den Handel zu heben, den Ackerbau zu fördern, das Fabrikwesen zu entwickeln, Künste und Wissenschaften zu ermutigen, das Elend zu verbannen, u. s. w. Alles, was dazu notwendig ist, ist die Schaffung von Ämtern und die Bezahlung von öffentlichen Beamten. Mit anderen Worten, ihre Taktik besteht in der Präsentierung von Dingen als wirkliche Dienste, welche nichts als Hindernisse sind; dann bezahlt das Volk nicht für seine Bedienung, sondern für seine Dienstbarkeit. Regierungen, welche riesige Dimensionen annehmen, absorbieren schliesslich die Hälfte der Einkünfte. Das Volk ist darüber erstaunt, dass während die Zahl wunderbarer, arbeitsersparender Maschinen, welche die Produktion ins Unendliche zu vermehren bestimmt sind, täglich wächst, es sich immer noch mühselig weiter quälen und so arm wie zuvor bleiben muss.

Das kommt davon, weil die Regierung so grosse Fähigkeiten hat und das Volk so wenige. So wenn es seine Agenten zu wählen hat, diejenigen, welche das Gebiet der Regierungsaufgaben wie die dafür zu leistende Vergütung zu bestimmen haben, wen wählt es da? Die Agenten der Regierung. Es gibt die ausführende Gewalt, wie die Bestimmung der Grenze von deren Tätigkeit und Anforderungen aus seinen Händen. Es ist wie der Bourgeois Gentilhomme, welcher die Auswahl und die Zahl seiner Kleider seinem Schneider überliess.

Jedoch, die Dinge entwickeln sich vom Schlechten zum Schlimmeren und schliesslich gehen dem Volk die Augen auf, nicht über das Heilmittel, denn es gibt bis jetzt noch keins, sondern über das Übel. Das Regieren ist eine so angenehme Beschäftigung, dass jedermann sich derselben hinzugeben wünscht. Daher werden die Ratgeber des Volkes nie müde, zu erklären: „Wir kennen Eure Leiden und wir beklagen sie. Es würde anders damit stehen, wenn wir Euch regierten.“

Diese Periode, welche gewöhnlich eine Zeit lang andauert, ist eine Periode der Empörungen und Insurrektionen. Wenn das Volk unterworfen ist, fallen ihm noch zu seiner alten Bürde die Ausgaben des Kriegs zur Last. Wenn das Volk siegt, dann gibt es einen Regierungswechsel, und die Übelstände wuchern weiter. Das währt so lange, bis das Volk seine wahren Interessen zu erkennen und beschützen lernt. So kommen wir immer wieder darauf zurück: Es gibt kein Heilmittel ausser dem Fortschritt der öffentlichen Intelligenz.

Manche Völker scheinen auffallend dahin zu neigen, die Opfer regierungsmässiger Ausbeutung zu werden. Dies sind diejenigen Völker, wo die Menschen, statt auf ihre eigene Würde und Energie zu vertrauen, sich für verloren betrachten, wenn sie nicht in allen Dingen regiert und geleitet werden. Ohne weit gereist zu sein, habe ich doch Länder gesehen, wo man glaubt, der Ackerbau könne keine Fortschritte machen, wenn der Staat nicht Experimentalfarmen unterhält; dass es bald keine Pferde mehr geben wird, wenn der Staat keine Ställe leitet; und dass die Väter ihre Kinder nicht erziehen lassen, oder ihnen doch unsittliche Dinge beibringen werden, wenn der Staat nicht vorschreibt, was gelehrt werden soll. In einem solchen Lande können Revolutionen rasch aufeinander folgen, und eine Sippe von Herrschern nach der andern abgesetzt werden. Aber die Regierten werden nichtsdestoweniger von der Laune und der Gnade ihrer Herrscher weiterregiert, bis das Volk einsehen lernt, dass es besser ist, die grösstmögliche Zahl von Dienstleistungen in der Kategorie derjenigen zu belassen, welche die dabei interessierten Parteien nach einer billigen Besprechung des Preises gegeneinander austauschen.

Die Revenuen eines Müssiggängers sind wie Werte, die man in die Flammen des Aetna wirft. — Proudhon

(Libertas 4, Samstag, 5. Mai 1888, S. 8.)

Anmerkungen