Beispiele beklagenswerter Langlebigkeit – Benjamin R. Tucker
Beispiele beklagenswerter Langlebigkeit.
Kaiser Wilhelm ist im Alter von einundneunzig Jahren gestorben. Das seinige war ein langes Leben, und das ist das Schlimmste davon. Viel kann man einem Tyrannen verzeihen, der anständig genug ist, jung zu sterben. Aber des Gedächtnisses dessen, der so die Pein ausdehnt und verstärkt, kann man nicht mit Milde gedenken. Wie Brick Pomeroy bemerkt, gibt es so etwas wie genug. Die einundneunzig Jahre eines solchen Menschen wie Wilhelm waren für Deutschland und die Welt viel zu viel. Aber es sind nicht nur die Könige, die zu lange leben. Dieses schreckliche Geschick befällt manchmal die Dichter. Unter andern hat es Walt Whitman erreicht. Dass er lange genug leben sollte, um sein „barbarisches Gejohle,“ wie er selbst seine Dichtungen bezeichnet, so weit zu zivilisieren, um es in Wehklage über Deutschlands Verlust seines „getreuen Hirten“ über die Hausdächer der Welt hinweg erschallen zu lassen, und dass er sich dazu auf das Verlangen einer kapitalistischen Zeitung der ungeziemenden Beihilfe des elektrischen Telegraphen bedienen sollte, und mutmasslich für Lohn, so das empörende Schauspiel der Prostitution ehemaliger männlicher Reinheit aufführend, ist in der Tat ein schmerzliches Beispiel überzähliger Jahre. Die Neigung von Volksdichtern, nachdem sie einmal über ihre Sangesjahre hinaus sind, ihre gebrochenen Stimmen zum Lob der Unterdrücker des Volkes zu erheben, den Flammen zu überliefern, was sie einst anbeteten und anzubeten, was sie einst den Flammen überlieferten, stimmt einen zur Versöhnung mit dem sonst unerträglichen Gedanken, dass es Shelley und Byron kaum vergönnt war, ihre Knabenzeit zu überleben. Der Fall Russell Lowells war ein fürchterlicher Schlag für diejenigen, welche nie müde werden, die „Big’low Papers“ zu lesen und „The Present Crisis“ auswendig kennen, aber die Bitterkeit ihres Kelches ist Honig neben dem Wermut, der allen Liebhabern von „Leaves of Grass“ zuteilgeworden sein muss, als sie das Klagelied des Barden der Demokratie über den Tod des Tyrannen Wilhelm lasen. Als einer der begeistertsten Bewunderer Walt Whitmans ersuche ich ihn dringendst, den Rest Schweigen sein zu lassen und nicht wieder das spukende Phantom uns vorzuführen, das er in den Tagen, da er noch schreiben konnte, beschrieb als eine „traurige, hastige, unerwachte Somnambule, im Dämmerlicht wandelnd.“
T.
(Libertas 1, Samstag, 17. März 1888, S. 5.)