„Brüderliche“ Gewalt – Victor Yarros
„Brüderliche“ Gewalt.
Das „Commonweal“ ist eine der wenigen sozialistischen Zeitungen, die zu lesen ich immer Geduld habe, da ihre Lebendigkeit und Gedankenfülle eine ziemlich beachtenswerte Ausnahme bilden zu der langweiligen Gemeinplätzigkeit des sozialistischen Durchschnittsjournals. In seiner letzten Ausgabe finde ich folgenden, dem „People“ entnommenen Ausschnitt:
Es ist nicht ein väterlicher, sondern ein brüderlicher Staat, den wir anstreben. Könnt ihr Schreier nach Individualismus nicht den Unterschied einsehen?
Es ist dies eine sehr gute Illustration der sozialistischen Methode, Schwierigkeiten zu umgehen und mit einer beneidenswerten Leichtigkeit ihr Sicherheitsbedürfnis zu befriedigen. Greife sie an, wo du willst, sie sind vollkommen sicher und unverwundbar. Zerstöre ihren Standpunkt, und sie werden seinen Namen ändern und behaupten, dass dein Feuer ihnen nicht geschadet habe. Du widersetzest dich dem Zwangselement in ihren reformatorischen Utopien und zeigst ihnen die Inkonsequenz, den Widersinn, die selbstvernichtende Tendenz der Behandlungsweise, die sie der Gesellschaft vorschreiben, und sie werden für ihre gesundheitswidrige Medizin eine andere Etikette erfinden.
Namen tun nichts zur Sache, meine Herren. Zeigt uns, dass der Staatssozialismus unsere Freiheit nicht vergewaltigt, uns unseres rechtmässigen Besitzes nicht zu entäussern trachtet und uns den unwissenden Aberglauben der Majorität nicht aufzwingt, aber versteckt euch nicht hinter dem Euphemismus eines „brüderlichen“ Staates. Bah! Lest Bastiat:
„Die Montagnards beabsichtigen, dass die Besteuerung ihren bedrückenden Charakter verlieren und nur ein Akt der Brüderlichkeit werden soll.“ — Politische Plattform. Gültiger Himmel! Ich weiss, dass es heutzutage Mode ist, die Brüderlichkeit in alles hineinzudrängen, aber ich hätte es mir nicht vorgestellt, dass sie je in die Hände des Steuereinnehmers gegeben würde.
Es gibt Leute, die es lieben, wenn sie unter dem Einfluss berauschender Getränke stehen, umherzugehen und ihre brüderlichen Umarmungen und Küsse jedermann aufzudrängen, ihnen vollkommen Unbekannte nicht verschonend. Ohne Zweifel wäre ein solches betrunkenes Individuum sehr erstaunt, wollte sich jemand von seiner Herzlichkeit beleidigt und abgestossen fühlen. Doch die Freiheit, seine Freunde und Gefährten selbst zu wählen, ist von grösster Wichtigkeit. Wir bestehen darauf, dass wir gegen unseren Willen nicht einmal geküsst werden wollen.
V.Y.
(Libertas 3, Samstag, 21. April 1888, S. 5.)