Die freie Konkurrenz – George Schumm

Die freie Konkurrenz.

Das zweite Wort der Staatssozialisten ist stets ein Verdammungsurteil über die freie Konkurrenz. Der schrankenlosen, freien Konkurrenz, wie sie das Ding auch nennen, wird ohne weiteres Forschen die Schuld für die herrschende Misere in die Schuhe geschoben. Für alle die sozialen Übelstände, über welche gerechter- und erfreulicherweise immer lautere Beschwerde geführt wird, machen die Anhänger des Staatssozialismus die freie Konkurrenz verantwortlich. Es fällt ihnen nicht ein, einmal zu untersuchen, ob es auch wirklich auf dem Gebiet der Industrie im wahren Sinne des Worts eine freie Konkurrenz gebe. Vergebens verweist man sie auf die Tatsache, dass die Konkurrenz nicht eigentlich eine freie ist, dass also die gegen sie erhobenen Anklagen nicht die freie Konkurrenz treffen, und dass es vielmehr eine unfreie Konkurrenz ist, aus welcher die heutigen sozialen Übelstände entspringen. Vergebens hält man ihnen vor, dass Bodenrente, Kapitalzins und Profit, diese Hauptformen des an der Arbeit verübten Raubs, gerade auf die gesetzliche Beschränkung und Unterdrückung der freien Konkurrenz zurückzuführen sind, und dass unter dem Walten wahrhaft freier Konkurrenz diese Ausbeutungsformen sich nicht erhalten könnten und die Arbeit in den Besitz ihres vollen Ertrags gelangen würde. Es nutzt alles nichts, die Staatssozialisten halten eigensinnig an der einmal angenommenen Ansicht fest. Vielleicht kann ich den Staatssozialisten gegenüber die Ansicht, welche die freie Konkurrenz mit der Herausbildung und dem Fortbestand der heutigen misslichen Eigentumsverhältnisse belastet, auf keine wirksamere Weise widerlegen als durch das nachfolgende Zitat aus einer Rede Lassalles:

Rodbertus hat Sie darauf hingewiesen; wie sind die jetzigen Besitzverhältnisse entstanden? Haben dieselben unter der Herrschaft der freien Konkurrenz begonnen? Sind die Grundsätze der heutigen Vermögensverhältnisse durch die freie industrielle Arbeit gelegt? Sie sind vielmehr das Produkt einer Vergangenheit von zwei Jahrtausenden. Diese haben die Grundlage gelegt für die heutigen Verhältnisse des Besitzes. In diesen zweitausend Jahren war erst Sklaverei, dann Leibeigenschaft, dann Hörigkeit und daneben Zunftzwang. Das sind alles Staatsinstitutionen gewesen, ganz positive Staatseinrichtungen. Unter diesen Einrichtungen und durch diese gezwungen haben Sie, resp. Ihre Vorfahren, als Sklaven, als Leibeigene, als zünftige Lehrlinge und Gesellen für die jetzigen besitzenden Klassen das Vermögen produziert, das sie nun haben. Kam endlich die Französische Revolution und proklamierte die Rechtsfreiheit und die freie Konkurrenz, aber natürlich behielten die Besitzenden das Vermögen, die Waffen, die Sie ihnen geschmiedet, und erlauben Ihnen nun, unbewaffnet, mit Ihren Nägeln und Zähnen in den Wettkampf, in die freie Konkurrenz mit eben den Kapitalien und Maschinen einzutreten, die Sie durch so viele Jahrhunderte hindurch für jene erarbeitet haben.

Aus diesem Zitat geht deutlich hervor, dass Lassalle nicht die freie Konkurrenz für die herrschenden ungleichen und ungerechten Eigentumsverhältnisse verantwortlich machte, sondern den Staat mit seinen gewaltsamen Eingriffen in das Erwerbsleben der Menschen. Daraus ergibt sich für den logischen Geist von selber die Forderung nach der Elimination des Staats aus dem Industrieleben des Volks und der Herstellung wirklich freier Konkurrenz.

Aber weil es nach der Meinung der Staatssozialisten nichts Gutes mit der freien Konkurrenz auf sich hat, weil sie nach ihrer Behauptung die Gütererzeugung und Verteilung nicht in Gemässheit mit dem Begriff der Gerechtigkeit zu regeln vermag, weisen sie die Aufgabe dieser Regulierung dem Staate zu. Als ob der Staat dies vermochte! Der durch diese Forderung bekundete sozialistische Staatsbegriff entspricht genau dem Gottesbegriff des religiösen Glaubens. Ohne einen Gott kann sich der religiöse Mensch das Weltall gar nicht vorstellen. Ähnlich ergeht es dem Staatssozialisten im Hinblick auf die Volkswirtschaft. Ohne den Staat würde sich nach seiner Behauptung der industrielle Verkehr des Volks in die hellste Unordnung auflösen.

Nun, wir haben ja den Staat, und man sieht’s täglich, wie es um die Ordnung bestellt ist.

Nein, wir brauchen keinen Staat, um auf dem Gebiet des Erwerbslebens Ordnung herzustellen und zu erhalten. Was wir brauchen, ist mehr Freiheit, wirkliche, durchgreifende freie Konkurrenz. Eine ideale Ordnung wird es nie geben, aber ich hege die feste Überzeugung, dass sich die grösstmögliche Annäherung an dieselbe aus dem freien Walten der natürlichen, durch keine staatlichen Zwangsmassregeln behinderten Gesetze des menschlichen Zusammenlebens und Verkehrs herausbilden wird. Die herrschende schreiende Unordnung ist nicht die Folge der freien Konkurrenz, noch wird sie durch dieselbe aufrechterhalten; diese Unordnung ist vielmehr eine Schöpfung des Monopols, des Staats.

Nieder mit dem Monopol! Es lebe die Konkurrenz, aber die freie Konkurrenz!

G. S.

(Libertas 7, Samstag, 30. Juni 1888, S. 5.)

Anmerkungen