Die Wirkung der Gewalt im Finanzwesen – Benjamin R. Tucker
Die Wirkung der Gewalt im Finanzwesen.
Das Verhalten des Senators Reagan von Texas in der Prohibitionsfrage hat gezeigt, dass er nichts weniger als ein zuverlässiger Verfechter der Freiheit ist; aber nichtsdestoweniger legte er eine angemessene Rücksicht für die Freiheit an den Tag und bekundete einen hohen Grad von finanzieller Einsicht, als er unlängst in einer im Senat stattgehabten Debatte der Idee des „Legal Tender“ Papiergelds opponierte und erklärte, dass, wenn noch mehr Tresorscheine ausgegeben werden müssten, sie nicht als „Legal Tender“ für Privatschulden, sondern als Zahlungsmittel für alle Steuern und öffentlichen Gebühren gelten sollten. Der Fort Worther „Southwest“ jedoch, der an ein ausschliessliches „Legal Tender“-Geld glaubt, bediente sich sehr harter Ausdrücke gegen Senator Reagan und vergleicht, was er als dessen einseitigen „Legal Tender“-Entwurf bezeichnet, d. h. einen Entwurf für „Legal Tender“ für die Regierung, aber nicht für Individuen, mit jenem andern „Legal Tender“-Entwurf, demzufolge die ursprünglichen Tresorscheine ausgegeben wurden, d. h. einen „Legal Tender“-Entwurf für Individuen, aber nicht für die Regierung betreffs der Einfuhrsteuern.
Dass die Tresorscheine unter letzterem Entwurf eine Entwertung erlitten, bezweifelt heute niemand mehr, und der „Southwest“ folgert, dass, da beide Entwürfe einseitige „Legal Tender“-Entwürfe seien, unter ersterem ausgegebene Scheine gleichfalls entwerten würden: eine Folgerung, welche zeigt, wie gefährlich es ist, eine Analogie anzunehmen, ohne sie vorher zu prüfen. In der Vergleichung zweier Dinge ist es von Wichtigkeit, zu bestimmen, nicht allein, in welchen Beziehungen sie sich gleich sind, sondern auch, in welchen Beziehungen sie sich voneinander unterscheiden. Diese beiden Entwürfe sind sich ohne Zweifel darin gleich, dass beide ein einseitiges „Legal Tender“-Geld beschaffen; doch eine etwas genauere Untersuchung wird einen wesentlichen Unterschied zwischen ihnen an den Tag legen, keinen geringeren Unterschied, in der Tat, als derjenige, welcher zwischen einem Scheinaussteller besteht, der bereit ist, seine eigenen Scheine entgegenzunehmen, und einem anderen, der nicht bereit ist, das zu tun, sondern vielmehr entschlossen ist, andere zur Entgegennahme seiner Scheine zu zwingen.
Um nicht zu viel von der Abstraktionsfähigkeit des „Southwest“ zu verlangen, werde ich die anzuwendende Illustration ein wenig konkreter machen, indem ich an Stelle der Regierung John Smith setze. Nehmen wir an, dass John Smith Scheine ausstellt und in Umlauf setzt und dann, seinem Nachbar John Brown eine Pistole vor den Kopf haltend, zu ihm sagt: „Wenn Dir meine Scheine als Zahlung für eine Dir zu entrichtende Schuld angeboten werden, musst Du sie entgegennehmen; wenn Du Dich weigerst, wirst Du mit dem Leben dafür büssen müssen; doch, was mich anbetrifft, zeige ich hiermit Dir und der Welt an, dass ich diese Scheine nicht als Zahlung für an mich zu entrichtende Schulden entgegennehmen werde.“ Der „Southwest“ wird keine Schwierigkeiten haben einzusehen, dass John Smiths Scheine unter solchen Umständen ausgegeben rasch entwerten würden. In Wirklichkeit sieht er, dass dies in einem dementsprechenden Falle tatsächlich zutraf, wo John Brown, der Bürger, von John Smith, der Regierung, gezwungen wurde, die Scheine anzunehmen, welche letzterer ausgab, aber sich weigerte, als Zahlungsmittel für Einfuhrsteuern selber zu akzeptieren.
Doch nehmen wir an, John Smith hätte seinem Nachbar John Brown gegenüber ein anderes Verfahren befolgt. Angenommen, nachdem er seine Scheine in Umlauf gesetzt, hätte er zu Brown gesagt: „Wenn Dir meine Scheine als Zahlung für an Dich zu entrichtende Schulden angeboten werden, steht es Dir frei, sie entgegenzunehmen oder zu verweigern, wie es Dir am besten dünkt; aber ich zeige Dir und der Welt hiermit an, dass ich diese Scheine unverzüglich zu ihrem vollen Betrage für irgendwelche mir zu entrichtende Schulden entgegennehmen werde.“ Glaubt der „Southwest“, dass ein solches Verfahren seitens John Smiths eine Entwertung seiner Scheine zur Folge gehabt haben würde? Glaubt er nicht vielmehr, dass John Smiths Bereitwilligkeit, das Schicksal seiner Scheine ihrer eigenen Güte zu überlassen, in Brown und Anderen ein grösseres Gefühl des Zutrauens erweckt haben würde, als sie jemals hätten fassen können, wenn Smith, selbst wenn er bereit gewesen wäre (was er nicht war), seine Scheine selbst entgegenzunehmen, den Versuch gemacht hätte, sie Anderen aufzuzwingen? Es scheint mir, dass „Southwest“ vernünftigerweise eine bejahende Antwort geben muss.
Doch diese Antwort wäre gleichbedeutend mit dem Zugeständnis, dass Senator Reagans einseitiges „Legal Tender“ nicht nur von dem einseitigen „Legal Tender“ der ursprünglichen Greenback-Gesetzgebung sehr verschieden und demselben weit überlegen ist, sondern dass ihm auch vor dem vollständigen „Legal Tender“, den „Southwest“ befürwortet, der Vorzug gegeben werden muss. Wie leicht hätte mein texanischer Zeitgenosse dieses Dilemma vermeiden können, durch Zuhilfenahme seiner Unterscheidungsgabe.
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(Libertas 4, Samstag, 5. Mai 1888, S. 4.)
Anmerkungen
Seit dem Legal Tender Act, der 1862, mitten im Bürgerkrieg, erlassen wurde, wurde um die Legalität von Papiergeld heftig gestritten. Die Gegner stützten sich dabei auf Article I, Section 10 der Verfassung, welcher den Bundesstaaten explizit verbot, Schuldscheine (promissory notes, „bills of credit“) herauszugeben oder andere Zahlungsmittel als Gold- und Silbermünzen als gesetzliches Zahlungsmittel (legal tender) anzuerkennen. 1871 wurden vor dem Supreme Court zwei sog. „Legal Tender Cases“ verhandelt, welche schlussendlich Papiergeld als gesetzliches Zahlungsmittel als zulässig erklärten. Tucker bezeichnet dies im Artikel als „Greenback-Gesetzgebung“.
Tucker, der sämtliche staatlichen Monopole ablehnte, also auch die Idee eines staatlichen Geldmonopols, bezieht hier klar Stellung. Überhaupt experimentierten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts viele Gemeinschaften und Bewegungen in den USA und anderswo mit alternativen Zahlungsmitteln wie z. B. Zeitbanken, privaten Kassenanweisungen u. a., um sich der in der Zeit um sich greifenden staatlichen Monopolisierung des Geldes (England 1844, USA 1862, Deutschland 1871) zu entziehen. Vgl. dazu z. B. James J. Martin (1980): Männer gegen den Staat: Die Vertreter des individualistischen Anarchismus in Amerika (1827–1908), 2 Bde., Freiburg: Verlag der Mackay-Gesellschaft.