Ein Saatkorn gepflanzt – Benjamin R. Tucker

Ein Saatkorn gepflanzt.

Zeit: Donnerstag, den 17. Mai, 7:30 Uhr Abends.

Ort: Wohnung des Redakteurs von Libertas, 10 Garfield Ave., Crescent Beach, Revere (ein Town in den Vorstädten Bostons).

Dramatis Personae: Charles F. Fenno, sogenannter Steuereinnehmer von Revere, und der Redakteur von Libertas.

Auf ein Anklopfen an seine Vordertür öffnet der Redakteur von Libertas dieselbe und findet sich einem Manne gegenüber, den er nie vorher gesehen hat, und der sich als Fenno zu erkennen gibt.

Fenno. – „Wohnt Herr Tucker hier?“

Redakteur von Libertas. – „So heisse ich, mein Herr.“

F. – „Ich komme wegen der Kopfsteuer.“

R. von L. – „Nun?“

F. – „Nun, ich komme dieselbe zu kollektieren.“

R. von L. – „Bin ich Ihnen etwas schuldig.“

F. – „Doch wohl.“

R. von L. – „Habe ich mich je bereit erklärt, Ihnen etwas zu zahlen?“

F. – „Nicht eben das, aber Sie waren hier wohnhaft am ersten Mai letzten Jahres und die Gemeinde legte Ihnen eine Steuer von einem Dollar auf.“

R. von L. – „O, es ist also nicht eine Sache des Übereinkommens?“

F. – „Nein, es ist eine Sache des Zwangs.“

R. von L. – „Aber ist das nicht eigentlich ein mildes Wort dafür? Ich nenne es Raub.“

F. – „Nun, genug, Sie kennen das Gesetz; es bestimmt, dass alle Personen im Alter von zwanzig Jahren und darüber, die am ersten Mai in einem Orte wohnen“ –

R. von L. – „Ja, ich kenne das Gesetz, aber das Gesetz ist der grösste aller Räuber.“

F. – „Das mag sein, aber ich will das Geld.“

R. von L. (indem er einen Dollar aus der Tasche nimmt und Fenno darreicht) – „So sei’s denn. Ich weiss, Sie sind stärker als ich, weil eine Menge andrer Räuber hinter Ihnen stehen, und dass Sie die Macht haben, mir diesen Dollar abzunehmen, wenn ich Ihnen denselben verweigere. Wüsste ich nicht, dass Sie stärker sind als ich, würde ich Sie die Treppe hinunterwerfen. Aber da ich weiss, dass Sie stärker sind, gebe ich Ihnen den Dollar gerade wie ich ihn jedem andren Strassenräuber darreichen würde. Sie haben jedoch kein besseres Recht, denselben zu nehmen, als in das Haus zu treten und alles Andre zu nehmen, was Sie ergreifen können, und ich sehe nicht ein, warum Sie das nicht tun.“

F. – „Haben Sie Ihre Steuerrechnung bei sich?“

R. von L. – „Ich nehme nie eine Quittung für Geld, das man mir stiehlt.“

F. – „O, so ist’s?“

R. von L. – „Ja, so ist’s.“

Und die Tür schloss sich in Fennos Gesicht.

Er schien ein harmloser und unschuldiger Mensch zu sein, ohne eine Ahnung des schändlichen Charakters seines Amts, und ich vermute, er wundert sich jetzt noch, wenn er nicht mit seinen Mitbürgern die Sache bespricht, über den eigentümlichen Sonderling, der in No. 10 Garfield Ave. wohnt, und fragt sich wohl, ob es nicht geraten wäre, denselben schnurstracks in einer Irrenanstalt unterzubringen. Falls er seine Unterredung im Lichte des unten folgenden Artikels aus der Feder J. Wm. Lloyds wieder erwägen sollte, würde er vielleicht entdecken, dass die Tollheit der Anarchisten, welche den „Steuereinnehmer“ zu umgehen versuchen, nicht ohne Methode ist.

T.

(Libertas 6, Samstag, 02. Juni 1888, S. 4.)

Anmerkung

Die kursiven Hervorhebungen entsprechen dem Originaltext.