Eine Skizze von Pyat – Francis Enne
Eine Skizze von Pyat.
[Von Francis Enne.]
Félix Pyat gehört mit zu den glänzendsten literarischen Sternen des Jahrhunderts. Wem wäre sein berühmter Name nicht geläufig in Frankreich? Ein Name, der längst schon in der zeitgenössischen Literatur eine Stelle behauptet neben den Namen der grössten Meister aller Schulen, wie Victor Hugo, Lamartine, der ältere Dumas, Musset, Balzac, Eugène Sue, Frédéric Soulié und andere, denn die Fruchtbarkeit der ganzen auf den Sturz des Kaiserreichs folgenden Epoche ist erstaunlich.
Der Politiker? Wir lassen ihn heute unberücksichtigt, um uns ausschliesslich dem Schriftsteller hinzugeben, obwohl Félix Pyat kein Buch geschrieben hat, in dem er es sich nicht zur Aufgabe gemacht hätte, durch lebendige Ausmalung der schreienden sozialen Ungleichheiten und des Volkselends der Revolution das Wort zu reden. Ausserdem glaubt Pyat nicht an die Kunst um der Kunst willen, sondern hält es als heilige Pflicht des Schriftstellers wie des Künstlers, zu belehren, während er entzückt und unterhält.
Wir wollen hier flüchtig das voll ausgefüllte Leben Félix Pyats skizzieren. Er wurde geboren zu Vierzon; sein Vater, ein bedeutender Advokat, war ein Legitimist, seine Mutter, eine Demokratin. Den Lehren seiner Mutter folgend, begann er in seiner Studentenzeit gegen Karl X. zu agitieren und beteiligte sich an allen Kundgebungen der Schulen; 1830 erhielt er sein Advokatendiplom. Unmittelbar darauf widmete er sich der Schriftstellerei und der Politik.
Er begann am „Figaro“, unter Mitwirkung seines Landsmannes Latouche; dann gründete er das „Charivari“ unter Mitwirkung von Altaroche und Daumier. Er schrieb eine berühmte Seite, die „Filles de Séjan“, als Vorwort für ein Buch über Barnave von dem grossen Janin (Jules); nachdem letzterer die bewusste Seite unterzeichnet hatte, zankte er mit ihm, welchem Umstand wir Pyats wunderbares Pamphlet: „J. M. Chénier und der Prinz der Kritiker“ verdanken. Die Liste der Journale, Zeitschriften und Sammlungen, mit welchen er in Verbindung gestanden, ist eine lange. Wir nennen unter den bedeutenderen die „Revue de Paris“, den „Artiste“, die „Revue Démocratique“; er war der Leiter der „Revue Brittanique“; lange Zeit stand er dem Feuilleton des „Siècle“ und des „National“ vor, und überall bewährte er sich als glänzender Polemiker, wie scharfer Kritiker in Kunst und Politik. Folglich, wie viele Verfolgungen, wie viele Monate im Gefängnis!
Félix Pyat war einer der Gründer der Gesellschaft der Schriftsteller und der Gesellschaft der Dramatiker. Seine dramatischen Werke sind von nicht geringerer Bedeutung. Sein erstes Stück, „Eine Revolution aus vergangener Zeit“, gespickt mit gegen Louis Philippe gerichteten politischen Anspielungen, kam im Odéon Theater zur Aufführung. Der kleine Thiers, des Königs Pedant, verbot das Stück natürlich. Félix Pyat vergalt es mit einem in der „Revue des Deux Mondes“ veröffentlichten Pamphlet. „Eine Verschwörung aus vergangener Zeit“, ein anderes verbotenes Drama; und „Arabella“, worin er die Hinrichtung des Prinzen von Condé zu St. Leu auf die Bühne brachte. Dann schuf er „Der Brigand und der Philosoph“, „Ango, der Matrose“, „Cedric, der Norweger“ und „Die beiden Schlösser“, alles sozialistische Stücke.
Aber seine beiden Meisterwerke sind „Diogenes“ und „Der Lumpensammler von Paris“, welches letztere er vor kurzem in eine Novelle umgearbeitet hat. Dieser grosse Schriftsteller steht im Ruf, Gautiers Kreis „Jung Frankreich“ angehört zu haben zur Zeit der Geburt der Romantik; das ist beinahe richtig. Tatsache ist, dass er mit allen jenen Schriftstellern assoziiert war, welche der Reihe nach zu Meistern wurden, einige ohne die Politik auszuschliessen, und einige, indem sie die Politik verachteten, – die Sues, die Hugos oder die Gautiers, doch Pyat blieb stets seinen feurig revolutionären Überzeugungen treu, während er sich mit demselben fieberhaften Eifer der Schriftstellerei und der Kunst ergab. Dies beweist sein Wirken deutlich, welches ihm von seinen Freunden denn auch die Bezeichnung des „demokratischen Höflings“ einbrachte. Die folgende Anekdote verrät einen charakteristischen Zug. Nach dem Triumph des „Diogenes“ erhielt Pyat in Sainte Pélagie (wo er wegen eines Pressvergehens eine Strafe abbüsste) folgenden Brief von Victor Hugo:
MEIN LIEBER GEFANGENER! Ich schreibe Ihnen mit einer noch vom Applaus zitternden Hand. Sie haben besser als ich die Königlichkeit des Genius und die Göttlichkeit der Liebe bewiesen. VICTOR HUGO.
Dies war Pyats Antwort:
MEIN LIEBER MEISTER! Nicht ein Deist und ganz gewiss nicht ein Royalist, aber Ihr ergebenster und dankbarster FÉLIX PYAT.
Dieser Satz offenbart den ganzen Menschen, in der Politik wie in der Schriftstellerei, selbst in seiner knappen, raschen Form, eine Form, die er stets mit unendlichem Glück anwendet, sei es in Abhandlungen über hoch-philosophische oder politische Gegenstände, im Drama oder im Roman; denn das Charakteristische dieses lebendigen Stils ist seine Kürze, seine erstaunliche Genauigkeit, und nach einem erbarmungslosen Abstreifen aller überflüssigen Wörter, ohne aber der das Bild darstellenden Figur Eintrag zu tun, verfehlt er nie seinen Eindruck auf den Leser oder Zuhörer. Wird Pyat eine Schule gründen? Ich bezweifle es. Er würde seine Schüler entmutigen.
Seine private Persönlichkeit sollte auch besprochen werden, denn er gehört jener Klasse von Zauberern an, welche mit dem Vordringen unserer brutalen Zivilisation zu verschwinden drohen. Dieser alte Mann ist noch fest wie ein Mann von dreissig; er ist lebhaft, aufgeweckt, heiter und sehr freundlich; seine beiden schwarzen Augen erleuchten mit eigentümlichem Glanz den mit zottigem weissen Haar reich bedeckten Kopf; sein ebenfalls weisser Bart liegt wie ein Fächer über seine Brust ausgebreitet, und seine Augen haben diese auffallende Eigentümlichkeit, dass sie, wie diejenigen grosser Katzen, jetzt von Zorn blitzen, wenn im Gespräch Pyat aufgeregt wird, und dann auch wieder von Freundlichkeit strahlen. Seine Stimme ist harmonisch und fesselnd; seine Sprache ist von seltener Beredsamkeit, ob er nun eine Rede hält oder seinen Freunden einfach die Geschichte seines Lebens, seiner Abenteuer, oder von den Männern, die er hat kennengelernt, erzählt; denn wenn er ein grosser Redner ist, so ist er auch ein wunderbarer Erzähler.
Ich habe versucht, einen getreuen Umriss dieses Mannes zu machen, und ich ersuche den Verfasser des „Lumpensammlers von Paris“, einem Bewunderer etwas zu Gute zu halten; überhaupt ist er sehr nachsichtig, eine andere seiner Eigenschaften, die ich beinahe zu erwähnen vergass.
(Libertas 1, Samstag, 17. März 1888, S. 8.)