[Korruption in Vereinen und im Staat] – o. V.
Herr Boppe macht in einer der jüngsten Nummern des „Freidenker“ darauf aufmerksam, wie gewissenlose Politikanten und Drahtzieher es verstehen, selbst die Turnvereine in den Dienst ihrer unlauteren Zwecke zu stellen. Das ist nun eine Beobachtung, die man täglich in den Turnvereinen wie in zahllosen anderen Vereinen machen kann. Wie nobel auch die Zwecke und Ziele seien, deren Verfolgung ein Verein sich zur Aufgabe gestellt hat, es liegt stets die Gefahr vor, dass die Mitglieder dieselben aus dem Auge verlieren und der Verein unter die Kontrolle einzelner selbstsüchtiger Streber fällt zur Förderung rein persönlicher Interessen auf Unkosten der Gesamtheit. Und diese Gefahr liegt vor trotz der Tatsache, dass sich die Mitglieder gegen alle möglichen Missbräuche verhältnismässig leicht schützen und, wenn es ja zu arg wird, wenn der Verein von der Förderung seines ursprünglichen Zweckes gänzlich abgelenkt wird, aus demselben austreten und sich auf diese Weise den etwaigen üblen Folgen der Misswirtschaft entziehen können. Wenn so etwas am grünen Holz geschieht, was will da erst am dürren werden? Wenn grosse Missbräuche in der Geschichte freiwilliger Vereinigungen, gegen die man prinzipiell nichts einwenden kann, vorkommen, in Vereinigungen, welche nur ein kleines Interessengebiet berühren, was für Missbräuche müssen da erst in der Geschichte des Staats entstehen, dieser grossen Vereinigung, die nicht auf einem freien Übereinkommen beruht, deren Leben und Weben der Einzelne nicht leicht überschauen kann, welche über ein ungeheures Interessengebiet waltet, und aus der man im Notfalle nicht austreten kann, um sich den Folgen der Misswirtschaft zu entziehen? Die daneben einhergehende Korruption entspricht denn auch ganz der Machtstellung und dem Umfang des Staats. Aber Herr Boppe besteht trotz allem Anschauungsunterricht, den ihm die Turnvereine wie die Geschichte des Staats bieten, steif und fest auf der Staatsidee und will es nicht einsehen, dass die herrschenden grossen Übelstände nur mit dem Staat selber beseitigt werden können.
(Libertas 4, Samstag, 5. Mai 1888, S. 5.)
Anmerkungen
Turnvereine waren in den USA zu der Zeit beliebte Treffpunkte deutscher und deutschsprachiger Emigranten. Der „Freidenker“ war „das Organ der Freidenker Amerikas und des Bundes der Radikalen“ und erschien in Milwaukee. Der „Freidenker“ publizierte auch „Die amerikanische Turnzeitung“, als „turnerische Ausgabe des Freidenker“ und „Organ des Nordamerikanischen Turnerbundes“. Redakteur war der angesprochene C. Hermann Boppe. Er veröffentlichte eine Reihe von politischen Schriften. Boppe wurde 1841 im Kanton Aargau (Schweiz) geboren und wanderte 1877 in die USA aus. Er verstarb 1899.
Der „Freidenker“ inserierte regelmässig in der „Libertas“:
Inserat erschienen in der Libertas 3, S. 8.