Unter diesem Zeichen kämpft auch Libertas – Ralph Waldo Emerson

Unter diesem Zeichen kämpft auch Libertas.

[Ralph Waldo Emerson.]

Wir leben auf einer niederen Stufe der Welt, und entrichten unfreiwilligen Tribut an Regierungen, die sich auf die Gewalt gründen. Es gibt unter den religiösesten und aufgeklärtesten Männern der religiösesten und fortgeschrittensten Völker nicht ein Vertrauen in das moralische Gefühl und ein genügender Glaube an die Einheit der Dinge, um die Überzeugung aufkommen zu lassen, dass die Gesellschaft ohne künstliche Einschränkungen aufrechterhalten werden könne so gut wie Sonnensysteme oder dass der Einzelne ein vernünftiger Mensch und ein guter Nachbar sein könne ohne den Wink eines Gefängnisses oder einer Konfiskation. Was ausserdem befremdend ist, es gab noch nie einen Mann mit einem genügenden Vertrauen in die Macht der Redlichkeit, um ihn mit dem grossen Vorhaben zu inspirieren, den Staat nach dem Prinzip des Rechts und der Liebe neu zu gestalten. Alle, welche sich dieses Vorhaben bisher anmassten, waren einseitige Reformatoren, und liessen in der einen oder andern Form die Oberherrlichkeit des schlechten Staates bestehen. Ich entsinne mich nicht eines einzigen Menschen, welcher die Autorität der Gesetze beharrlich verneinte, auf den einfachen Grund seiner eigenen moralischen Natur hin. Ein solches Vorhaben, voll Genialität und hohen Glaubens, was es ist, wird nicht gehegt, ausser ausdrücklich als ein Fantasiegebilde. Wenn der Mensch, der es zum Ausdruck bringt, sich erkühnt, es als praktisch hinzustellen, so erfüllt er Gelehrte und Kirchenleute mit Abscheu für sich; und Männer von Talent und Frauen von erhabenen Gesinnungen vermögen nicht, ihre Verachtung zu unterdrücken. Nichtsdestoweniger erfüllt die Natur nach wie vor die Herzen der Jugend mit den Eingebungen dieses Enthusiasmus, und es gibt jetzt Männer, – wenn ich in der Tat den Plural gebrauchen kann, – richtiger, will ich sagen, dass ich mich soeben mit einem Manne unterhalten habe, dem keine noch so schwerwiegende gegenteilige Erfahrung es auch nur für einen Augenblick als unmöglich erscheinen lassen wird, dass Tausende von Menschen die erhabensten und einfachsten Gesinnungen gegen einander beobachten könnten, so gut wie eine Gruppe von Freunden oder ein liebendes Paar.

(Libertas 6, Samstag, 02. Juni 1888, S. 8.)

Anmerkungen