Chronik des laufenden Wahnsinns

Emma stinkt

Die Begegnung mit dem Therapeuten hatte ihm geholfen, wenn auch auf ganz andere Weise als vermutet. Herr Schmidt war inspirierend, denn er war nicht nur Therapeut, sondern auch Musiker, sicher Philosoph, sehr belesen, Fan der Romantik, Kenner der Literatur, Alt-68er, Ironiker, Erleuchteter (einmal ganz spontan bei einem Spaziergang), minimal Zen-Buddhismus-Praktizierender, Bekannter von Harald Juhnke, Freud-Fan und Imitator und mit den Nachfahren bekannt. Und Herr Schmidt hat eine stinkenden und schnarchenden Mops namens Emma. Die ganze Szene in einem völlig zugestellten Klischee eines Psychoanalyse-Zimmers war so ulkig, skurril und zugleich voll von Lust auf das Leben aus der Perspektive eines alten Mannes, das sie nachhallt. Beim Gedanken an die stinkende Emma musste er unwillkürlich grinsen.

Mit „kein“ und „ohne“ ist kein Staat zu machen

Wer Alkohol trinkt, gefährdet seine Gesundheit – unabhängig von der Menge. Das weiß die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen schon länger und auch die Empfehlung der Gesellschaft für Ernährung ist inzwischen auf die aktuelle Forschungslage eingeschwenkt.

Schön und gut, sagt sich mancher Deutsche. Wozu dann überhaupt noch leben? Die Deutschen trinken zwar immer weniger Alkohol, bleiben aber Hochkonsumland.

Das Problem an der „kein Alkohol”-Kommunikation: „Kein“ und „ohne“ ist sicher sehr vernünftig, wirkt emotional aber alles andere als verlockend. Vielleicht sollten wir mehr kommunizieren, was wir gewinnen: besserer Schlaf, mehr Freude im Leben, psychische Stabilität, Gelassenheit und bessere Haut zum Beispiel.

Ob Sisyphos gerne Kaffee trinkt?

Ich habe die Tendenz langfristig zu denken. Es bringt aber nicht viel das Leben vom Ende her zu leben, besonders nicht als Atheist. Am Ende steht immer Verfall und Tod. Das Universum vom Ende her zu denken bedeutet den unvermeidlichen Wärmetod vor Augen zu haben.

„In the long run we are all dead“, sagte schon Keynes. Sisyphos kann ich mir leider nicht als glücklichen Menschen vorstellen, so sehr ich es mir auch wünsche.

Was ich aber kann, ist genießen. Den Kaffee beispielsweise, den ich mir gerade gemacht habe. Die sinnliche Wahrnehmung bringt mich ins hier und jetzt – und darum geht es am Ende ja.

Der Irrtum

Irgendwas machen wir falsch. Das sollten wir uns vielleicht als Gesellschaft mal eingestehen, wenn psychische Krankheiten wie Depressionen zur Epidemie werden und die psychische Krise heute häufig schon in der Jugendzeit beginnt, wodurch die Jahrzehnte lang unbestritenne U-Form des Glückslevels im Leben in Frage gestellt wird.

1930 schrieb Robert Musil im Mann ohne Eigenschaften:

„Könnte man die Sprünge der Aufmerksamkeit messen, die Leistungen der Augenmuskeln, die Pendelbewegungen der Seele und alle die Anstrengungen, die ein Mensch vollbringen muß, um sich im Fluß einer Straße aufrecht zu halten, es käme vermutlich – so hatte er gedacht und spielend das Unmögliche zu berechnen versucht – eine Größe heraus, mit der verglichen die Kraft, die Atlas braucht, um die Welt zu stemmen, gering ist, und man könnte ermessen, welche ungeheure Leistung heute schon ein Mensch vollbringt, der gar nichts tut.“

Und das ist seit dem nicht besser geworden, im Gegenteil. Unsere heutige digitale Welt, so dachte ich mir kürzlich, ist das Gegenteil von dem, was in Japan als Ikigai bezeichnet wird: die volle Hingabe zu einer Sache. Wir leben stattdessen im selbstgewählten Zeitalter der Gleichzeitigkeit – gleichzeitig hier im Video-Call, in verschiedenen Business-Chats und in der Timeline eines sozialen Netzwerks. Wir haben uns selbst ausgetrickst.