Filmbesprechung: Das Blau des Kaftans

Die Farbe des Gewandes, der Duft der Mandarinen, das Dunkel der Werkstatt der Dampf im Waschhaus, die Melodie der Straße. Das Blau des Kaftans der marokkanischen Regisseurin Maryam Touzani spricht unsere Sinne an, wir trinken von dem Blau, wir riechen das Orange, wir hören das Leben und all das zusammen berührt unser Herz.

Etwas aus der Zeit gefallen ist die kleine Schneiderei in einer der vielen Gassen Casablancas. Halim (Saleh Bakri) hat sein Handwerk noch von seinem Vater gelernt. Vielleicht war die Entscheidung, die Werkstatt zu übernehmen, nicht sein Herzenswunsch. Seinem Herzenswunsch kann er sowieso nicht immer folgen. Zusammen mit seiner Frau Mina (Lubna Azabal), die beiden sind kinderlos geblieben, versucht er nun einen Nachfolger für ein Gewerk zu finden, das scheinbar niemand mehr braucht. Bei ihm wird noch mit der Hand genäht und gestickt. Stolz spielt damit hinein, vielmehr hat man nicht. Schon so mancher Lehrling hat bei Halim und Mina schnell das Weite gesucht. Nicht so Youssef (Ayoub Missioui), er begreift die Sinnlichkeit, die in der Bewegung der Hände liegt.

Der blaue Kaftan, ein besonders edles und teures Stück, ist der rote Faden, der uns durch die Handlung führt, eine Lebensschnur. Geduldig arbeitet der Meister an dem Stück. Für eine reiche, schnippische Kundin, die den Preis nur zu zahlen bereit ist, weil das gute Stück ein Statussymbol sein soll. Die fordernde, vermeintlich fortschrittliche Kundschaft steht für das Morgen, das jedoch an den Regeln der rückständigen Gesellschaft und deren Ächtungen festhält. Halim lebt ein Doppelleben. Nicht aus freien Stücken. Was sein Herz begehrt, gilt faktisch als kriminell. Für diese Gesellschaft wäre er ein Ausgestoßener. Er liebt seine Frau und zeigt ihr das auch mit kleinen Gesten. Um sie nicht zu verletzen, nimmt er Rücksicht, versagt sich die kleinste Regung, wenn es den jungen Lehrling betrifft.

Maryam Touzani, die mit ihrem Debüt Adam, in der eine Bäckerin eine schwangere Frau aufnimmt, bereits ihren Stil gefunden hat, in dem sie die Entwicklung der Figuren sensorisch vermittelt und das Bild nach und nach öffnet, erzählt dieses Mal nicht von der Mutterschaft, sondern von der Liebe in all ihren Schattierungen.

Das Blau des Kaftans brachte sie, wie bereits Adam, nach Cannes, nach Karlovy Vary, nach Hamburg und Zürich, bis nach Toronto und Rotterdam. Ihr Blick ist dabei ein zurückhaltender, sie zeigt nicht alles. Sie gibt den Figuren Würde und Dauer. Die Liebe ist dabei das Hauptthema. Liebe ist Hingabe und Aufopferung, Liebe ist fest in sich ruhen und los lassen können. Mina, nicht frei von Eifersucht, kennt ihren Mann gut. Das Leben entgleitet ihr zunehmend und sie muss die Zeit nutzen, die in den sorgfältigen Stichen der nähenden Hand schier im Stillstand zu verharren scheint. Und er, der sich hin und her gezogen fühlt, die Arbeit gibt ihm Sinn und Halt, muss sie, die geliebte Lebensgefährtin ebenso los lassen. Die Liebe zu der Arbeit, mit geduldig feinen Stichen etwas zum Leben zu erwecken, ist dabei die Liebe, die Halim offen ausleben kann, die die drei Figuren und ihre Beziehung zu einander bindet und formt.

Das Blau des Kaftans, übrigens Marokkos Einreichung für den internationalen Oscar, ist keine Romanze. Romanzen sind wild und stürmisch. Ein Gefühl der ersten Begegnung und mit all der Unvernunft, die damit einher geht. Dieses Drama spielt sich still und leise im Verborgenen ab. Die wenigen Kunden, die die kleine Näherei noch hat, sind ungeduldig und oberflächlich. Touzani spricht die an, die geduldig auf die Sprache der Herzen reagieren und wahrnehmen, für was ein blauer Stoff steht und wie der Duft der Mandarinen die Welt bedeuten kann. Wie die Musik aus der Nachbarschaft für die Freude steht. Das Leben, das Halim trotzig in seiner Trauer feiert. Als Antwort auf das alles, was ihm und auch den anderen Figuren versagt wird. Das Blau des Kaftans ist zart. Der Stillstand, in dem sich Halim befindet, mag eine Herausforderung sein. Dabei ist das Titel gebende Stück Bild der Beständigkeit und eine Bestätigung, für alles, was sein kann.

Eneh

Spielfilm Originaltitel: Le bleu du caftan Regie: Maryam Touzani Drehbuch: Maryam Touzani, Nabil Ayouch Kamera: Virginie Surdej Montage: Nicolas Rumpl Musik: Kristian Eidnes Andersen Mit Lubna Azabal, Saleh Bakri, Ayoub Missioui, Mounia Lamkimel, Abdelhamid Zoughi, Zakaria Atifi, Fatima Hilal, Mariam Lalouaz, Kholoud El Ouehabi, Amira Tiouli, Hanaa Laidi, Aymane El Oarrari, Ilyass El Ouahdani, Fouzia Ejjawi, Mohamed Naimane, Mohamed Tahri Joutey Hassani Frankreich / Marokko / Belgien / Dänemark 2022 124 Minuten Kinostart: 16. März 2023 Verleih: Arsenal Film Festivals: Cannes 2022 / Karlovy Vary 2022 / Toronto 2022 / Hamburg 2022 / Rotterdam 2023 TMDB

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