Filmbesprechung: Dumb Money – Schnelles Geld

Die Zeitspanne zwischen realen Ereignissen und ihrer fiktionalen Verfilmung wird gefühlt immer kürzer. Ein gewisser Abstand ermöglicht Reflektion. Die Nachrichten über den Hype rund um die GameStop-Aktien überschlugen sich 2021 und haben sich kaum gelegt, da bringt der australische Regisseur Craig Gillespie (I, Tonya) eine biographisch-historische Aufarbeitung ins Kino. Vorlage war ein Sachbuch mit dem griffigen Titel The Antisocial Network: The GameStop Short Squeeze and the Ragtag Group of Amateur Traders That Brought Wall Street to Its Knees von Ben Mezrich.

Mezrich hatte übrigens auch ein Sachbuch über Facebook verfasst, das ebenfalls verfilmt worden ist. David Fincher machte daraus The Social Network. Zurück zu Gillespie, der hatte einen der jungen Kleinanleger, die von Finanzhaien ob ihrer vermeintlichen Naivität schlicht als “Dumb Money” bezeichnet wurden, sprich einen Sohn, während der Pandemie-Zeit im Haus und kriegte die Entwicklung hautnah und in Echtzeit mit.

Muss man denn über die Finanzwelt Bescheid wissen? All die Fachbegriffe wie Leerverkäufe kennen? Nein. Dumb Money erklärt, was man braucht, und ist dabei auch nicht ganz so stilistisch überbordend wie dem sehr ähnlichen The Big Short (Regie Adam McKay, 2015), der die Gier der US-Finanzwelt exaltierter vorführte, damit noch pointierter den Finger in die Wunde legte, aber keine Identifikationsfigur hatte.

Gillespie und die Drehbuchautorinnen Lauren Schuker Blum und Rebecca Angelo machen keinen Hehl daraus, welcher Seite der Geschichte sie die Daumen drücken. Ja, Dumb Money ist eine David gegen Goliath-Story. Während die reichen Finanzjongleure mit gerade noch legalen Tricks noch reicher werden, aus Geld Geld machen, gehen alle anderen finanziell baden. Gerade die Covid-Pandemie zeigte eindrücklich, wer an Krisen gewinnt und wer nicht. Dumb Money ist somit nicht nur ein Film über das Gebaren an der Börse, sondern ein erstaunlich präzises Bild über die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen bzw. das Fehlen der Auswirkungen in den zwei diametral entgegengesetzten Akteursgruppen.

Im Mittelpunkt steht Keith Gill, wunderbar gespielt von Paul Dano, der im Keller seines Hauses als Finanz-Influencer sich für die Aktien von GameStop begeistert. Dabei ist die Ladenkette für Computerspiele ziemlich am Ende. So auf dem letzten Meter wollen die großen Akteure, zum Beispiel gespielt von Seth Rogen und Nick Offerman, mit deren Pleite Geld machen. Ihnen kommt gar nicht zupass, dass der Wert der Aktien plötzlich steigt, weil irgendein Nerd mit Stirnband und Katzen-T-Shirt sein Erspartes da reinsteckt und dafür überzeugend brennt. Und der Aktienwert steigt und steigt. Was wie ein kurzfristiger Trend wirkt, wie ein Spiel, wird richtig ernst, als all die kleinen Anleger, die über eine Schnittstelle wie der Robinhood-App, die einen leichten und kostengünstigen Zugang gewährte, und einer Plattform wie Reddit, wo diese sich vernetzen konnten, erkennen, welche Macht sie im Verbund haben. Sie können die mit dem großen Geld mal so richtig bluten lassen.

Dumb Money stellt uns ein paar dieser Kleinanleger exemplarisch vor. Studentinnen, die ihre Studiengebühren bezahlen müssen, eine Krankenpflegerin, die in Pandemie-Zeiten ihr Letztes gibt und ob ihrer horrenden Schulden sich nicht einmal eine Verschnaufpause leisten kann. Kleine Leute, für die jeder noch so kleine Gewinn viel bedeutet und die ihre Aktien trotzdem hielten. Gillespie weiß auch die Lockdown-Zeit visuell und emotional einzufangen. Das war eine Zeit, in der Bewegung höchstens auf Computerbildschirmen stattfand. Eine Zeit, in der erwachsene Kinder in ihre Elternhäuser zurückkehren mussten, weil sie ihre Jobs verloren haben. Eine Zeit, in der die Diskrepanz zwischen der Enge eines Kellers und Gärten mit Swimming-Pools die Ungerechtigkeiten noch deutlicher sichtbar machte.

Jetzt wäre die Geschichte, die sich erst 2021 zugetragen hat, fast nur noch eine Fußnote. Dumb Money überdramatisiert die Ereignisse nicht und bleibt wohl ziemlich nahe dran an den wahren Abläufen. Der Film, der zum Großteil von einem hervorragenden Darstellenden-Ensemble lebt, nimmt die Wendungen mit auf. Mit fiesen Moves wollte man die Kraft der Kleinanleger brechen. Gillespie lässt den durchaus auch humorigen Film zum emotionalen Drama werden, bei dem das Publikum sicherlich zwischen Genugtuung und Frustration, Schadenfreude und Wut hin und her schwanken wird.

Eneh

Spielfilm Originaltitel: Dumb Money Regie: Craig Gillespie Drehbuch: Lauren Schuker Blum, Rebecca Angelo Kamera: Nikolas Karakatsanis Schnitt: Kirk Baxter Musik: Will Bates Mit Paul Dano, Pete Davidson, Vincent D'Onofrio, America Ferrera, Myha'la Herrold, Nick Offerman, Anthony Ramos, Seth Rogen, Talia Ryder, Sebastian Stan, Shailene Woodley, Kate Burton, Clancy Brown, Rushi Kota, Larry Owens, Dane DeHaan, Olivia Thirlby, Andrea Simons USA 2023 104 Minuten Verleih: Leonine Kinostart: 2. November 2023 Festivals: Toronto 2023 / San Sebastián 2023 TMDB

zuerst veröffentlicht: der Link führt zum BAF-Blog

#Filmjahr2023 #Filmkritik #Spielfilm #Leonine

© Eneh