Filmbesprechung: Eine Frage der Würde – Blaga's Lessons

Seit kurzem ist Blaga (sehenswert intensiv: Eli Skorcheva) Witwe. Für ihren Mann, er war Polizist von Beruf, will sie einen würdigen Grabplatz erstehen und sie hat auch schon eine ganz genaue Vorstellung, wie das Grab aussehen soll. Der Platz soll auch bald ihre repräsentative Ruhestätte werden. Sie ist bereit ihr ganzes Geld da reinzustecken.

Wie schwierig dieser Plan umzusetzen ist, auch davon handelt Eine Frage der Würde von Stephan Komandarev (Die Welt ist groß und Rettung lauert überall, 2009), der zeigt, dass der äußere Schein selbst auf dem Friedhof nur durch Korruption erkauft werden kann. Urotcite na Blaga, so der Originaltitel, ist der Abschluss einer Trilogie, die nach Directions – Geschichten einer Nacht (2017) und V krag (International: Rounds, 2019) hiermit ihren Abschluss findet. Komandarev zeichnet mit diesen drei Filmen ein Bild der sozialen und gesellschaftlichen Lage im heutigen Bulgarien.

Die ehemalige Lehrerin hält sich mit Nachhilfestunden über Wasser. Zurzeit hat sie nur eine einzige Schülerin (Rozalia Abgarian), eine junge Frau aus Syrien, die für ihre Einbürgerungsprüfung paukt.

Zur Etablierung der Figur lernen wir Blaga in ihrem Element kennen. Sie lehrt Praxis orientiert und effektiv. Sie reagiert auf Fehler und grammatikalische Regelverstöße streng und gnadenlos. All dies sind Eigenschaften, die sie kaum sympathisch machen. Die auf ihre Stärken und gleichzeitig ihre Schwächen verweisen. Denn im handfesten Alltag hatte sie sich immer auf ihren Mann verlassen, doch nun kommt sie zu Fall. Dass die Welt keine gute ist, ist ein Allgemeinplatz. Blaga wird jedoch all ihres Ersparten und ihrer Würde beraubt. Über das Telefon. Es ist die Trickbetrüger-Masche mit dem Anruf eines vermeintlichen Kriminalbeamten, der sie anweist, bei der Überführung von Dieben mitzuwirken. Dafür braucht es aber ihren monetären Einsatz. Geld, dass sie selbstverständlich zurückbekommen würde. Von wegen.

Es ist kein Zufall, dass der Film in der ostbulgarischen Stadt Schumen spielt. Zu den Sprachlektionen erhält die junge Schülerin auch einen Einblick in die Landeskunde und ihren Heldengeschichten, die direkt an das Publikum weitergereicht werden. Es heißt, dass Bulgarien von hier aus entstanden sei. Die realsozialistische Architektur der Stadt korrespondiert folglich mit der Handlung. Täglich läuft die alte Frau, immerhin schon jenseits der 70, die unzähligen Stufen hinauf zum Denkmal für “1300 Jahre Bulgarien”, dem wohl Größten dieser brutalistischen Gedenkbauten. Es geht bis auf 300 m in die Höhe. Die ganze Stadt ist von dort oben überschaubar, das Denkmal ist bis aus 30 km Entfernung zu sehen. Das Monument feiert jede wichtige Person der bulgarischen Geschichte. Es ist ein Monster von einem Bau und wirkt herrisch mit der Tendenz ins Böse. Wie klein dagegen ist Blaga. Aber sie lässt sich nicht klein machen.

Die bulgarische Einreichung für die internationale Filmauswahl bei den Oscars (er wurde allerdings nicht nominiert), der seine Weltpremiere in Karlovy Vary feierte und auch auf dem Filmfest Hamburg gezeigt wurde, wählte für den internationalen Markt den Titel Blaga's Lessons. Es bleibt eine Frage der Interpretation, ob es wichtiger ist, dass Blaga hier ihren Mitmenschen Lektionen erteilt oder ob ihr solche zuteilwerden.

Treffender ist der deutsche Titel. Dieser lautet Eine Frage der Würde und hebt genau diese hervor. Was ist der Mensch wert in einem kaputten System? Wie kann Blaga ihre Würde verteidigen? Es ist die Stärke des Films, dass diese Frage ambivalent beantwortet wird. Dabei schönt die Geschichte nichts. Das Drehbuch dekliniert einen aussichtslosen Kampf konsequent bis zum Ende und demaskiert dabei auch jede vermeintliche Attitüde.

Unbekannte haben Blaga nicht nur ihr Geld gestohlen, sondern auch ihren guten Ruf. Wie konnte sie nur auf diese Masche hereinfallen? Blaga, die anderen stets ihre Fehler vorhielt, muss nicht nur ihr Weltbild überdenken. Sie hat nichts mehr zu verlieren und wagt einen abseitigen Weg.

Sie setzt eine Anzeige auf, bietet sich als Kurierfahrerin an, und wird tatsächlich von den Schurken kontaktiert, die sie ausgeraubt hatten. Mehr soll gar nicht verraten werden. Blaga ist keine Heldin. Es geht Komandarev und seinem Co-Drehbuchautor Simeon Ventsislavov sichtlich nicht um die Erlösung von dem Bösen und der Überführung seiner Täter. Er zeichnet ein Porträt einer Frau in einem System, das jeden kaputt macht. Auch moralisch. Blaga wähnt sich als gute, aufrechte Bürgerin, die stets das Richtige und das Rechte tut. Das Leben lehrt sie eines Besseren.

Eine Frage der Würde wandelt sich vom gesellschaftlichen Porträt hin zu einem Krimi. Dabei ist es besonders das Schauspiel der Hauptfigur, was heraussticht.

Eneh

Spielfilm Originaltitel: Urotcite na Blaga Regie: Stephan Komandarev Drehbuch: Simeon Ventsislavov, Stephan Komandarev Kamera: Vesselin Hristov Montage: Nina Altaparmakova Musik: Kalina Vasileva Mit Eli Skorcheva, Gerasim Georgiev, Rozalia Abgarian, Ivan Barnev, Stefan Denolyubov, Ivaylo Hristov Bulgarien / Deutschland 2023 114 Minuten Kinostart: 25. Januar 2024 Verleih: Jip Film Festivals: Karlovy Vary 2023 / Sarajevo 2023 / Hamburg 2023 TMDB

zuerst veröffentlicht: der Link führt zum BAF-Blog

#Filmjahr2024 #Filmkritik #Spielfilm #JipFilm #Hamburg2023

© Eneh