Filmbesprechung: Girl You Know It's True

Ob Rock'n'Roll, Rock oder Pop, die Musikbranche lebt vom Skandal.

Elvis Presleys Hüftschwung erregte in den 50ern die Gemüter. Jimi Hendrix verbrannte in den 60ern seine Gitarre auf der Bühne, die Sex Pistols galten in den 70ern an sich schon als Skandal. Ihr Song God Save The Queen spaltete das Heimatland Großbritannien. Es war in den 80ern, als Ozzy Osbourne auf der Bühne einer Fledermaus den Kopf abgebissen hatte. Sicherlich, es gibt positive Skandale und negative Skandale. Skandale, die eine Band oder eine Performance cooler machen und Skandale, bei denen man heute “canceln” würde.

John Lennon könnte ein Lied davon singen. Als er die Beatles für populärer als Jesus benannte, in den USA wohl gemerkt, da war aber die Hölle los. Madonna war auf Skandale abonniert. Sie brachte nicht nur die prüde Kirche gegen sich auf. Dieses Jahr hatte der Berliner Radiosender Radioeins in seiner Sommersonntagsreihe nach den 100 skandalösesten Songs gefragt. Die Sex Pistols gewannen mit God Save The Queen und Milli Vanillis Girl You Know It's True erreichte nur den 47ten Platz. Der Skandal um Milli Vanilli ist also mitnichten der größte in der Popgeschichte.

Eigentlich ist es ein Skandal, dass eine Inszenierung eines Acts wie Milli Vanilli mit den beiden Tänzern Fab Morvan (Elan Ben Ali) und Rob Pilatus (Tijan Njie) überhaupt erst ein Skandal werden konnte. Hat denn niemand richtig hingehört? Wer Playback spielt, weicht doch keine Unze von dem eingespielten Track ab. Ist das denn niemandem aufgefallen bei den Konzerten?

Oder die Tatsache, dass die Zwei zwar akzentfrei singen, aber keine Unterhaltung führen konnten, das kann man doch nicht nicht-merken. Das amerikanische Publikum fühlte sich jedoch betrogen, der Hype legte den Rückwärtsgang ein, und man gab diesem Gefühl mit der Dampfwalze ein Ventil. Es war sicherlich auch das damals junge Medium MTV, dass die attraktive Band in jeden Haushalt gebracht hatte. Ein Skandal ist wahrscheinlich eher, wie die zwei von Milli Vanilli von der Branche ausgepresst und vermarktet wurden. Waren sie wirklich so naiv zu glauben, dass sie den Erfolg, den sie als Tänzer erreichten, auch mit ihrem Gesang hätten reproduzieren können?

Simon Verhoeven nutzt das Etikett Skandal, gerne auch mit dem Hinweis auf Superlative, um die Band aus der Versenkung zu holen. Dabei stellt er schon die richtige Frage: Waren die zwei von Milli Vanilli nicht doch eher die Opfer? Durch einen Trick erzählen sie uns ihre Geschichte selbst.

Als Klammer durchbrechen die Beiden die vierte Wand und erzählen uns damit die Ereignisse aus ihrer eigenen Sicht, auch mit dem Hinweis, dass man sie ja gar nicht mehr kennen würde. Dabei gibt es nur einen kleinen Schönheitsfleck. Rob Pilatus, und damit verrate ich ja nichts, zerbrach an dem Erfolg und an dem Niedergang des Erfolges. Er kann seine Geschichte nicht mehr selbst erzählen. Fabrice Morvan könnte es, darf es aber nicht. Er verkaufte die Rechte an seiner Geschichte an die Produktionsfirma von Bret Ratner, der in Folge von Vorwürfen der sexuellen Belästigung von der filmwirtschaftlichen Landkarte verschwand und damit auch seine entsprechenden Filmprojekte.

Was war denn passiert? Laut Verhoevens Drehbuch beschränkten sich die Ambitionen der beiden Tänzer, die von Frank Farian gecastet wurden, nicht darauf, nur die Lippen zu bewegen. Sie wollten höher hinaus, sich selbst verwirklichen, raus aus der Provinz, raus aus Deutschland. In der großen weiten Welt war aber auch das Fischbecken größer und fortan diktierte ihnen nicht nur der Produzent im fernen Deutschland, was sie zu tun und zu lassen hätten.

Milli Vanilli wollten eine eigene Platte mit eigenen Songs. Bei einem Konzert flogen sie theoretisch auf. Das Playbackband kam ins Stottern. Ops. Doch damit war ihre Karriere noch nicht am Ende. Erst als Frank Farian die Bombe platzen ließ, dass alles nur ein Fake war, dass ganz andere Sänger den Song eingespielt haben, da trat er eine Lawine los, die den beiden Milli Vanillis den Boden unter den Füßen wegriss. Und das ist auch die Moral der Geschichte. Vertraue niemandem, und wenn du auffliegst, dann schiebe die Verantwortung ab. “Blame It On The Rain” quasi.

Ja, die Musikbranche lügt. Nicht nur diese. Junge Acts wurden schon immer übers Ohr gezogen. Wie man es anders als Fab Morvan und Rob Pilatus machen kann, zeigt Girl You Know It's True auch, aber viel versteckter.

Es könnte auch der Film über Numarx sein. Bitte wer, bitte was? Numarx waren eine US-amerikanische Hip-Hop-Band aus Baltimore und sie hatten den Song ursprünglich geschrieben. Frank Farian “klaute” den Song und Milli Vanilli haben ihn dann gecovert. Während die eine Band nun in Saus und Braus lebt und weltweit gefeiert wird, gucken die Jungs von Numarx blöd aus der Wäsche und erfahren quasi erst via MTV von dem Siegeszug ihres Songs. Woraufhin Numarx-Mitglied Kevin Liles (gespielt von Stevonté Hart) sich hinter die Bücher klemmt, sich in Sachen Urheberrecht schlau macht (ganz dröges, kompliziertes Zeug und überhaupt nicht cool) um die rechtlichen Möglichkeiten auszuloten. So macht man das.

Liles blieb scheinbar auf der Schiene und machte Karriere in den höchsten Kreisen bei Def Jam Recordings und der Warner Music Group. Das Billboard Magazine kürte ihn 2020 sogar zum “R&B/Hip-Hop Executive of the Year”. Bei Verhoevens Girl You Know It's True fungierte er dann auch als Executive Producer.

Taugt denn Girl You Know It's True als Film etwas? Sicherlich hängt das davon ab, was man erwartet. Es ist ein Flashback in die 80er, an die man sich doch nicht bis ins Detail erinnert. (Hat man damals wirklich noch Bluna getrunken?)

Die beiden Darsteller Elan Ben Ali und Tijan Njie sind exzellent gecastet und von der Choreographie lebt dann auch der Film. Das sieht einfach klasse aus. Matthias Schweighöfer gibt den berühmt, berüchtigten Produzent Frank Farian und da Farian eh fast eine Karikatur seiner selbst ist, überzeugt Schweighöfer mit vermeintlicher Zurückhaltung.

Sicherlich, Verhoeven strebte ein Publikumsfilm an und er war sich sicherlich bewusst, dass er eine Altersgruppe in die Kinos locken möchte, die Milli Vanilli, wenn sie denn für sie ein Begriff sind, eher nur als oberpeinliche Nummer der Elterngeneration wahrnehmen. Die Biographien der beiden Tänzer vermittelt er nur über ein paar wenige Eckdaten. Die Chemie zwischen den Beiden ist auch nicht wirklich erkennbar. Für die Unterhaltung werden Szenen auf ihr Potential für Komik abgeklopft. Die Musikindustrie selbst ist der pure Moloch.

Eine Auseinandersetzung oder gar Kritik an den Strukturen bleibt hier aus. Es bleibt bei den Schauwerten.

Eneh

Spielfilm Originaltitel: Girl You Know It's True Regie: Simon Verhoeven Drehbuch: Simon Verhoeven Kamera: Jo Heim Montage: Felix Schmerbeck, Alexander Berner, Elena Schmidt Musik: Segun Akinola Mit Tijan Njie, Elan Ben Ali, Matthias Schweighöfer, Bella Dayne, Graham Rogers, Tijan Marei, Ashley Dowds, Thomas Bading, Ulrike Arnold, Ben Felipe, Joshua Kantara, David Mayonga, Nico Ehrenteit, Samuel S. Franklin, Sebastian Kempf, Penelope Frego, James Flynn, Michael Mertens, David Baalcke, Ikko Masuda, Cornell Adams, Ivy Quainoo, Roxanne Rittmann, Lina Maruyama, Mitsou Jung, Bonita Lubliner, Lara Mandoki, Eva Nürnberg, Caprice Crawford, Romeo Guy Da Silva, Natasha Loring, Darlene Tejeiro Deutschland / Frankreich / USA 2023 124 Minuten Kinostart: 21. Dezember 2023 Verleih: Leonine TMDB

zuerst veröffentlicht: der Link führt zum BAF-Blog

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