Filmbesprechung: Gondola

Irgendwo in den Bergen. Hier ist eine Seilbahn Dreh- und Angelpunkt für Begegnung, Verbindung und die Liebe. Zwei Gondeln fahren stetig hoch und runter zwischen einem Dorf oben in den Bergen und einem Dorf unten im Tal. Als der alte Seilbahnschaffner stirbt, trägt diese auch seinen Sarg hinunter in die Tiefe. Seine Tochter, die aus der Fremde zurückkehrt, übernimmt, aber da es nun einmal zwei Gondeln sind, braucht es noch einen zweiten Mitarbeiter oder eine zweite Mitarbeiterin. Die Entscheidung fällt für die Person, der die Uniform passt. Und so lernt das Publikum Iva (Mathilde Irrmann) und Nino (Nini Soselia) kennen, zwei junge Frauen, die fortan die Gondeln betätigen werden. Gondola von dem deutschen Regisseur Veit Helmer ist ein Kino-Märchen, zeitlos und verspielt. Humorvoll und aufmüpfig.

Viele Regisseure und Regisseurinnen haben eine unverkennbare Handschrift. So auch Veit Helmer. Schon in seinem ersten Kurzfilm. In Surprise! (1995) erzählte er seine Geschichten ohne Dialoge. Sein erster Langspielfilm, Tuvalu (1999) spielte in einem verfallenen Schwimmbad. Anton, der Bademeister und Martha, die Kassiererin, verwenden allerlei Tricks, um Antons blindem Vater den Eindruck zu vermitteln, das Schwimmbad wäre voller tobender Kinder. Eine Eifersuchtsgeschichte und eine Liebesgeschichte gibt es natürlich auch. Schon damals war für Veit Helmer ein Film mit Dialogen zu wenig Kino.

Eine Erzählung ohne Dialoge erfordere auch vom Publikum viel mehr Aufmerksamkeit, das war und ist sein Motto und er versucht stets, alle im Kinosaal mitzunehmen. Ohne Dialoge standen und stehen ihm auch alle Schauspieler und Schauspielerinnen zur Verfügung, ungeachtet ihrer Nationalität und ihrer Sprachkünste. Schon in Tuvalu wählte Helmer einen internationalen Cast. Er besetzte einen Franzosen, eine Rumänin und eine Tatarin. Die Möglichkeiten waren grenzenlos. Aber Helmer zog es doch immer wieder in den Osten. Die Drehorte von Tuvalu fand er damals in Bulgarien. Nach Absurdistan (2008), den er in Aserbaidschan, oder nach Baikonur (2011), den er in Kasachstan drehte, folgt jetzt Gondola, dessen Drehort, unschwer erkennbar durch die Hausaufschriften, in Georgien gedreht worden ist.

Hier fand Veit Helmer tatsächlich eine Seilbahn, die ihn zu einer Geschichte über zwei Frauen, die sich immer nur begegnen, wenn ihre Gondoln sich auf gleicher Höhe treffen, inspirierte. All die Einfälle, auf die die Beiden kommen, um die Aufmerksamkeit des jeweils anderen zu erlangen, möchte ich gar nicht aufzählen. Sicherlich ist die Form hier für den Spielfilm prägend und die Form bestimmt den Inhalt. Viel passiert da gar nicht. Veit Helmers Liebe zum “Analogen” im Gegensatz zu dem “Digitalen”, den man allgemein den Fortschritt zuschreibt, ermöglicht hier die kurze Begegnung. In einer Moderne, in der Seilbahnen viel schneller fahren würden, würde eine Begegnung, und sei sie noch so kurz, gar nicht stattfinden können.

Zudem es gibt noch den Seilbahnaufseher (Zviad Papuashvili), der die Gondeln in Betrieb hält, und der ist gar nicht erfreut, dass die zwei jungen Schaffnerinnen ihn so schnöde ignorieren. Ganz der Platzhirsch, versucht er es mit den tradiierten Mitteln, um dann ganz wütend auch mal das Spiel der beiden Frauen zu sabotieren. Da Veit Helmer gerne Liebesgeschichten erzählt, die sich aus ihrer Unschuld heraus entwickeln, fügt er der Geschichte noch zwei Kinder hinzu. Ein Junge sucht die Aufmerksamkeit eines gleichaltrigen Mädchens, die ihn erst einmal abweist. Aber auch hier geht es mehr um das Wie, als um das Warum. Helmer bleibt sich treu, auch wenn manche ihm vorwerfen mögen, sich nicht weiterzuentwickeln.

Veit Helmer glaubt mit unbändiger Kraft an diese Magie, die wir Kino nennen, und die sich auch nur dort entfalten kann. Er ist ein Träumer, für den das Stummfilmkino und der Slapstick der frühen Kinojahre die Welt bedeuten. Der magische Raum der engen Gondel weiß er mit Einfällen zu öffnen, die nicht nur der Phantasie Raum geben, sondern die Figuren auch nie in Passivität erstarren lassen. Helmers Figuren in Gondola sind klug und geschickt und gewitzt. Sie tauschen sich nicht nur in Blicken und Gesten aus, sondern sie hämmern und schweißen und man könnte denken, die Gondoln lösen sich von den Seilen und gleiten über die Berge hinweg, so wie sich Iva und Nino das erträumen, aber dann ist es nur die angeregte Phantasie, die hier auf teils absurde Einfälle reagiert. Gondola will das Kino gar nicht ändern, nur einen Raum zum Träumen schaffen.

Eneh

Aus dem Archiv: Interview mit dem Regisseur Veit Helmer zu seinem Debütfilm Tuvalu

Spielfilm Originaltitel: Gondola Regie: Veit Helmer Drehbuch: Veit Helmer Kamera: Goga Devdariani Montage: Iordanis Karaisaridis, Moritz Geiser, Nikoloz Gulua Musik: Malcolm Arison, Sóley Stefánsdóttir Mit Mathilde Irrmann, Nino Soselia, Zuka Papuashvili, Niara Chichinadze, Vachagan Papovian, Luka Tsetskladze, Elene Shavadze, Darejan Geperidze, Nino Pachkoria, Peride Kalandia Deutschland / Georgien 2023 82 Minuten Kinostart: 07. März 2024 Verleih: Jip Film Festivals: Tokio 2023 / Hof 2023 TMDB

zuerst veröffentlicht: der Link führt zum BAF-Blog

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