Filmbesprechung: Titina – Ein tierisches Abenteuer am Nordpol

Eine kleine Terrier-Hündin unternahm einmal eine Reise in die Arktis. Das ist sicherlich nur eine Fußnote in der Enzyklopädie der Entdeckungsreisen. Die Geschichte, die die Drehbuchautoren Kajsa Næss und Per Schreiner erzählen, hat sich so oder so ähnlich tatsächlich zugetragen. Titina war eine streunende Hündin in den Gassen der italienischen Hauptstadt, als sie dem Ingenieur Umberto Nobile zulief, der sie bei sich aufnahm. Nobile baute “fliegende Schiffe”. Es war der norwegische Polarforscher Roald Amundsen, der, nachdem er schon den Südpol mit seiner Mannschaft als Erster erreicht hatte, sich dem Nordpol aus der Luft nähern wollte. Für eine Expedition per Luftschiff fragte er Nobile an, der eines seiner Flugobjekte umbaute, so dass dieses 1926 unter dem Namen “Norge” zum Nordpol aufbrach. Nobile war sicherlich nur der Kapitän und Ingenieur, der zusammen mit Amundsen auch noch diesen Flecken Erde erkunden wollte, aber seine Leistung war schließlich keine, die man so beiseiteschieben sollte.

Es war eine Zeit der Entdeckungen und es war eine Zeit der Wettläufe. Wer als Erster etwas entdeckt und vollbringt, dem fliegen Anerkennung und Ruhm zu. Um es kurz zu machen, Nobile und Amundsen stritten sich um den Ruhm. Den Namen Amundsen kennt vielleicht heute auch nicht mehr jedes Kind, aber von Umberto Nobile haben noch viel weniger Leute gehört. Dabei sind beide Namen eng verknüpft. Die norwegische Regisseurin Kajsa Næss erzählt in ihrem Animationsfilm, übrigens nach sehr erfolgreichen Kurzfilmen ihr Langspielfilmdebüt, von der Reise, die diese beiden Forscher gemeinsam unternommen haben und von der Konkurrenz zwischen den beiden. Immer wieder baut Næss Archivaufnahmen von Amundsen, Nobile und auch seinem Hund mit ein, so dass das Publikum die doch so einfach wirkende Geschichte einordnen kann. Denn die Erzählperspektive ist die der kleinen Hündin. Titina kümmert sich nicht um Ruhm und ihr ist sicherlich auch egal, ob sie sich auf einem Luftschiff über der Arktis oder in den italienischen Gassen befindet. Sie ist eine unparteiische Beobachterin.

Die Animation ist klar und flächig, aber sehr detailreich. Kajsa Næss fängt sowohl die italienischen Städte, die norwegischen Häfen und die arktische Landschaft wunderbar ein. Ihr Film lief zum Beispiel auf dem tschechischen Filmfest Zlín, das sich dem Kinder- und Jugendfilm verschrieben hat und wo die Kinderjury “Titina” in ihrer Kategorie ausgezeichnet hat. Auch das sächsische Kinderfilmfest Schlingel in Chemnitz hatte den Film im Programm und das Internationale Trickfilmfestival Stuttgart führte “Titina” sogar im Hauptwettbewerb. Næss zeigt die Rivalitäten, aber zeigt die Hauptfiguren in all ihrer Komplexität, ihren unterschiedlichen Ambitionen und Intentionen. Bei ihr sind diese historischen Figuren keineswegs Helden, sondern widersprüchliche Menschen mit Fehlern und Kanten. Und gerade dadurch gibt sie ihnen etwas sehr Menschliches.

Der Animationsfilm “Titina” ist ein Abenteuerfilm für kleine und große Zuschauende. Es geht vordergründig um Entdeckerdrang und Konkurrenz. Dazu kommt noch eine Prise Nationalstolz für eine norwegische Leistung oder eben für eine italienische Leistung. Denn nicht nur bei Fußball-Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen gilt es als Nation über andere zu triumphieren. Dieser Aspekt wird durchaus mit eingebaut. Und so macht sich der im Streit unterlegene Nobile zu einer zweiten Expedition auf, um die Reise zu wiederholen.

Sein Flugschiff heißt nun “Italia”. Es ist keine Geschichte des Erfolges, es ist vielmehr eine behutsame Erzählung, was Eitelkeit und der Drang besser, schneller, Erster zu sein, mitunter kostet. Für einen Hund spielt all das keine Rolle. Und auch Amundsen wollte dem einstigen Freund in der Not beistehen. Wer die Geschichte nicht kennt, dem werde ich sie auch nicht verraten. So viel sei dennoch gesagt, “Titina” erzählt von einer Expedition, aber auch von einem Zusammenhalt, vom Bedauern und vom Verzeihen. Themen, die zumeist vernachlässigt werden.

Eneh

Spielfilm, Animationsfilm, Kinderfilm Originaltitel: Titina Regie: Kajsa Næss Drehbuch: Kajsa Næss, Per Schreiner Kamera: Cecilie Semec Schnitt: Anders Bergland, Jens Christian Fodstad, Zaklina Stojcevska Musik: Kåre Vestrheim Land Norwegen / Belgien 2022 Länge 92 Minuten Verleih: Grandfilm Kinostart: 2. November 2023 Festivals: Zlín 2023 / Schlingel 2023 / Trickfilmfest Stuttgart 2023 TMDB

zuerst veröffentlicht: der Link führt zum BAF-Blog

#Filmjahr2023 #Filmkritik #Spielfilm #Animationsfilm #Kinderfilm #Grandfilm

© Eneh