Filmbesprechung: Wie wilde Tiere

As bestas (Wie wilde Tiere) protokolliert einen eskalierenden Nachbarschaftsstreit. Doch die Ereignisse sind komplizierter. Die Handlung, die sich wie eine Chronik eines angekündigten Mordes entwickelt, basiert auf wahren Ereignissen. Zumindest wurden sie davon inspiriert. Der spanische Regisseur Rodrigo Sorogoyen, sein vollständiger Name lautet Rodrigo Sorogoyen del Amo, sein Großvater war der Regisseur Antonio del Amo, griff die Geschichte eines flämischen Paares auf, das sich Anfang der 2010er Jahre in Galicien niedergelassen hatte.

Sorogoyen, bekannt für seinen Film El reino und Madre, eröffnet die Handlung in einer Kneipe und stellt dem Publikum zuerst Xar (Luis Zahera) vor, der die Männermannschaft fest im Griff hat, die Unterhaltung dominiert und erst einmal eine erhitzte Rede schwingt, was er für gerecht und was für ungerecht hält. Das Publikum, das noch keine der Figuren kennt, hört ihm tatsächlich zu. Antoine (Denis Ménochet), gegen den sich die Rede richtet, kommt erst ins Bild, als wir eine der Positionen in diesem Gesellschaftsthriller kennen. Antoine, der Franzose, ist der Fremde, der sich mit seiner Frau Olga (Marina Foïs) in dem Gott verlassenen Ort niedergelassen hat.

In dem Drehbuch von Isabel Peña und Sorogoyen prallen Lebenswelten aufeinander. Die verarmte bäuerliche Gemeinschaft nimmt das fremde Ehepaar, das sich einen Neuanfang leisten kann, welches ihnen nicht nur finanziell, sondern auch intellektuell voraus ist, nicht an. Antoine hat gute Absichten. Er nimmt sich der verlassenen und verfallenen Häuser an, richtet sie her, in der Hoffnung, Weggezogenen zur Rückkehr zu bewegen, auch um dem Ort eine Zukunft zu geben. Als Großstädter auf dem Land führt das Ehepaar eine biologische saubere Öko-Landwirtschaft. Die Produkte verkaufen sie auf dem städtischen Markt. Xar und seinem Bruder Lorenzo (Diego Anido), der nach einem Unfall mental zurückgeblieben ist, sind die Beiden jedoch ein Dorn im Auge. Zuerst sticheln sie nur, dann mobben sie die Nachbarn, dann bricht sich nach und nach eine Aggression Bahn, die durch rein gar nichts abgefedert wird. Antoine, von bulliger Statur, der sein Gemüt nicht nach außen kehrt und sicherlich innerlich brodelt, meldet die Bedrohungen, zeigt begangene Straftaten an, und findet bei der örtlichen Polizei doch kein Gehör.

Dabei steht die Figur des Fremden auch für den Eindringling. Der sich Land nimmt, es als seinen Besitz ansieht, sich intellektuell überlegen fühlt. Jedes hergerichtete Haus steht für eine Etappe der Gentrifizierung. Das Publikum kann die toxische Männlichkeit, die sich hier in einem Western artigen Konflikt ausbreitet, unmöglich ertragen. Das Drehbuch wirkt dem mit dem leisen, verhaltenen Auftreten der Frauen in der Handlung entgegen. Die Stärke der Frauen, die hier viel subtiler vermittelt wird, wird die Ereignisse überdauern. Doch die Positionen beider Seiten sind erfassbar und nachvollziehbar. Die Ausweglosigkeit muss das Publikum ebenso ertragen. Die Kluft zwischen den Fronten geht dabei sogar noch tiefer. Während Antoine eine Frau an seiner Seite hat, leben Xar und sein Bruder bei ihrer alten Mutter, ohne auch nur die Chance zu haben, vor Ort oder in der Umgebung eine Frau zu finden. Sich aufstauender Hass kann von noch so viel guten Willen nicht abgefedert werden. Die offene Bedrohung der Brüder gegen ihre Nachbarn, die sich zunehmend kriminell äußert, steht gegen den blinden Fleck der Zugezogenen, die allein mit ihrer Anwesenheit eine Bedrohung sind. Antoine und Olga sind keine reichen Leute, aber Geld bedeutet ihnen nicht viel. Ein Affront für denjenigen, der gar nichts hat. Der sich aber Hoffnung macht, als eine ausländische Firma Grundstücke kaufen will, um darauf Windkraftanlagen zu bauen. Für die Einheimischen würde das den vielleicht kurzfristigen Geldsegen bedeuten, mit dem sie von der Scholle flüchten könnten, in die Städte. Der Wunsch nach Verwirklichung zieht den einen in die Stadt, während es den anderen aus der Stadt aufs Land zieht. Ausgerechnet Antoine stellt sich gegen diesen Landausverkauf. Seine weitsichtigen Gründe behindern die kurzfristigen Begehren der Nachbarn.

In einer Metapher nimmt Sorogoyen die Essenz seines Thrillers vorweg. Der Originaltitel As bestas wird im deutschen Titel vielleicht abgeschwächt, aber auch präzisiert. Wie wilde Tiere zeigt in der Eröffnungssequenz ein Wildpferd, das brutal niedergerungen wird, um ihm so seine Freiheit zu geben. Ein verstörendes Ritual, das visuell fasziniert (Kamera Alejandro de Pablo) und seelisch verstört. Wie wilde Tiere zeichnet einen unüberbrückbaren Konflikt nach, dem keine Partei ausweichen kann. Vielleicht ist das stoische, pragmatische Ausharren der Frauen eine Lösung.

Sorogoyen zeigte seinen Film zuerst in Cannes, inzwischen hat er die wichtigsten spanischen Filmpreise, die Goyas, gewonnen und auch zahlreiche Top-10-Listen des diesjährigen Jahres führen Wie wilde Pferde auf. Sorogoyen etabliert sich mit diesem Werk endgültig als einer der wichtigen Regisseure seines Heimatlandes.

Eneh

Spielfilm Originaltitel: As bestas Regie: Rodrigo Sorogoyen Drehbuch: Isabel Peña, Rodrigo Sorogoyen Kamera: Alejandro de Pablo Schnitt: Alberto del Campo Musik: Olivier Arson Mit Marina Foïs, Denis Ménochet, Luis Zahera, Diego Anido, Marie Colomb, Luisa Merelas, José Manuel Fernández Blanco, Federico Pérez Rey, Javier Varela, David Menéndez, Xavier Estévez, Gonzalo García, Pepo Suevos, Machi Salgado, Luis P. Martínez, Melchor López, José Antonio Fernández, Ramón Porto, Poli Suárez, Faustino Álvarez Spanien / Frankreich 2022 139 Minuten Verleih: Prokino Kinostart: 7. Dezember 2023 Festivals: Cannes 2022 TMDB

zuerst veröffentlicht: der Link führt zum BAF-Blog

#Filmjahr2023 #Filmkritik #Spielfilm #Prokino

© Eneh