Filmbesprechung: Total Trust

Immer wieder geht der Blick nach China, wenn man von totaler Kontrolle und Überwachung der eigenen Bevölkerung auch nur nachdenkt. Nicht nur seit Edward Snowdens Aufdeckung der technischen Schnüffelmethoden, nicht nur seitdem zum Beispiel der Konzern Google sein ursprüngliches Motto “Don't Be Evil” (Tue nichts Schlechtes) abgelegt hat, ahnt man zumindest, dass etwas im Argen liegt und man seine Privatsphäre (und nicht nur diese) verteidigen muss.

Während bei uns oft noch eine Mentalität überwiegt, die ausdrückt: “dann wissen sie halt alles über mich” und meinen damit, dass sie passgenaue Werbung auf den Kanälen ausgespielt bekommen oder es herrscht ein naiver Fatalismus a la “sie wissen doch eh schon alles über mich”.

Wir ignorieren geschichtliche Vorkenntnisse, was der Staat schon alles über uns weiß, und wir ignorieren, wogegen die, die einst schon gegen die Volkszählung protestierten, gewarnt hatten.

Wohin das alles führen kann? Die Maut-Daten oder die Corona-Listen, die dann doch zweckentfremdet wurden? Apps, die Daten sammeln und übermitteln, anhand derer man zum Beispiel derzeit in den USA das Abtreibungsverbot überwachen kann? Bei all dem ist China schon viel weiter. Die (Selbst-)Zensur wurde verinnerlicht. Maßnahmen werden mitunter gar nicht erst in Frage gestellt. Dort greift die Überwachung und Kontrolle eines Systems derart in die Lebensgestaltung ein, dass es zumindest uns in sicherer Entfernung gruselt. Wir ahnen aber, dass das alles auch uns angeht.

Die chinesische Regisseurin und Produzentin Jialing Zhang mit journalistischer Ausbildung und Berufserfahrung lebt und arbeitet in den USA. Bereits in ihrem Debüt 2017, “Complicit”, berichtete sie von einem chinesischen Wanderarbeiter, der an einer Vergiftung litt und daraufhin die globale Elektronikbranche zur Verantwortung ziehen wollte. In “Total Trust”, eine internationale Produktion, bringt sie uns den überwachten Alltag von Frauen in China nahe, die gegen diese Kontrolle aufbegehren.

“Total Trust” sollte die Augen öffnen, wenn sie nicht bereits voll aufgerissen sind. Man möchte, man muss über diesen Film reden. Das Bild vom Frosch im Kochtopf, welches auch Jialing Zhang und ihre anonym bleibenden Mitwirkenden übermitteln, zeigt, dass während bei uns das Wasser nur langsam warm wird, es anderorts bereits brodelt.

Dabei ist es nicht nur die Technik, auch das wird in diesem dramaturgisch spannenden Dokumentarfilm deutlich, die uns die individuelle Freiheit nimmt, sondern auch unzählige MitbürgerInnen und NachbarInnen, die dieses System stützen. Freiwillig oder auch unfreiwillig. Mit seinen Beispielen, die an unserem Sinn für Gerechtigkeit und Freiheit rütteln, ist “Total Trust” beeindruckend. Die Distanz in Raum und den diktatorischen Möglichkeiten überwindet Regie und Schnitt gekonnt und radikal.

Jialing Zhang wählte als ihre Protagonistinnen eine Journalistin, eine Anwältin, eine Aktivistin. Nur am Rande kommen einfache Leute ins Bild, die sich mal eben solidarisch zeigten und sich prompt wundern, dass die Überwachung nun auch sie ins Visier genommen hat.

Wenn Schergen des Systems vor der Wohnungstür kampieren, damit man an bestimmten Tagen gar nicht die Chance hat, das Haus zu verlassen, dann sollte das einem durchaus Angst machen. Hier liegt auch der Fokus der Regisseurin. Wie lebt es sich mit dieser Überwachung. Was macht das mit einem? Wie hält man das aus? Die drei konkreten Beispiele mögen Erinnerungen wecken und Befürchtungen schüren, angesichts politischer Verschiebungen, die auch unser Leben bestimmen können, sollten wir gegensteuern, bevor die Überwachung uns nicht nur Produktempfehlungen beschert.

Eneh

Dokumentarfilm Regie: Jialing Zhang Deutschland / Niederlande 2023 97 Minuten. Verleih: Piffl Medien Kinostart: 5. Oktober 2023

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