Die Kraft unvollendeter Dinge: Der Zeigarnik-Effekt und seine Wirkung auf unser tägliches Leben
In der heutigen Welt, die von Effizienz und Produktivität geprägt ist, werden unvollendete Aufgaben oft als Makel auf der To-do-Liste wahrgenommen. Doch was ist, wenn gerade diese unvollendeten Aufgaben eine verborgene Kraft enthalten, die unsere Kreativität und Problemlösungsfähigkeiten erheblich steigern kann? Der vorliegende Beitrag widmet sich der Betrachtung des sogenannten Zeigarnik-Effekts, einer psychologischen Beobachtung, welche aufzeigt, dass unvollendete Aufgaben besser in unserem Gedächtnis verankert bleiben als abgeschlossene. Durch ein Verständnis für die Funktionsweise dieses Effekts können wir lernen, ihn zu unserem Vorteil zu nutzen und möglicherweise unsere Arbeitsweise zu verbessern.
Was ist der Zeigarnik-Effekt?
Der Zeigarnik-Effekt, benannt nach der sowjetischen Psychologin Bluma Zeigarnik, beschreibt ein weitverbreitetes Phänomen, das viele unbewusst kennen. In den 1920er Jahren beobachtete Zeigarnik, wie Kellner in einem Wiener Kaffeehaus Bestellungen im Kopf behielten: Sie erinnerten sich besser an unerledigte Bestellungen als an solche, die bereits abgeschlossen und bezahlt waren. Weitere experimentelle Untersuchungen bestätigten, dass unvollendete oder unterbrochene Aufgaben besser im Gedächtnis bleiben. Der Grund: Unerledigte Aufgaben erzeugen eine kognitive Spannung, die unser Gehirn dazu antreibt, diese Aufgaben präsent zu halten, in der Hoffnung auf eine abschliessende Lösung. Zeigarnik promovierte mit diesen Erkenntnissen auf dem Gebiet der gestaltpsychologischen Handlungstheorie nach Kurt Lewin schliesslich auch in Berlin. [1]
Wie beeinflusst uns der Zeigarnik-Effekt?
Der Zeigarnik-Effekt hat weitreichende Auswirkungen auf unser tägliches Leben und unsere Arbeit. Er hilft zu erklären, warum unerledigte Aufgaben in unserem Kopf „weiterlaufen“, ähnlich wie offene Tabs in einem Browser, die damit die Leistungsfähigkeit unseres Computers beeinträchtigen. Diese ständig präsenten, unvollendeten Aufgaben verbrauchen wertvolle kognitive Ressourcen und können dadurch unsere mentale Leistungsfähigkeit merklich reduzieren.
Besonders auffällig wird der Zeigarnik-Effekt bei dem, was oft als „Multitasking“ bezeichnet wird. Viele von uns glauben, sie könnten mehrere Dinge gleichzeitig erledigen, doch in Wirklichkeit wechseln wir nur schnell zwischen verschiedenen Aufgaben hin und her. Unerledigte Aufgaben binden unsere Aufmerksamkeit, da unser Gehirn zwischen diesen „offenen Tabs“ hin und her springt. Dies zerrt an unserer Konzentration und beeinträchtigt unsere Produktivität. Multitasking ist im Endeffekt also eigentlich unmöglich.
Der Zeigarnik-Effekt macht sich auch bemerkbar, wenn wir versuchen zu schlafen. Für viele Menschen ist das Bett der einzige Ort, der frei von unmittelbaren Ablenkungen ist. In dieser Ruhe beginnt das Gehirn, alle offenen Aufgaben zu „aktualisieren“. Dieser Prozess kann das Einschlafen erheblich erschweren, da der Geist aktiv bleibt und Lösungen oder Abschlüsse für die offenen Probleme sucht.
Interessanterweise kann der Zeigarnik-Effekt aber auch positiv genutzt werden, um die Kreativität zu fördern. Indem Probleme bewusst offen gehalten werden, ermöglichen wir es unserem Geist, diese mit neuen Erfahrungen und Beobachtungen zu verknüpfen. Dies kann zu unerwarteten Einsichten und Lösungen führen. Zum Beispiel kann eine so alltägliche Aktivität wie das Aufräumen des Schreibtischs oder ein Spaziergang im Park plötzlich die Inspiration liefern, die nötig ist, um ein Problem zu lösen, über das wir seit Tagen grübeln. Solche Momente des Geistesblitzes sind oft das Resultat davon, dass unser Unterbewusstsein im Hintergrund arbeitet und Informationen neu verknüpft, die wir bewusst vielleicht nicht zusammengeführt hätten.
Tipps, wie man mit dem Zeigarnik-Effekt umgehen kann
Der Zeigarnik-Effekt kann sowohl eine Quelle der Frustration als auch ein nützliches Werkzeug zur Steigerung der Produktivität und Kreativität sein. Hier einige Strategien, um diesen Effekt effektiv zu nutzen:
- Aufgaben in Angriff nehmen: Beginnen Sie mit einer kleinen, handhabbaren Aktion, um eine grössere Aufgabe anzugehen. Dies kann helfen, die psychologische Barriere, die oft mit grossen und überwältigenden Aufgaben verbunden ist, zu überwinden.
- Listen und Notizen verwenden: To-do-Listen und Notizen zu Ihren Ideen und unerledigten Aufgaben können helfen, den mentalen Druck zu verringern. Systeme wie Getting Things Done von David Allen, die auf Listen basieren, können besonders effektiv sein.
- Ein „zweites Gehirn“ aufbauen: Nutzen Sie digitale Werkzeuge oder physische Notizbücher, um Informationen und Aufgaben in ein Second Brain auszulagern (auch bekannt als Personal Knowledge Management #PKM). Dies hilft, die kognitive Last zu verringern und schafft mentalen Raum für kreatives Denken.
- Gezieltes Vergessen erlauben: Manchmal ist es hilfreich, sich bewusst zu machen, dass nicht jede Information oder Aufgabe ständig präsent sein muss. Durch das gezielte Vergessen können Sie den mentalen Raum schaffen, der für effizientes Arbeiten notwendig ist.
Fazit: Nutzen Sie den Zeigarnik-Effekt zu Ihrem Vorteil
- Strukturierte Entlastung: Listen und Notizen sind mehr als nur organisatorische Werkzeuge; sie erweitern unser mentales System und schaffen Raum für Kreativität.
- Gesundes Vergessen: Nicht jede Information muss ständig präsent sein. Erlauben Sie sich, Dinge bewusst zu vergessen, die nicht unmittelbar wichtig sind, und vertrauen Sie darauf, dass sie sicher aufbewahrt werden.
- Aufgaben beginnen: Der schwierigste Teil ist oft der Anfang. Nehmen Sie sich die Freiheit, einfach anzufangen, selbst bei grossen Projekten. Der erste Schritt kann ein kraftvoller Motivator sein, den Zyklus des Aufschiebens zu durchbrechen.
Fussnoten [1] Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass der Zeigarnik-Effekt, obwohl er in vielen populärwissenschaftlichen Beiträgen erwähnt wird, in den meisten modernen Lehrbüchern kaum Erwähnung findet. Forscher konnten die Ergebnisse nicht zuverlässig replizieren. Studien, die den Zeigarnik-Effekt bestätigen, deuten eher darauf hin, dass dieser mit der Motivation zusammenhängt: https://link.springer.com/article/10.3758/s13421-020-01033-5#Sec5
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