Kann KI nur Kitsch, oder doch Kunst?

Installation von Refik Anadol in der Serpentine North Galerie in London

Wie es der Zufall so will, erschien am selben Tag, an dem ich meinen Beitrag darüber schrieb, ob Künstliche Intelligenz kreativ sein kann, auch ein Podcast zu dem Thema. In der Reihe „Hörsaal“ von Dlf Nova referiert die Philosophin Dorothea Winter von der Humanistischen Hochschule Berlin über die Frage, ob #KI Kunst produzieren kann. Ich fand die Podcast-Folge sehr spannend und möchte hier darum kurz auf die Argumentation von Winter eingehen und anschliessend unsere Gemeinsamkeiten und Differenzen herausarbeiten. Kaum war mein Beitrag erschienen, wurde ich nämlich auch schon auf die Podcast-Folge angesprochen. Aufmerksame Leserinnen und Leser haben zudem schon bemerkt, dass Kreativität und Kunst (in unserem modernen ästhetischen Verständnis) nicht dasselbe sind, wir also offenbar einen anderen Zugang gewählt haben.

Dorothea Winter: KI produziert Kitsch

Winter argumentiert, dass KI nicht selbst künstlerisch tätig sein kann. Ihrer Ansicht nach liegt das daran, dass KI nicht über die notwendige Freiheit verfügt. Sie definiert Kunst anhand dreier Kriterien: Techne (handwerkliches Können), Episteme (künstlerische Intention) und Freiheit (Willens- und Willkürfreiheit). KI hingegen sieht sie als eine komplexe Input-Output-Struktur: Diese kann zwar grosse Datenmengen verarbeiten und Muster erkennen, bleibt jedoch an ihre Programmierung und die ihr zugeführten Daten gebunden. Wahre Kunst erfordert laut Winter jedoch die Möglichkeit, mit Normen zu brechen und Neues zu schaffen, was KI aufgrund ihrer determinierten Natur verwehrt bleibe.

Daraus folgt für Winter, dass Werke, die allein durch KI erzeugt werden, nicht als Kunst, sondern als Kitsch zu betrachten sind. Ihnen fehle die dem Künstler innewohnende Intention und die Fähigkeit, eine tiefere Bedeutung zu transportieren. Hier streift Winter eine alte Frage, die z. B. in der Musik spätestens seit Hiller & Isaacson [1] diskutiert wird: Kann ein Werk, welches ausschliesslich von einer Maschine erstellt worden ist, überhaupt Kunst sein? Aber um diese Frage ging es mir ja nicht, sondern nur darum, ob KI kreativ sein kann.

Darüber hinaus räumt Winter aber ein, dass KI den Kunstmarkt und das Kunstschaffen nachhaltig verändern wird. Als positive Aspekte nennt sie die Demokratisierung des Kunstschaffens durch vereinfachte und kostengünstigere Prozesse sowie einen egalitären Kunstzugang durch unterstützende KI-Tools. Gleichzeitig warnt sie vor negativen Folgen wie dem möglichen Verlust von Auftragsarbeiten für Künstler. Sie warnt auch davor, dass abseits einiger weniger „Star-Künstler“ viele kleinere Kunstschaffende aus dem Markt verdrängt werden könnten.

Um diesen Risiken zu begegnen, formuliert Winter drei konkrete Forderungen: staatliche Kontrolle über die Entwicklung von KI-Systemen, die Einführung von KI-Disclaimer zur Kennzeichnung von KI-generierten Werken sowie eine Stärkung der Bildung im Umgang mit KI und ihren gesellschaftlichen Folgen.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede unserer Positionen

Winter und ich befassen uns mit der Frage, ob KI kreativ sein kann. Beide sind sich einig, dass KI ein mächtiges Werkzeug für Künstler darstellt. Interessant ist, dass Winter die KI zwar als „Medium zum Kunstschaffen“ bezeichnet, sie aber gleichzeitig mit einem Pinsel oder einem anderen Werkzeug vergleicht: „KI ist ein Medium zum Kunstschaffen. Aber im Grunde ist sie nichts anderes als ein Pinsel, als irgendein Werkzeug“. KI als Werkzeug, zu diesem Schluss kam ich auch.

Ein Unterschied in unserer Argumentation liegt in der Gewichtung der Freiheit im kreativen Prozess. Winter sieht die menschliche Freiheit als unüberwindbare Grenze für die Kreativität von KI an. Ich hingegen beziehe mich nicht auf den Begriff der Kunst, sondern auf die verschiedenen Formen der Kreativität (nach Margaret Boden) und deren Unterteilung in kombinatorische, explorative und transformatorische Kreativität. Meiner Ansicht nach hat KI zumindest in den ersten beiden Bereichen ein kreatives Potenzial, während die transformatorische Kreativität, also die Fähigkeit, Konventionen zu brechen und neue Kunstformen zu etablieren, weiterhin dem Menschen vorbehalten bleibt. Hier braucht es wohl tatsächlich das zusätzliche Element der Freiheit, wie es Winter in ihrer Definition von Kunst anführte. Techne und bis zu einem gewissen Grad auch Episteme hingegen sehe ich sehr wohl auch bei KI-Systemen.

Ein weiterer Unterschied liegt in der Betrachtung der gesellschaftlichen Folgen des KI-Einsatzes in der Kunst. Im Gegensatz zu Winter, die explizit auf die ethischen Implikationen eingeht und konkrete Forderungen formuliert, konzentriere ich mich in meinem Blogbeitrag hauptsächlich auf die Definition von Kreativität und die Frage, inwieweit KI diese erfüllen kann. Das will aber nicht heissen, dass ich den ethischen Fragen kein Gewicht beimesse – im Gegenteil. Aber für die Beantwortung meiner Frage, ob KI kreativ sein kann, spielen diese keine Rolle.


Fussnoten [1] Lejaren Hiller und Leonard Isaacson von der University of Illinois programmierten 1955/56 den Grossrechner ILLIAC I so, dass er in der Lage war, selbständig Musik zu komponieren. Daraus entstand 1957 die Illiac Suite (anhören auf Youtube)

Bildquelle Hugo Glendinning, alle Rechte vorbehalten (Fair Use), via CNBC. Originale Bildunterschrift: Artist Refik Anadol used generative AI to create artworks, seen here at the „Echoes of the Earth: Living Archive,“ exhibition at the Serpentine North gallery in London, U.K.

Disclaimer Teile dieses Texts wurden mit Deepl Write (Korrektorat und Lektorat) überarbeitet. Für die Recherche in den erwähnten Werken und in meinen Notizen wurde NotebookLM von Google verwendet.

Topic #Kommerz


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