Stress oder doch Strain? Hans Selye und der Beginn der Stressforschung

Stress

In einer Welt, die zunehmend von Hektik und Druck geprägt ist, hat das Konzept des #Stress eine zentrale Bedeutung erlangt. Heute leiden viele gar unter einem sogenannten Technostress. Doch was viele nicht wissen: Die verbreitete Verwendung des Begriffs „Stress“ basiert auf einem Missverständnis. Hans Selye, der als „Vater der Stressforschung“ gilt, hätte ursprünglich den Begriff „Strain“ bevorzugt. Dieser Beitrag behandelt die Geschichte und die tiefere Bedeutung von Selyes Forschung. Es wird erläutert, warum der Ausdruck „Strain“ passender gewesen wäre und welche Implikationen dies für unser Verständnis von Stress und dessen Bewältigung hat.

Im Jahr 1936 prägte Hans Selye den Begriff „Stress“ in seinem Aufsatz in Nature [1] als „die unspezifische Antwort des Körpers auf jede Anforderung nach Veränderung“. Diese bahnbrechende Arbeit machte ihn zum „Vater der Stressforschung“.

Hans (János) Selye [2] wurde 1907 in Wien, Österreich-Ungarn, geboren und verstarb 1982 in Montreal, Kanada. Sein Vater war Chirurg und prägte seine Erziehung, die den Grundstein für seine spätere Karriere als Mediziner, Biochemiker und Hormonforscher legte. Selye studierte in Prag, setzte sein Studium in Paris fort und vollendete es in Rom. Während seiner Studienzeit zeigte er grosses Interesse an organischer Chemie, was ihn 1931 zur Promotion führte. Nach seinem Umzug nach Kanada im Jahr 1934 begann er als Lehrer für Biochemie an der McGill University in Montreal zu arbeiten.

Hans Selye

Bis zu seinem Tod im Jahr 1982 veröffentlichte Selye mehr als 1700 wissenschaftliche Arbeiten und 39 Bücher zu diesem Thema. Dadurch wurde er zum weltweit meistzitierten Autor in diesem Forschungsbereich. Seine Bücher erreichten Bestsellerstatus und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Selyes Werk und seine Fähigkeit, komplexe wissenschaftliche Erkenntnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, haben ihm internationalen Respekt und Anerkennung eingebracht.

Die sprachliche Feinheit in Selyes Theorie

Sein Aufsatz in Nature 1936 prägt bis heute unser Verständnis dieses Phänomens, welches übrigens in fast allen Sprachen der Welt als „Stress“ bezeichnet wird. In späteren Jahren äusserte sich Selye dahingehend, [3] dass seine Wahl des Begriffs „Stress“ eigentlich ein Resultat seiner damals noch geringen Englischkenntnisse war. Er hätte lieber den Begriff „Strain“ verwendet, der im Deutschen etwa mit „Anspannung“ oder „Belastung“ übersetzt werden kann. Diese sprachliche Nuance ist keineswegs trivial, da sie den Kern von Selyes Theorie berührt. [4] Während der Begriff „Stress“ oft als von aussen wirkende Kraft (die Stressoren) interpretiert wird, die auf uns einwirkt – eine Auffassung, die sowohl im alltäglichen Gebrauch als auch in der Physik vorherrscht –, wäre „Strain“ ein treffenderer Ausdruck für das, was Selye eigentlich meinte: Die Problematik liegt nicht in den äusseren Einflüssen selbst, sondern in unserer Reaktion darauf. Diese Unterscheidung hat tiefgreifende Auswirkungen auf das Verständnis von Stress und dessen Bewältigung.

Die Auffassung von Stress als einem von aussen kommenden Phänomen bietet zwar einen gewissen Trost, impliziert jedoch, dass Stress ausserhalb unserer Kontrolle und somit nicht in unserer Verantwortung liegt. Diese Sichtweise entbindet uns von der Notwendigkeit, Veränderungen in uns selbst anzustreben, und suggeriert, dass die Lösung zur Stressreduktion in der Vermeidung externer Stressoren liegt. Kurzfristig mag es erleichternd sein, stressige Situationen gegen ruhigere Umgebungen einzutauschen. Doch wenn das eigentliche Problem in unserer Reaktion auf diese Situationen liegt, sind wir beim nächsten Mal nicht besser darauf vorbereitet. Die Flut an Lifestyle-Tipps, die Stressreduktion versprechen, verfehlt oft das Ziel, wenn sie lediglich dazu dienen, den Auslösern unserer negativen Reaktionen aus dem Weg zu gehen. Stattdessen könnte es klüger sein, an diesen Reaktionen zu arbeiten.

Über die Reaktion hinaus: Der Weg zur Resilienz

Diese Erkenntnis führt zum Konzept der #Resilienz, einem Schlüsselthema, das in einem zukünftigen Beitrag vertieft werden soll. Resilienz, die Fähigkeit, unter widrigen Bedingungen zu gedeihen, stellt die Frage in den Mittelpunkt, wie bestimmte Menschen es schaffen, sich durch Herausforderungen zu behaupten und daran zu wachsen, die andere als unerträglich empfinden würden. Die Erforschung des Konzepts der Resilienz zeigt, dass es oft eine Frage der Überzeugung ist. Personen, die glauben, einen gewissen Einfluss auf ihre Situation ausüben zu können und bereit sind, negative Erfahrungen als Wachstumschance zu sehen, bewältigen Krisensituationen besser. [5] Die Erkenntnis, dass die eigentliche Herausforderung in unseren Glaubenssätzen und unserer Reaktionsweise liegt, bietet einen Ansatzpunkt für persönliches Wachstum und eine bewusstere Auseinandersetzung mit Stress. Diese Perspektive geht weit über die Vermeidung externer Stressoren hinaus.

Fazit


Fussnoten [1] Hans Selye: A Syndrome Produced by Diverse Nocuous Agents. In: Nature. Band 138, 4. Juli 1936, S. 32. [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Selye [3] https://www.stress.org/about/hans-selye-birth-of-stress [4] Oliver Burkeman (2011): HELP!: How to Become Slightly Happier and Get a Bit More Done. London: Canongate Books, S. 52ff. [5] Amanda Ripley (2009): The Unthinkable: Who Survives when Disaster Strikes – and Why. New York: Arrow Books.

Bildquellen 1. pexels.com 2. Hans Selye, fotografiert von Jean-Paul Rioux, CC BY SA 4.0 International, via Wikimedia Commons

Disclaimer Teile dieses Texts wurden mit Deepl Write (Korrektorat und Lektorat) überarbeitet.

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