Johannes Leutenegger

Es gibt verschiedene Arten von Niederlagen:

  • Eine Niederlage, die sich aufgrund des grossen Klassenunterschieds gar nicht als Niederlage, sondern als Achtungserfolg anfühlt;
  • Die Niederlage, die sich wegen der guten Stimmung auf den Rängen gut ertragen lässt;
  • Die Niederlage, die sich brutaler anfühlt, weil man eigentlich besser war und trotzdem verloren hat;
  • Die Niederlage in einer langen Reihe von Niederlagen, die das Fass zum Überlaufen bringt.

Die gestrige Niederlage passt in keine dieser Kategorien. Die Wiler hätten das Spiel gegen Bellinzona, einer der – ohne jetzt den Tessinern zu nahe treten zu wollen – eher schwächeren Vereine in der Challenge League, eigentlich gewinnen sollen. Haben sie nicht. Die 2:1-Niederlage war grundsätzlich leistungsgerecht, die Stimmung auf den Rängen relativ schlecht. Es waren Ferien, es war über dreissig Grad, sehr sonnig und weit weg im Tessin.

Nach der guten Vorbereitung mit einer besonders starken Offensive, habe ich eine gute Reaktion auf das 1:1 zur Pause erwartet. In der vorletzten Saison war das Team oftmals in einer ähnlichen Situation, sodass ich mich damals gar nicht gross über Gegentreffer geärgert habe.

Das ist allerdings nicht passiert. Von der sonst starken Offensive unter – nota bene in seiner Aktivzeit Defensivspieler – Marco Hämmerli war in der zweiten Hälfte nichts zu sehen.

So ist aus einem unübersichtlichen Gewusel ein Tor für Bellinzona gefallen. Die Verteidigung muss sich hier ein paar kritische Überlegungen machen, sonst wird das gegen stärkere Gegner noch schlimmere Folgen haben. Torhüter Laidani kann man hier glaube ich keinen Vorwurf machen.

Noch ein Wort zu den Zuschauern aus Bellinzona insbesondere auf der Haupttribüne. Selten habe ich derart ausfällige Zuschauer gegenüber dem Schiedsrichterquartett gesehen. Pfiffe, “Merda”-Rufe und soweiter, bei ziemlich klaren Entscheiden und das schon sehr früh, das habe ich nicht erlebt. Die Stimmung teilte auch die Bank der “Granata”, hier wurden fleissig Karten gesammelt. Gegen Bellinzona insgesamt vier auf dem Spielfeld.

Kurz noch zu den Fans: Die Bellinzona Boys ebenfalls etwas dezimiert, vermutlich wegen den Ferien. Intro mit einer Blockfahne, dazu weissen und weinroten Rauch. Die kleine Gruppe stand sehr kompakt an ihrer üblichen Stelle auf der Höhe der Mittellinie der Gegentribüne. In die zweite Hälfte wurde mit einem Spruchband gestartet, dessen Text ich hier nicht weitergeben kann.

Auf der Wiler Seite stark reduziert, dafür mit mehreren Familien die offenbar Ferien im Tessin gemacht haben. Ein Sohn fragte seinen Vater, wo denn “der Lukembila” sei. Der Vater schaute neugierig zur Bank. Ganz ehrlich, ich hätte Josias Lukembila auch nicht erkannt, wenn er dort gesessen hätte. Konjunktiv deswegen, weil Lukembila seit fast einem Jahr bei Paris FC spielt.

Ich mache mir etwas Sorgen, wie gut Felipe Borges in den letzten Testspielen gespielt hat. Vielleicht verlieren wir ihn bereits in der Winterpause an einen anderen Club. In diesem Spiel erzielte er zwei nicht ganz einfache Tore, nachdem er bereits in den letzten drei vorherigen Spielen stark gespielt hat. Zum ersten Mal ist mir auch Simone Rapp aufgefallen. Er erzielte ein Tor, lieferte ein solide Spiel ab.

Dass die Wiler jetzt YB geschlagen 1:3 haben, muss man etwas einordnen. YB hat vor dem Spiel bereits gegen Aarau gespielt und 1:0 gewonnen. Das Team war stark mit der zweiten Garde bestückt.

Sehr kampfbetontes Spiel, hohe Intensität, tendenziell viel zu hohe Intensität, wie kurz vor der Pause gezeigt wurde. Etwa in der 40. Minute kam es zu einem recht brutalen Vorfall, als einem Wiler (wer es war, konnte ich Mangels Kenntnis des neuen Spielers nicht sagen) mit dem Ellbogen erwischt wurde. Ob es jetzt effektiv ein Foul war, keine Ahnung, aber auf jeden Fall erwischte es den Wiler ziemlich heftig, was bei Captain Mërgim Brahimi einen Wutausbruch gegenüber dem SR-Trio auslöste.

Das Spiel ist schliesslich 0:0 ausgegangen. Vielleicht hätte es mit etwas Glück noch ein Tor gegeben, aber das Resultat passt grundsätzlich zum bescheidenen Spiel.

Im Rahmen des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 kam im Frühjahr 1871 eine französische Armee in die Schweiz und wurde nachfolgend interniert. Nach deren General wurde die Armee auch Bourbaki-Armee genannt. Ein Pflichttermin für Geschichtsinteressierte in Luzern ist das Bourbaki-Panorama von Edouard Castres, das die Ankunft der französischen Truppen in der Schweiz, die Abgabe ihrer Waffen und der folgenden Internierung zeigt.

Das Ereignis dieser Internierung wird gerne als Beispiel für die “humanitäre Tradition” der Schweiz gesehen. Dass diese “Tradition” oft Augenwischerei war und ist, soll jetzt hier nicht weiter diskutiert werden. Tatsächlich war die Aktion für die damals nicht so grosse Schweizer Bevölkerung eine Herausforderung. Das Stadtlexikon WilNet berichtet von 199 französischen Soldaten, die in Wil interniert wurden. Für ein kleines Städtchen eine anspruchsvolle Aufgabe. In Wil wurden diese im Armenhaus untergebracht, dem ehemaligen fürstäbtlichen Kornhaus an der Bergtalstrasse. Die Schlussrechnung des Wiler Lokalkomitees berichtet von 860.40 Franken, die damals aufgewendet wurden, der grösste Teil gedeckt aus freiwilligen Spenden. Das ist doch recht beeindruckend.

Offenbar starben zwei französische Soldaten in Wil. Einmal der Korporal Henri André Lecler am 13. Februar 1871 und der Soldat Pierre Auguste Grosse am 16. Februar 1871. Für Sie wurde an der Kirche St. Peter ein Denkmal errichtet. 1940 wurde offenbar eine kleine Platte mit der Aufschrift “Les Français à leur morts” ergänzt. Auslandsfranzösinnen und -franzosen in Wil war es offenbar im Verlauf des Zweiten Weltkriegs ihren Toten zu gedenken, bescheiden aber trotzdem.

Der FC Wil spielte heute in Widnau ein weiteres Testspiel gegen die Mannschaft aus der Promotion League. Der Fussballplatz von Widnau ist klein, ist an zwei Seiten von mittelgrossen Tannenbäumen umgeben, die bei der stechenden Sonne von den Zuschauern gerne in Anspruch genommen wurden. Auch die Auswechselspieler setzten sich in den Schatten, auf der anderen Spielfeldseite der Auswechselbank. Entspannte Atmosphäre auf beiden Seiten.

Ich kam etwas zu spät, aber bereits früh war klar, dass die Wiler ihrer Favoritenrolle gerecht wurden. Wenn die Wiler einmal richtig Gas gaben, hatten die Brühler Mühe mitzukommen. Oft führte das zu Fouls oder immer wieder mal zu einem Tor.

Es ist schwierig, die Wiler anhand dieses Spieles gut einzuordnen. Einige Teams in der kommenden Saison werden ähnlich wie der SC Brühl gegen Wil Aussenseiter sein. Mit dieser Rolle umzugehen, ist für die Wiler – wie die vergangene Saison erneut gezeigt hat – nicht besonders einfach. Ich denke da speziell an die 2:1-Niederlage in Baden, in der die Wiler in der ersten Halbzeit gut 70% Ballbesitz und drückende Überlegenheit hatten, sich aber dann doch nicht durchsetzen konnte. Das sind die Spiele, die sogar alteingesessenen Wil-Fans, die sonst keine grosse Mühe mit Niederlagen haben, grosse Schmerzen verursacht haben.

So war das Spiel aber überhaupt nicht. In familiärer Atmosphäre liessen sich auch der ehemalige Wil-Präsident und heutiger SC Brühl Vorsitzender Roger Bigger, ehemaliger FC Wil Spieler und Widnauer Michael Heule oder eine Wiler Legende wie Fabinho blicken.

Dass die Brühler noch einen Ehrentreffer per Penalty erzielten, passte gut zur Stimmung.