Eigentum und Rechtsschutz – George Schumm

Eigentum und Rechtsschutz.

An die Redaktion von Libertas: Ihre Sozialtheorie enthält so viel scheinbar widersprechendes, dass ich mir nähere Aufklärung erbitten möchte. Den Leitartikel „Gewalt das Wesen des Staats“ schliessen Sie mit den Worten: „Libertas aber postuliert die Freiheit, Gerechtigkeit und das Eigentum. Daher geht ihre Forderung auf die Abschaffung des Staats“.

Ich möchte mir Ihre Vorstellung von dem Begriff „Eigentum“ erbitten. Ist es ein undefinierbares Etwas, ein ungreifbares Phantom, oder ist es ein Verhältnis, von dem man sich eine bestimmte Vorstellung machen kann? Von dem physischen „Besitz“, von dem materiellen „Haben“ muss es doch verschieden sein, denn sonst wäre ja der Dieb Eigentümer des Gestohlenen.

Bisher hielt ich immer „Eigentum“ für das Besitzverhältnis, das zwischen einer Person und einem Ding durch den Rechtsschutz entsteht. Nun ist aber Rechtsschutz prinzipiell eine Gewaltäusserung, ob er zur Verhinderung des Diebstahls und des Raubes Anwendung findet, oder selbst das Mittel der unerworbenen Aneignung wird. Er mag sich in der Form von Lynchjustiz oder Gerichtsentscheidung äussern. Im einen Fall rekrutiert sich die Staatsgewalt direkt aus dem Volke, im andern indirekt, indem sie zuerst die Form von Polizei und Militarismus annimmt. Mir ist deshalb der Begriff „Eigentum“ undenkbar, wo keine Staatsgewalt besteht. Nur ein Gewaltstaat kann der Sitz eines Rechtsschutzes sein, und der letztere ist der Schöpfer des Eigentumsverhältnisses, das durch die Abschaffung des Staats folgerichtiger Weise unmöglich wird.

EGOSIT.

Meiner Auffassung zufolge besteht das Eigentum aus den Werten, welche durch die physischen und geistigen Einwirkungen (Arbeit) des Individuums auf das ausser ihm Liegende entstehen. Nur was ich mit Aufbietung meiner Zeit und Arbeitskraft erzeuge, ist mein, mein Eigentum, und ich brauche nicht erst auf einen von einer Staatsgewalt eingesetzten Rechtsschutz zu warten, um mir ein Besitzverhältnis zwischen mir und einem so erzeugten Dinge vorzustellen. Ein Besitzverhältnis aber, das sich ausschliesslich durch den Rechtsschutz bestimmen lässt, ist ein willkürliches, ist nicht Eigentum, sondern Fremdtum. In diese Kategorie gehören Kapitalzins, Bodenrente und Profit, – vom einfachen, ungeschminkten Diebstahl nur durch den Rechtsschutz, der sie straflos hält, zu unterscheiden. Ein solcher Rechtsschutz, welcher die der heutigen Auffassung des Eigentums zugrunde liegenden Besitzverhältnisse anerkennt, ist, wie „Egoist“ behauptet, gleichbedeutend mit Staatsgewalt, und weil er es ist, weil er kein Rechts-, sondern ein Unrechtsschutz ist, behaupte ich, dass nicht der Staat das Eigentum erst möglich macht, sondern dass er es verneint. Um also das Eigentum im anarchistischen Sinne herzustellen, verlange ich die Abschaffung des Staats. Das Eigentum in meinem Sinne ist auf der Arbeit begründet. Wird dieses Eigentum je des Schutzes bedürfen, was ich nicht bestreite, so werden die dabei interessierten Individuen sich schon zu helfen wissen. Ich kann nicht einsehen, was sie daran verhindern sollte, sich zur Schaffung dieses Schutzes zu organisieren. Eine solche freiwillige Organisation zum Schutze des auf der Arbeit basierten Eigentums wäre aber kein Staat in dem Sinne, in welchem ich gemeinschaftlich mit allen Anarchisten das Wort gebrauche. Auch würde sich eine solche Organisation wesentlich vom historischen Staat unterscheiden.

G.S.

(Libertas 3, Samstag, 21. April 1888, S. 1.)