Was ist Freiheit – Karl Heinzen

Was ist Freiheit?

[Karl Heinzen.]

Sie kann gedacht werden als ein bloss äusserer Zustand, welcher entsteht durch Entfernung aller hindernden Gewalt, und als eine innere Fähigkeit, welche in Bewusstsein und Willen von allem Gewalthinderns unabhängig ist. Man versetze einen Untertan aus dem Bereich seines Despoten in eine Republik und er ist ein Untertan geblieben, wie wir das ja täglich an Hunderten unsrer Landsleute bemerken können; man fessele einen Republikaner mit Ketten an die Stufen eines Thrones und er bleibt ein Republikaner. Wir haben es hier nur mit derjenigen Freiheit zu tun, welche ich als eine innere bezeichnete, da äussere Freiheit die notwendige Folge der innern ist und deshalb vorausgesetzt werden muss. Diese innere Freiheit aber bedarf ebenfalls wieder einer Definition. Ich mögte sie bezeichnen als die Fähigkeit der Intelligenz und des Willens, das Gesetz der Vernunft vollständig zu erkennen und im Streben nach dem Ideal der menschlichen Entwicklung zu realisieren. Da wir niemals dieses Ideal erreichen, so folgt daraus zwar, dass wir auch niemals die ganze Freiheit erringen; aber es genügt, sich klar darüber zu werden, dass der Freiheit widerstrebt, was der Vernunft widerstrebt, und dass die Freiheit die realisierte Vernunft ist. Denken wir uns alle Menschen durchaus vernünftig, so ist von keiner Unfreiheit mehr die Rede. Haben wir dies erkannt, so sind wir uns klar über die Aufgabe, auf dem Gebiete der Vernunft stets neue Eroberungen zu machen und die Grenze unserer Freiheit nicht enger zu stecken, als die Grenze dieser Eroberungen. Wir sind dann auch imstande, die Hindernisse unserer Freiheit kennenzulernen: und sie zu besiegen. Nur so gelangen wir dazu, wirklich freie Männer zu werden und, füge ich hinzu, es zu bleiben, denn die wahre Freiheit, die in uns realisierte Vernunft, ist unveräusserbar und unbesiegbar.

An den Begriff der Freiheit schliesst sich die Frage nach ihren fernern Erfodernissen an. Wie die Vernunft unteilbar ist und die Vernunft auf dem einen Gebiet nicht bestehen kann neben der Unvernunft auf einem andern, so ist auch die Freiheit unteilbar und es ist eine grosse Unklarheit, z. B. anzunehmen, man könne auf dem politischen Gebiete frei und auf dem religiösen ein Diener der Autorität sein, man könne als Publizist sich auf die politische Freiheit beschränken und müsse die religiöse Unfreiheit unangetastet lassen u.s.w. Nichts hat so sehr das Bedürfnis der Konsequenz wie die Freiheit und sie lässt sich vom Gebiete der Kunst und Sitte ebenso wenig zurückweisen wie vom Gebiete der Politik und Religion. Alles oder nichts, sagt Cäsar; die Freiheit streicht das Nichts und verlangt: alles.

So wie aber die Freiheit unteilbar ist und allgemein werden muss im ganzen Denk- und Willensgebiet des einzelnen Menschen, so ist sie auch geknüpft an das Bedürfnis, sich auszudehnen über das ganze Gebiet der Menschheit. Je freier ein Mensch ist, desto mehr fühlt er das Bedürfnis, alle Menschen frei zu sehen. Die Freiheit ist wie die Luft: wie diese jeden luftleeren Raum auszufüllen, so strebt die Freiheit sich in jedem freiheitslosen Raum und Kopf auszubreiten. Wäre die ganze Menschheit frei, einen Einzigen ausgenommen, die ganze Menschheit würde nicht ruhen können, bis sie auch diesen Einen frei gemacht hätte. Ein freier Mann kann so wenig einen Sklaven dulden wie ein Despot einen freien Mann. Ob ein Mensch wirklich frei ist, kann er ziemlich sicher daran erkennen, ob er seine Freiheit egoistisch auf sich zu beschränken, oder ob er sie auch Unfreien zuteilwerden zu lassen das Bedürfnis fühlt. Die Neutralität ist die Gesinnung der egoistischen Unfreiheit. Selbst der rechte Egoismus der Freiheit ist dieser Neutralität entgegen, denn der freie Mensch hat das Bedürfnis, mit freien Menschen zu verkehren, und er erkennt, dass die fremde Unfreiheit nur ein Hindernis seiner eignen Freiheit ist. Es gibt für den freien Mann keine grössere Qual, als das notgedrungene Verweilen unter Unfreien, die er nicht befreien kann.

(Libertas 5, Samstag, 19. Mai 1888, S. 8.)

Anmerkung

Zu Karl Heinzen s. die Anmerkungen hier.