Filmbesprechung: Deep Sea

Deep Sea, im Original Shen Hai, erzählt von einem kleinen Mädchen, das mit seiner Familie auf eine Urlaubsreise auf einem Kreuzfahrtschiff geht. So viele Menschen, so ein Gedränge, so ein Getöse, so viele Impulse. Shenxiu, so heißt das Kind, fühlt sich trotzdem allein. Es könnte alles so schön sein, wenn sie nur mal etwas lächeln würde. Und hat sie nicht an diesem Tag Geburtstag?

Shenxiu ist nicht glücklich. Ihr kleiner Bruder ist der Mittelpunkt der Familie, ihre Stiefmutter und ihr Vater sind mit sich selbst beschäftigt. Shenxiu sehnt sich nach ihrer Mutter. Warum hat ihre Mutter sie verlassen?

Man sollte nicht zu viel im Vorfeld über die Geschichte erzählen. Die offensichtliche Handlung ist eine Abenteuerreise, nachdem sich das Kind plötzlich auf einem Tiefseeschiff à la Jules Verne befindet, auf dem ein quirliger Koch der Kapitän ist und allerlei Tierwesen ein Restaurant für zahlende Gäste am Laufen halten.

So bunt die Bilder sind, so vorsichtig wagt sich der chinesische Regisseur Tian Xiaopeng (sein Monkey King: Hero is Back mauserte sich einst vom Geheimtipp zum Boxoffice-Hit) an eine dunklere Deutung heran, die sich erst nach und nach offenbart. Je nach eigenen Erfahrungswerten erklärt sich vieles früher oder später. Doch einfach ist die Geschichte keineswegs. Shenxiu möchte ihre Mutter finden und immer und immer wieder entgleitet ihr der Kontakt. Da legen sich auch mehrere Erinnerungsebenen übereinander, sodass sich ihre Wahrnehmung variierend im Kontakt mit den Wesen des “Tiefsee-Restaurants” manifestiert.

Die Generation-Sektion der Berlinale, dieses Jahr das erste Mal unter der Leitung von Sebastian Markt, hat es sich noch nie leicht gemacht. Kinder und Jugendliche werden ernst genommen und mitunter kommt man ihnen mit ernsten Filmen, die äußerst herausfordernd sind. Mit Deep Sea wählte man ein schweres Thema, das vielleicht für die Kleinsten unter den Kindern überfordernd wirken könnte.

In China kam der Film bereits zum chinesischen Neujahrsfest in die Kinos. Bei uns testete der Animationsfilm, der sieben nicht einfache Jahre an Produktionsgeschichte hinter sich hat, das Wasser auf den internationalen Filmfestspielen. Bereits der an Ideen überbordende Animationsstil ist visuell eine Herausforderung. Ich empfehle, und das ist untypisch für mich, in der Tat die Synchronisation, die gelungen ist. Mit Untertiteln kann man dem visuellen Geschehen kaum folgen. Wenn man nicht gerade Mandarin beherrscht, könnten die Feinheiten in den Dialogen auch verloren gehen. Das Sujet ist auf jeden Fall sehr speziell. Auch nach der Vorführung für die Presse bildete sich sogleich eine Gruppe, die über das Thema sprechen wollte. Kinder, und nicht nur Kinder, sollte man hier nicht alleine lassen.

Visuell ist Deep Sea wunderschön. Unglaublich, was die Animation inzwischen alles kann. Tian Xiaopeng mischt Farben und Texturen, die ihre Vorbilder in der Malerei, dem Pop-Art und der chinesischen Kunst haben. Hier ist jeder Tropfen wahrnehmbar. Mal verfließen bunte Tuscheströme ineinander, mal geben winzige Perlen dem Bild Textur. Die einzelnen Bilder, wenn man sie vollständig wahrnehmen könnte, sind so detailreich, wie herzlich.

Deep Sea ist ein geradezu psychedelischer Filmtrip. Das Unterbewusste, das Ursprüngliche soll mit Reizen geflutet werden, um die innere, zerrissene Welt eines kleinen Menschen erfahrbar zu machen. Das Bunt auf Bunt, was hier durchaus auch als ermüdend und sogar repetitiv wahrgenommen werden kann, spiegelt aber gerade die Wahrnehmung, was ein Zuviel an Reizen auslösen kann und wie sich die innere Traurigkeit im Meer des scheinbar glücklichen Umfelds anfühlt. Hier wird vielleicht deutlich, was nicht für alle deutlich sein könnte. Ein Wermutstropfen ist allerdings, dass der deutsche Verleih entschieden hat, den Film nur in einer 2D-Fassung in die Kinos zu bringen.

Eneh

Spielfilm Originaltitel: Shen Hai Regie: Tian Xiaopeng Drehbuch: Tian Xiaopeng Kamera: Cheng Mazhiyuan Animation: Tian Xiaopeng Montage: Lin Aner Musik: Dou Peng Mit Tingwen Wang, Su Xin, Kuixing Teng, Yang Ting, Jing Ji, Haoran Guo, Xiaopeng Tian, Yi Dong, Taochen Fang Volksrepublik China 2022 113 Minuten Kinostart: 10. August 2023 Verleih: Leonine Festivals: Berlinale 2023 / Annecy 2023 TMDB

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