Ein etwas anderer Blick auf Resilienz: Philosophische Lebenspraxis
Vor einiger Zeit habe ich hier im Blog „Vater der Stressforschung“ Hans Selye und seine Forschung vorgestellt. Gegen Ende des Beitrags bin ich dann kurz auf das Konzept der #Resilienz zu sprechen gekommen: Wie schaffen es bestimmte Menschen, sich durch Herausforderungen zu behaupten und daran zu wachsen, die andere als unerträglich empfinden? Dieser Frage will ich in diesem Blogbeitrag nachgehen. Was also verbirgt sich hinter dem Begriff Resilienz, wie kann man diese Fähigkeit entwickeln, und vor allem, was hat das mit #Philosophie zu tun?
Was ist Resilienz?
Resilienz, abgeleitet vom lateinischen resilire (zurückspringen, abprallen), war ursprünglich ein Begriff aus der Materialforschung und bezeichnete die physikalische Eigenschaft eines Werkstoffs, nach extremem Druck von aussen wieder zu seiner ursprünglichen Form zurückzufinden. Heute meinen wir damit die Fähigkeit eines Menschen, sich an schwierige Lebensumstände anzupassen und Krisen zu bewältigen.
Resilienz ist somit nicht gleichbedeutend mit dem Ignorieren von Problemen oder dem Verdrängen negativer Emotionen. Vielmehr geht es darum, Strategien zu entwickeln, um mit Stressfaktoren umzugehen, die eigenen Stärken zu erkennen und auch in herausfordernden Zeiten handlungsfähig zu bleiben. Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, darunter die persönliche Einstellung, das soziale Umfeld und die Fähigkeit, aus Erfahrungen zu lernen. Interessanterweise sind viele dieser Strategien bereits seit Jahrhunderten und Jahrtausenden bekannt, lange bevor der Begriff der Resilienz geprägt wurde. Sie finden sich z. B. bereits in den Schriften antiker Philosophen.
George Bonanno, ein führender Resilienzforscher, definiert Resilienz als die Fähigkeit, angesichts von Widrigkeiten relativ stabile und gesunde Ebenen der psychischen und physischen Funktionsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Diese Definition unterstreicht, dass Resilienz nicht das Fehlen von Schwierigkeiten bedeutet, sondern die Fähigkeit, trotz dieser Schwierigkeiten weiter zu funktionieren und sich sogar weiterzuentwickeln.
Früher wurde Resilienz oft als eine unveränderliche Persönlichkeitseigenschaft betrachtet. Die moderne Forschung zeigt jedoch, dass Resilienz ein dynamischer Prozess ist, der durch die Interaktion mit der Umwelt und durch gemachte Erfahrungen geprägt wird.
Die Bedeutung der Selbstreflexion
Ein entscheidender Faktor für die Entwicklung von Resilienz ist die #Selbstreflexion. Sich regelmässig Zeit zu nehmen, um die eigenen Gedanken, Gefühle und Verhaltensmuster zu reflektieren, ist essenziell, um die eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen und effektive Strategien zur Stressbewältigung zu entwickeln.
Schon die antike Philosophie erkannte die Selbstreflexion als einen wichtigen Bestandteil eines guten Lebens. Seneca, der römische Philosoph und einer der meistgelesenen Schriftsteller seiner Zeit, betonte die Bedeutung der regelmässigen Selbstprüfung: „Ein wirksames Mittel, das Seneca empfiehlt, um Fortschritte bei der Eindämmung der eigenen Schwächen zu erzielen, ist das Gespräch mit anderen oder auch mit sich selbst, Letzteres am besten schriftlich. Das zwingt uns, Worte zu finden, Verhalten zu beschreiben und den Gedanken eine Form zu geben. Das schafft Klarheit. Damit verbunden ist ein erneutes Bedenken und Durcharbeiten des Problems.“ (Kitzler 2024, S. 221) Diese Praxis hilft uns, unsere Stärken und Schwächen zu erkennen und Verhaltensmuster zu identifizieren, die uns daran hindern, resilient zu sein.
Das schriftliche Festhalten der eigenen Gedanken und Erkenntnisse kann diesen Prozess zusätzlich unterstützen. Durch das Formulieren und das Strukturieren von Gedanken werden Probleme klarer und neue Lösungsansätze können leichter erkannt werden. Hier können z. B. ein regelmässig geführtes Tagebuch oder auch die sog. Morning Pages helfen.
Die Bedeutung von Sinn und Werten
Neben der Selbstreflexion spielt die Orientierung an Sinn und Werten eine wichtige Rolle für die Entwicklung von Resilienz. Menschen, die ein klares Verständnis ihrer Werte haben und ihr Leben danach ausrichten, verfügen über einen inneren Kompass, der ihnen auch in stürmischen Zeiten Orientierung und Halt bietet.
Die antike Philosophie betonte, dass ein glückliches und erfülltes Leben nicht in Reichtum, Ansehen oder Macht zu finden ist, sondern in der Ausrichtung des eigenen Handelns an moralischen Prinzipien und der Sorge um das eigene Seelenleben. Traumatische Erfahrungen können die eigene Lebensgeschichte nachhaltig prägen und die Sinnsuche erschweren. Dennoch birgt die Auseinandersetzung mit diesen Erfahrungen auch die Chance, gestärkt und mit einem tieferen Verständnis für sich selbst und die Welt hervorzugehen. Die Frage, wie die eigenen Erfahrungen positiv genutzt und für andere Menschen fruchtbar gemacht werden können, kann dabei helfen, neue Perspektiven zu gewinnen und die eigene Lebensgeschichte neu zu bewerten.
Resilienz ist mehr als Selbstoptimierung
Obwohl Resilienz viele Vorteile mit sich bringt, ist es wichtig, den Fokus nicht auf eine reine Selbstoptimierung zu legen. Die ständige Optimierung der eigenen Leistung und die Jagd nach dem „perfekten“ Leben können zu #Stress, Überforderung und letztendlich zu einem Gefühl der Unzufriedenheit führen.
Das Streben nach Glück und Erfolg sollte daher nicht mit dem Zwang zur ständigen Verbesserung und Leistungsmaximierung verwechselt werden. Stattdessen geht es darum, die eigenen Bedürfnisse und Grenzen zu erkennen und ein Leben zu führen, das im Einklang mit den eigenen Werten und Zielen steht. Dies bedeutet auch, sich selbst mit seinen Unvollkommenheiten und Fehlern zu akzeptieren. Epikur, der griechische Philosoph und Begründer der nach ihm benannten philosophischen Schule des Epikureismus, betonte die Wichtigkeit der Einsicht in die eigene Unzulänglichkeit als ersten Schritt zur Genesung. (Kitzler 2014, S. 209). Diese Akzeptanz ist entscheidend, um eine gelassene und ausgewogene Lebensführung zu ermöglichen.
Resilienz bedeutet, die Balance zwischen den Anforderungen des Lebens und den eigenen Fähigkeiten und Ressourcen zu finden. Es geht nicht darum, ein perfektes Leben zu führen, sondern darum, mit den Unvollkommenheiten des Lebens umzugehen und aus ihnen zu lernen. Dieser Ansatz verhindert, dass man sich in einem endlosen Kreislauf der Selbstoptimierung verliert, der letztlich mehr schaden als nutzen kann.
Zusammenfassung: Wie kann man Resilienz aufbauen?
Resilienz ist eine Fähigkeit, die erlernt und gestärkt werden kann. Folgende Punkte können dazu beitragen:
- Selbstreflexion: Regelmässige Selbstbeobachtung und die Auseinandersetzung mit den eigenen Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen helfen, Stärken und Schwächen zu erkennen.
- Sinn und Werte: Die Orientierung an Sinn und Werten im Leben gibt Halt und Orientierung, insbesondere in schwierigen Zeiten.
- Akzeptanz: Die Akzeptanz der eigenen Unvollkommenheit und die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen, sind wichtige Schritte auf dem Weg zu mehr Resilienz.
- Flexibilität: Die Fähigkeit, die eigene Denkweise anzupassen, Situationen neu zu bewerten und sich auf veränderte Gegebenheiten einzustellen, trägt zur Stärkung der Resilienz bei.
Indem wir diese Punkte in unserem Leben berücksichtigen und uns bewusst mit ihnen auseinandersetzen, können wir unsere Resilienz stärken und uns besser für die Herausforderungen des Lebens wappnen. Resilienz ist somit nicht nur eine wertvolle Fähigkeit, sondern eine Lebenshaltung, die uns befähigt, auch unter Stress mit Stärke und Zuversicht zu reagieren.
Wie kann das gelingen? Meine Empfehlung: Befasst euch mit antiker philosophischer Lebenspraxis, lest Seneca, lest Epikur.
Literatur Folgende Bücher des deutschen Philosophen und Filmproduzenten (!) Albert Kitzler empfehle ich für den Einstieg:
- Albert Kitzler (2014): Wie lebe ich ein gutes Leben? Philosophie für Praktiker, München: Pattloch.
- Albert Kitzler (2024): Gelassenheit: Eine philosophische Lebensschule, München: Droemer Knaur.
Bildquelle Antonio Zucchi (1726–1796): A Greek Philosopher and His Disciples, National Trust, Nostell Priory, Public Domain.
Disclaimer Teile dieses Texts wurden mit Deepl Write (Korrektorat und Lektorat) überarbeitet. Für die Recherche in den erwähnten Werken und in meinen Notizen wurde NotebookLM von Google verwendet.
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