Im Verlaufe des Lebens habe ich eine “natürliche” Abneigung dem Kerzenlicht gegenüber entwickelt. Wo immer jemand glaubt, Kerzen aktivieren zu müssen, sehe ich meine Aufgabe gekommen: ausblasen. Ich sage heute: Traue keinem Versprechen, welches dir unter Bedingungen des Kerzenlichts gegeben wird. Lügen sind auf Mikrofone oder Kerzenlicht angewiesen, sagte schon meinen Oma. Übrigens ist Sex bei Kerzenlicht Pfuiteufel. Das sagte aber nicht meine Oma. Das sage ich.
“Nerd” ist eine beliebtes Label zur Selbstbeschreibung in SocialMedia-Profilen. Meint wohl: schlafe wenig und esse die Ravioli kalt aus der Büchse, ohne dazu jemanden einzuladen. Programmiert habe ich bereits mit dem Zählrahmen als Dreijähriger. Für meine Eltern war das aber keine Überraschung. Sie haben beide Mathematik studiert. Gezeugt haben sie mich unter Zuhilfenahme einer imaginären Zahl.
Kommt ein Mann – leicht zerschlissene Kleinder – in den U-Bahn-Wagon.
“Meine Lieben, ihr hört hier viele traurige Lebensgeschichten. Meine ist zu wenig traurig, um euch zu beeindrucken. Aber ich brauche Geld. Wer will, der gibt.”
Der irische Songwriter Andrew Hozier-Byrne hat den Song – Take Me To Church – als Zeichen seines Protestes gegen die Katholische Kirche (Irlands) geschrieben. Er kritisiert insbesondere die andauernde Schieflage der katholischen Sexualmoaral.
My church offers no absolutes
She tells me: Worship in the bedroom
The only heaven I′ll be sent to
Is when I'm alone with you
Henning May von Annen Mey Kantereit bietet meine favorisierte Version dieses Songs: Youtube, Cover…
Der Moment, an dem du merken musst, dass deine Gesichtshaut nur deshalb annähernd faltenfrei ist, weil dein Augenlicht nachgelassen hat. Achtung, Schieflage.
Vor vielen Jahren bin ich für längere Zeit (vielleicht passt auch: ziellos) gegen Osten gereist. Mit Ruck- und Schlafsack. Bereits damals habe ich das Reisen – nach einer Euphorie des Aufbrechens – als schwierig erlebt, als zu schwierig für mich. Aber ohne zu reisen, kann ich mir mein Leben nicht vorstellen.
Das touristische Reisen orientiert sich am Konzept des Sehenswürdigen. Lange Zeit schien mir dies plausible Voraussetzung für eine Reiseanstrengung zu sein. Aber was hat jemand von #Berlin gesehen, der es vor das Brandenburger Tor schafft oder am Checkpoint Charlie ein Cap “BERLIN, ICK LIEB DIR” kauft? Das sind für mich keine bloss rhetorischen Fragen, auch wenn sie so wirken mögen.
Seit einiger Zeit versuche ich, mit einer ethnografischen Perspektive zu reisen: Die bereisten Orte aus den Praktiken und Routinen heraus zu verstehen, wie sie sich im Alltag der Menschen, die dort leben, beobachten lassen. Dies bedeutet, den Vorformatierungen (wie dem Konzept des Sehenswürdigen) zu misstrauen. Im Zuge dessen ist auch die Entwicklung hin zum Amoralischen gefordert (was nicht unmoralisch meint).
Auch eine solche Herangehensweise muss schliesslich im Prekären enden. Aber bereits das Ringen um den gewendeten Blick hat bei mir die Qualität des Reisens verändert.
Inzwischen nenne ich eine reichhaltige Reisesammlung alltagsbanaler Microgeschichten stolz mein Eigenes. Ständig kommen neue hinzu. Sie durchwühlen meinen nächtlichen Halbschlaf – und entschwinden schneller als mir lieb ist aus meinem Gedächtnis. Sie sind nicht wiederholbar. Sobald ich sie zu wiederholen versuche, gehen sie kaputt.
Blog Schieflage, Reto Eugster: Aussenhin ist idyllisch schön, klein niedlich, vertraut bindend. Aussenhin ist Sonntagsspaziergang. Aber die Aussenseite hat eine Innenseite. Diese kann wunderbar erschreckend, düster wie Glück und abgründig wie rauschendes Leben sein.
“Die Häuser, die sie bewohnen, sind sauber wie sie selber, die Strassen, die sie bauen, sind ein bisschen holperig, genau wie sie selber, und das elektrische Licht, das ihre Dorfstrassen Abends beleuchtet, ist praktisch, wiederum exakt wie sie selber.” (Der Gehülfe, Robert Walser)
Frau Düsenflor hatte ihre Meinung. Nur, diese interessierte niemanden. Damit musste sie zurecht kommen. Sobald die U-Bahn vorbei dröhnte, verloren Worte ohnehin jede Kontur. Nicht nur über die Meinung von Frau Düsenflor, sondern über Meinungen aller Art, rauschte in solchen Augenblicken die Zumutung der Stadt hinweg. Rücksichtslos und rücksichtsvoll zugleich. Damit war Frau Düsenflors wundersame Einsamkeit wieder hergestellt.
Ziehen gegen Mitternacht durch die Stadt. Älterer Mann tritt vor uns aus einer Bar. Unsicheren Schrittes legt er vielleicht 20 Meter zurück. Dann fällt er hin. Helfen ihm wieder auf die Beine. Sagt meine Begleiterin: “Hast zu viel getrunken.” “Nein, sagt er, bin zu weit gelaufen.”